Am Dienstag hat sich die Ex-Ministerin Sophie Karmasin (ÖVP) in ihrem Prozess wegen schweren Betrugs und wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Vergabeverfahren "nicht schuldig" bekannt.
In Bezug auf die inkriminierten Bezugsfortzahlungen nach ihrem Ausscheiden als Ministerin habe sie zwar einen Fehler begangen, sich nach ihrem Dafürhalten aber nicht strafbar gemacht. Auch bezüglich der von der Anklage umfassten Studien für das Sportministerium habe sie keine Gesetze gebrochen.
Karmasin wollte wegen "Traumata" keine Fragen beantworten
Karmasin nahm am Wiener
Landesgericht für Strafsachen ausführlich zur Anklage Stellung und
wurde anschließend vom vorsitzenden Richter vernommen. Als der Vertreter
der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) von seinem
Fragerecht Gebrauch machen wollte, nahm Karmasin ihr
Aussageverweigerungsrecht in Anspruch. Aufgrund "der Traumata", die sie
im Zuge des Ermittlungsverfahrens erlitten habe, werde sie keine Fragen
der WKStA beantworten, erläuterte die 56-Jährige.
Karmasin: "Habe das auf die leichte Schulter genommen"
Nach ihrem
Ausscheiden aus der Politik habe sie nicht in das Familienunternehmen
zurückkehren können, das man aufgrund ihrer politischen Karriere zum
Bedauern der Familie abgeben habe müssen, und aus einem in Aussicht
gestellten Job sei nichts geworden, hatte Karmasin zuvor erklärt.
Deshalb habe sie "sicherheitshalber Entgeltfortzahlung beantragt". "Ich
habe das auf die leichte Schulter genommen", räumte sie ein. Ihr "naives
Verständnis" sei gewesen, dass ein solcher Antrag mit einem möglichen
zukünftigen Beschäftigungsverhältnis zu vereinbaren sei: "Rückblickend
war das ein Fehler. Es tut mir leid. Aber ich habe das Doppelte des
Brutto-Bezuges zurückbezahlt."
Karmasin habe "ein Ein-Frau-Unternehmen" aufgezogen
Mitte 2018 habe sie dann "ein
Ein-Frau-Unternehmen" aufgezogen und sich beruflich umorientiert,
schilderte Karmasin: "Ich habe ganz neu angefangen mit
Verhaltensökonomie." Ihre neuen Ansätze wären im Sportministerium
geradezu auf Begeisterung gestoßen: "Es war klar, dass ich ins Schwarze
getroffen habe." Ein Sektionschef habe sich sehr für ihre Methodik
interessiert und diese wissenschaftlich mit dem Thema Sport verbinden
wollen: "Er hat mir signalisiert, dass er damit arbeiten und schnell in
die Umsetzung kommen will." So sei eine erste Studie zum Thema Bewegung
im Sport in die Gänge gekommen, und sie sei aufgrund ihrer Kompetenzen
und Erfahrungen damit beauftragt worden - und zwar per Direktvergabe,
wie die Ex-Ministerin feststellte.
"Das war für mich
nachvollziehbar, weil ein Konzept unter 100.000 Euro so vergeben werden
kann", betonte sie. Bei einem Gesprächstermin im Ministerium am 5. April
2019 habe man sie dann allerdings gebeten, "als Dokumentationszweck
zwei weitere Angebote für die Akten" zu beschaffen: "Der Auftraggeber
hat mich explizit gebeten, zwei vertrauenswürdige Unternehmen zu bringen
und sie anzuleiten." Nur deshalb und nicht - wie angeklagt - wegen
wettbewerbsbeschränkender Absprachen sei sie an ihre Ex-Mitarbeiterin
Sabine Beinschab und eine weitere Meinungsforscherin herangetreten und
habe "vermeintliche Angebote" besorgt, meinte die Ex-Ministerin.
Sie habe sich vom Sportministerium "einspannen lassen"
Sie
habe sich vom Sportministerium "einspannen lassen", bedauerte die
Angeklagte: "Im Nachhinein hätte ich die Bitte des Auftraggebers
ablehnen sollen." Ihr, aber auch ihren beiden Berufskolleginnen sei ja
bewusst gewesen, "dass dieses Projekt nicht an sie (gemeint: die
Konkurrenz, Anm.) gehen wird".
Die WKStA sieht das diametral anders
Die Wirtschafts- und
Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sieht das diametral anders. "Sie
wollte immer mehr, hatte nie genug, und zahlen sollten es die anderen",
hatte Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic in seinem Eröffnungsvortrag in
Richtung der Schöffen festgehalten. "Es geht hier um
Sozialleistungsbetrug der für Sozialleistungen zuständigen Ministerin",
fasste er die Anklage zusammen.
Inkriminierende Studien für das Sportministerium
Was die inkriminierten Studien für
das Sportministerium betrifft, sei Karmasin mit diesen jeweils in einem
"Scheinvergabeverfahren" beauftragt worden, sagte Adamovic. Ein
mitangeklagter Abteilungsleiter im Ministerium sei daran "nicht als der
große Rädelsführer", aber doch beteiligt gewesen sei: "Eine große
Farce." Karmasins Praxis, sich mit unrechtmäßigen Absprachen ein Geld zu
verdienen, "wäre bis heute so weitergegangen. Ihr jähes Ende hat sie
(die Praxis, Anm.) nur gefunden, als wir vor ihrer Tür gestanden sind",
meinte Adamovic unter Anspielung auf 21 gleichzeitig durchgeführte
Hausdurchsuchungen, die am 6. Oktober 2021 im Rahmen der
ÖVP-Umfragenaffäre stattfanden, darunter auch bei Karmasin.
