Das gute Wirtschaftswachstum spiegelt sich noch nicht in der Insolvenzstatistik wieder. Denn die vorläufige Insolvenzstatistik des KSV1870 für die ersten drei Quartale des Jahres 2017 zeigt einen Rückgang der Unternehmensinsolvenzen um 4,8 Prozent. Die Zahl der von Pleiten betroffenen Dienstnehmer ging gegenüber dem Vergleichszeitraum 2016 um 17,8 Prozent auf 11.500 Personen zurück, und die Passiva sanken um 53 Prozent auf 1083 Millionen Euro (1,083 Milliarden Euro). Der Rückgang beruht wahrscheinlich auf dem niedrigen Kredit-Zinsenniveau. Dazu muss man aber auch wissen, dass ein höheres Wirtschaftswachstum in der Regel zu mehr Insolvenzen führen wird.
Die eröffneten Insolvenzverfahren sind um 5,3 Prozent zurückgegangen, die als mangels Vermögens nicht eröffneten Verfahren um 4,2 Prozent. Letzterer Fall ist schlecht, denn diese überschuldeten und zahlungsunfähigen Unternehmen wursteln somit weiter.
"Dieser Rückgang ist zweifellos dem historisch einmalig niedrigen Zinsniveau geschuldet. Und jedermann weiß, dass diese Zinsen nicht ewig so niedrig bleiben können", sagt Hans-Georg Kantner, Insolvenzexperte des KSV1870. "Man erwartet, dass die Wirtschaft in absehbarer Zeit aus sich heraus wächst und nicht nur mittelbar durch die Exportmaschine Deutschland. Erst wenn heimische Unternehmen investieren, wird es wirklich zu einem Wachstumsschub kommen. Und der wird dann rasch die Nachfrage und damit die Inflation heben. Also: Sobald das erhoffte Wachstum eintritt, werden die Insolvenzen wieder anziehen müssen."
Der Blick auf die Bundesländer zeigt, dass der Rückgang unterschiedlich verteilt ist: Zweistellig rückläufige Zahlen in der Steiermark (minus 14 Prozent) stehen einem zweistelligen Zuwachs in Niederösterreich (+ 14,5 Prozent) gegenüber. Diese Divergenzen dürfen jedoch den Blick auf das Wesentliche nicht verstellen: Die Insolvenzfälle werden laufend kleiner. Waren vor zehn Jahren noch durchschnittlich sechs Dienstnehmer pro eröffnetem Insolvenzverfahren betroffen, ist diese Zahl mittlerweile auf 5,1 Personen gesunken. Daher dürfe in diese Divergenzen nicht zu viel „hineingelesen“ werden.
"Es scheint eher so, dass diese kleinen Fälle von Jahr zu Jahr in den Bundesländern etwas oszillieren: In 2016 hatte Niederösterreich einen Rückgang entgegen dem Bundestrend und verzeichnet jetzt ein Plus – Tirol hatte letztes Jahr einen Zuwachs und weist jetzt einen Rückgang auf. Ein eindeutiger Trend ist in den einzelnen Bundesländern derzeit nicht oder noch nicht erkennbar", heißt es weiter.
"Die Bauwirtschaft ist seit Jahren ein steter Gast und ganz vorne zu finden. Auch 2017 belegt sie wiederum den ersten Platz nach der Zahl der Fälle und den zweiten nach der Höhe der Passiva", heißt es dazu vom KSV1870. "Das Gastgewerbe findet sich auf dem dritten Platz im Ranking nach der Anzahl der Fälle: Das hat aber nicht primär damit zu tun, dass diese Branche so schlecht gewirtschaftet hätte, sondern schlicht damit, dass es die Branche mit den meisten aktiven Unternehmen ist (ca. 10.000). Gemessen an der Zahl der aktiven Betriebe ist diese Branche sogar unterdurchschnittlich insolvenzgeneigt."
Die Branche „Maschinen und Metall“ ist ein Spiegel des industrialisierten Österreich: Es sind vielfach größere Unternehmen mit hoher Kapitalbindung, sodass auch moderate Insolvenzzahlen diese Branche unter die ersten drei „katapultiert“. So kann schon ein einziges mittelgroßes Unternehmen (Biso Schrattenecker GmbH) mehr als ein Viertel der Passiva der gesamten Branchengruppe beitragen.
Vergangenen November stellte die EU-Justizkommissarin Věra Jourová einen Entwurf zu einer Insolvenzrichtlinie vor. Diese Richtlinie möchte ein „vorinsolvenzliches“ Verfahren in Europa in harmonisierter Weise einführen und „redlich gescheiterten“ Unternehmern eine rasche und an keine besonderen Quotenerfordernisse geknüpfte Restschuldbefreiung schaffen.
Während der vergangenen zehn Monate wurden diese Vorschläge laut KSV1870 intensiv auf europäischer Ebene in Expertengruppen besprochen. Dieser Entwurf hat zweifellos auch Einfluss in Österreich gehabt und zwar im Zusammenhang mit der Verkürzung der Abschöpfungslaufzeit für eine Restschuldbefreiung und die Auflassung der Mindestquote. Es geschieht nicht selten, dass Mitgliedsländer der EU solche Ideen aufgreifen und möglichst rasch umzusetzen trachten. Sie rechnen sich dabei ein gutes Abschneiden in den Vergleichstabellen aus, die von der Kommission in regelmäßigen Abständen erstellt werden.
"Das vorinsolvenzliche Verfahren soll nach den Vorstellungen der EU-Kommission rasch und kostengünstig sein und vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen, ihre drohende Insolvenz zu beseitigen. Sieht man sich das Verfahren näher an, das hier von der EU propagiert wird, so fällt vor allem dessen Ähnlichkeit mit dem Chapter-11-Verfahren in den USA auf", heißt dazu vom KSV1870. "Und damit wird schnell klar: Dieses Verfahren wird wahrscheinlich weder rasch noch kostengünstig ablaufen, denn das Chapter-11-Verfahren ist im Grunde nur etwas für sehr große Unternehmen, deren Aktien und/oder Schuldpapiere an der Börse gehandelt werden."
Tatsächlich trat allerdings mit Juni/Juli 2017 eine Novelle im Rahmen des Insolvenzrechtsänderungsgesetz IRÄG 2017 in Kraft, die sich ebenfalls mit europäischem Insolvenzrecht beschäftigt, diesmal allerdings mit der EU-Insolvenzverordnung, die mit Wirkung 26. Juni 2017 novelliert worden war, was gewisse Begleitbestimmungen erforderlich macht. Ein wesentliches Kernstück dieser Novelle und der Begleitbestimmungen ist der Umstand, dass in grenzüberschreitenden Insolvenzen der Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens Gläubiger in einem anderen Mitgliedsstaat bevorzugt behandeln darf, wenn er dies für vorteilhaft ansieht und damit ein Sekundärverfahren in diesem anderen Mitgliedsstaat vermieden werden kann (so genanntes „virtuelles Sekundärverfahren“). Diesen Bestimmungen wird einige Bedeutung vor allem in Großverfahren zukommen.