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Bitcoin: Regulierungs­lü­cke zieht Gründer nach Österreich

21-09-2017, 06:00

Bei Österreichs Bitcoin-Start-ups trifft man erstaunlich viele Jungunternehmer, die ein auffälliges Hochdeutsch sprechen. "Wir stellen fest, dass es zusehends mehr Anbieter aus Deutschland gibt", heißt es bei der Finanzmarktaufsicht (FMA) in Wien.

Dass viele Bitcoin-Handelsplattformen, Geschäftsideen und Beratungsfirmen hier formiert werden, hat freilich einen handfesten Grund. Die Bitcoin-Pioniere flüchten in eine "Regulierungslücke", urteilt ein Branchenkenner. Der rechtliche Hintergrund: Bitcoins werden in Österreich weder als Währung noch als Finanzinstrument gehandelt – und unterliegen somit in der Regel auch keiner Aufsicht.

Das deutsche Kreditwesengesetz kennt darüber hinaus aber den Tatbestand der "Recheneinheit". Weshalb die Konzessionspflichten von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) deutlich strenger ausgelegt werden. Die Konsequenz: Viele Gründer siedeln sich hierzulande an.

Manisch-depressiv

Nicht Österreich sei der Ausreißer, sondern das Nachbarland, befindet Eric Demuth, selbst Deutscher und Gründer der Handelsplattform BitPanda in Wien: "Deutschland ist das einzige EU-Land, das Bitcoin als Recheneinheit qualifiziert." Hingegen sei die Gründeratmosphäre in der Schweiz noch "um den Faktor 10" aufgeschlossener als hierzulande.

Ist es nun positiv, wenn sich Österreich als innovativer Standort etabliert, weil das Jobs schafft? Oder ist es ein Risikoherd, weil keiner absehen kann, wie sich die virtuellen Währungen entwickeln? Völlige Euphorie oder Untergangszenarien – dazwischen scheint es momentan wenig zu geben. Wie groß die Unsicherheit ist, zeigen die extremen Kursausschläge. Der Wert von Bitcoin, der am weitesten verbreiteten Digitalwährung, schwankte allein im September untertags in einer Bandbreite von 2320 bis 4999 Euro pro Bitcoin.

Foto: /istockphoto Der Grund für den wilden Ritt: Seit Anfang des Jahres war eine weltweite Goldgräberstimmung ausgebrochen. Start-ups aus dem Bitcoin- oder Blockchain-Bereich  hatten sich insgesamt mehr als zwei Milliarden Dollar Geld über sogenannte "Initial Coin Offerings" (ICO) beschafft.

China dreht Börsen zu

Dass das Wort klingt wie IPO (Initial Public Offering), also wie der Fachbegriff für Börsegänge, ist kein Zufall. Bei einem ICO erhalten die Investoren allerdings keine Aktien, sondern die von dem Start-up herausgegebenen "Münzen" (Coins bzw. Tokens). Somit sind sie am Erfolg und Misserfolg der Firma beteiligt.

Chinas Aufsicht wurde es Anfang September dann zu bunt: Sie schoben der Geldbeschaffung unerwartet einen Riegel vor und rückten diese sogar in die Nähe krimineller Machenschaften. Bis Ende des Monats müssen Bitcoin-Börsen dicht machen.

Dass Jamie Dimon, Chef der US-Bank JP Morgan Bitcoin kurz darauf als "Betrug" bezeichnete und mit der Tulpenblase verglich, die 1637 geplatzt war, tat ein Übriges.

Österreich-Vorstoß

Ein schlechter Moment also, um Investoren für solche Geschäfte anzuwerben, oder? "Nein, der Zeitpunkt ist goldrichtig", glaubt Bernhard Lehner vom Business-Angel-Netzwerk startup300. Er räumt ein, dass das Thema ICO "hochkomplex und unglaublich kontroversiell" sei. Eine österreichweite Initiative will deshalb die rechtlichen und politischen Unsicherheiten ausräumen.

Vor wenigen Tagen hat ein Wiener Start-up seine virtuelle Währung "Hero" über einen ICO nach österreichischem Recht gestartet. Damit können Wetten auf den Ausgang von Computerspielen online platziert werden. Die Crowdfunding-Plattform Conda begleitet das Projekt.

Die FMA verfolgt die Entwicklung kritisch. Jedem ICO-Anleger müsse – wie bei den Nachrangdarlehen im Crowdfunding – klar sein, dass er sich in einer schlechten Rechtsposition befindet. Auch Betrugsmodelle seien nicht ausgeschlossen.

Achtung, Falschmünzer

Die Schweizer Aufsicht Finma musste soeben einen Anbieter aus dem Verkehr ziehen, der eine Scheinwährung namens E-Coins angeboten und dafür unerlaubt Publikumseinlagen in Millionenhöhe eingenommen hatte. Die Transaktionen waren nicht einmal in einer Blockchain registiert, sondern nur am Server des Anbieters gespeichert.

"Dass in der Hype-Phase links und rechts viele Glücksritter auftauchen, ist ein normaler Prozess", sagt Lehner. Allerdings seien die Blockchain-Anwendungen "zu wertvoll und zu wichtig, um sie mit unseriösen Geschäftsmodellen zu diskreditieren". Eine Konferenz am 2. und 3. Oktober in Linz will deshalb Fakten von Mythen trennen.

"Furchtbar" findet auch Demuth die gegenwärtige "Blenderphase". 99 Prozent der aktuellen ICO-Vorhaben seien nur Geldmacherei, "ein kompletter Unsinn". Einige der dubiosen Goldgräber beweisen immerhin Humor: Sie nannten ihre Währung "PonziCoin" - nach dem Mega-Gauner Charles Ponzi, der Anfang des 20. Jahrhunderts zum Namensgeber für betrügerische Schneeballsysteme wurde.

Bitcoin hat in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Ins Leben gerufen wurde die digitale Währung erst 2009 von einer Person oder Personengruppe mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto. Wer genau dahinter-steckt, ist allerdings immer noch umstritten.

Bitcoins werden durch ein System erzeugt, das sich „Mining“ nennt. Dabei berechnen Computer komplexe Algorithmen und verdienen so die Währung. Die Währung basiert auf der sogenannten Blockchain. Dabei handelt es sich um eine Art digitales Grundbuch, wo jede Transaktion verzeichnet wird. Als Schutz vor Manipulation hat jeder Nutzer eine Kopie der Datenbank auf seinem Rechner gespeichert.  

Handel

Gehandelt werden Bitcoins auf speziellen Marktplätzen im Internet. Der Preis wird dabei nach Angebot und Nachfrage festgelegt. In Großstädten gibt es außerdem immer mehr Stellen, an denen man gegen Bargeld Bitcoins kaufen kann.

Unter anderem ist das bei der österreichischen Post möglich, oder auch bei speziellen Geräten, ähnlich wie klassische Bankomaten. In Wien gibt es etwa in einem speziellen Geschäft im ersten Bezirk (House of Nakamoto) sowie in einem Hotel im dritten Bezirk  (Hotel Schani) entsprechende Automaten, bei denen man die digitale Währung sowohl kaufen als auch verkaufen kann.

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