Zur
Beweislage bemerkte der WKStA-Vertreter grundsätzlich, die Suppe sei
schon zu Beginn der Ermittlungen "nicht dünn, sondern ziemlich cremig"
gewesen. Jetzt sei "die Suppe so dick, wenn man den Löffel auslässt,
bleibt er stehen", bemerkte Adamovic.
Verteidiger: Rechtlich ist die WKStA aber großteils falsch abgebogen
"Die Wirtschafts- und
Korruptionsstaatsanwaltschaft hat den Sachverhalt großteils richtig
ermittelt. Rechtlich ist die WKStA aber großteils falsch abgebogen",
hielt dem Karmasins Erstverteidiger Norbert Wess entgegen. Eingeholte
Vergleichsangebote seien "zu einem absurden Formalismus mutiert". Da sei
Karmasin "naiv" gewesen, aber strafbar habe sie sich damit nicht
gemacht. "Preisangemessenheit" sei bei den Studien gegeben,
vergaberechtlich alles in Ordnung gewesen. Auch bezüglich der
Entgeltfortzahlung sei die WKStA "rechtlich falsch abgebogen", befand
Wess.
Die Rolle Karmasins in der ÖVP-Umfragenaffäre ist zwar nicht
direkt Gegenstand dieser Verhandlung, wurde von Oberstaatsanwalt
Adamovic dessen ungeachtet aber doch erwähnt. Karmasin habe von Dezember
2017 bis Mai 2018 beim sogenannten "Beinschab-Österreich-Tool"
ordentlich mitgeschnitten, indem sie Beinschab für deren Tätigkeiten in
der ÖVP-Umfrage-Affäre pro Auftrag jeweils 20 Prozent an Provision und
für vorgebliche Beratung in Rechnung stellte, betonte Adamovic:
"Insgesamt hat sie in dieser Zeit rund 55.000 Euro verdient, also mehr
als 11.000 Euro im Monat." Trotzdem habe sie sich in dieser Zeit "sogar
als Millionärin", wie der Ankläger sich ausdrückte, ihre Bezüge
fortzahlen lassen. "Sie sind kein Justizopfer. Sie sind auch kein Opfer
der Medien", sprach Adamovic direkt die angeklagte Ex-Politikerin an:
"Die Opfer sind alle Steuerzahler, die Ihre Überbrückungshilfe bezahlt
haben."
Provisionszahlungen seien Idee von Sabine Beinschab gewesen
Die von ihr lukrierten Provisionszahlungen seien die Idee
von Sabine Beinschab gewesen, behauptete Karmasin: "Im Jahr 2016 hat sie
mich aktiv gefragt, ob sie Provision zahlen darf." Sie habe "dem
zugestimmt", wäre aber nicht selbst "auf diese Idee gekommen." Auf die
Frage des Richters "Was war ihre Leistung?", antwortete Karmasin, sie
habe Beinschab den ehemaligen Generalsekretär im Finanzministerium
Thomas Schmid vorgestellt. Ansonsten habe Beinschab sie hin und wieder
nach Rat gefragt, "aber ich habe mich inhaltlich nicht dafür
interessiert".
Karmasin war 2017 als Ministerin ausgeschieden
Karmasin war am 17. Dezember 2017 als Ministerin
ausgeschieden. Unmittelbar danach soll sie laut Anklage mit
betrügerischen Handlungen begonnen und sich widerrechtlich
Bezugsfortzahlungen erschlichen haben, indem sie Bediensteten des
Bundeskanzleramts verschwieg, dass sie ihre selbstständige Tätigkeit
nach ihrer Amtszeit als Familienministerin nahtlos fortgesetzt hatte.
Inkriminiert sind 78.589,95 Euro, die Karmasin vom 19. Dezember 2017 bis
zum 22. Mai 2018 zu Unrecht bezogen haben soll. Der zweite
Anklagekomplex betrifft insgesamt drei Studien für das Sportministerium,
für die Karmasin nach ihrem Ausscheiden aus der Politik den Zuschlag
erhielt.
Karmasin Person aus politischem Umfeld von Ex-Kanzler Kurz
Mit Karmasin steht eine erste Person aus dem politischen
Umfeld von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz vor Gericht, Ermittlungen
gegen weitere Ex-ÖVP-Funktionäre von Kurz abwärts sind anhängig. Der
Prozess ist auf drei Tage anberaumt und hat noch nichts mit der Rolle
Karmasins in der ÖVP-Umfrageaffäre zu tun, in die sie wesentlich
eingebunden gewesen sein soll. Diesbezüglich sind die Erhebungen noch
nicht abgeschlossen. Im Falle einer Verurteilung drohen Karmasin und dem
mitangeklagten, nach Einbringen der Anklage außer Dienst gestellten
Ministerialbeamten bis zu drei Jahre Haft. Dieser bekannte sich
ebenfalls "nicht schuldig". Die Urteile sind für 9. Mai geplant.