Mehr Geld einnehmen als ausgeben: Das hat der österreichische Staat seit Generationen nicht mehr geschafft. In Deutschland muss man dafür nicht erst die Geschichtsbücher ausgraben. Dort peilt Finanzminister Wolfgang Schäuble 2017 den vierten Budgetüberschuss in Folge an. Fragen und Antworten.
Wie groß sind die deutschen Überschüsse?
Der deutsche Gesamtstaat verzeichnete 2016 stolze 25,7 Milliarden Euro Plus. Heuer dürfte es einen historischen Rekord geben, denn allein im ersten Halbjahr betrug der Überschuss offiziell schon 18,3 Milliarden Euro – und das gilt noch als sehr konservativ berechnet.
Wann hat Österreich zuletzt einen Budgetüberschuss zustande gebracht?
Das ist hierzulande tatsächlich ein Fall für Wirtschaftshistoriker – und führt in eine Ära zurück, als es keine mit heute direkt vergleichbaren Finanzstatistiken gab. Fix ist: "Seit 1976 hat es im Gesamthaushalt sicher kein ausgeglichenes Budget gegeben", sagt WIFO-Experte Hans Pitlik. In der Zeit davor wurden die Finanzen anders berechnet. Indizien deuten auf das Jahr 1962 hin, als sich unter Kanzler Alfons Gorbach und Finanzminister Josef Klaus (beide ÖVP) ein Mini-Plus auf Bundesebene ausging . Das vermeintlich historische "Nulldefizit" 2001 unter Finanzminister Karl-Heinz Grasser hatte sich ja nachträglich als schöngerechnet erwiesen.
Warum schafft Deutschland so hohe Überschüsse?
Da sind sich die Experten einig: Der Hauptgrund sind die höheren Einnahmen. Das Konjunkturhoch und die niedrige Arbeitslosigkeit lassen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland seit Jahren sprudeln. Im ersten Halbjahr 2017 sind die Einnahmen abermals um 4 bis 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Bei der guten Beschäftigungslage wirkten die Hartz-Reformen von Anfang der 2000er-Jahre noch nach; eine Spur Glück sei auch dabei, sagt Pitlik – etwa dass sich wichtige deutsche Exportmärkte so stark entwickeln.
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Wie sieht es mit den Ausgaben aus: Fährt Deutschland da einen strengen Sparkurs?
Nein, eine für die Bürger schmerzhafte Konsolidierung war gar nicht nötig. Anders gesagt: Der deutsche Staat gibt zwar nicht weniger, aber weniger als üblich aus. Das bestätigt Katja Rietzler vom gewerkschaftsnahen Institut IMK in Düsseldorf: "Abgesehen von den stark gestiegenen Flüchtlingskosten sind die Ausgaben überschaubar geblieben." Und: Alle Staaten profitieren von den EZB-Nullzinsen. Deutschland hat sich so allein im Vorjahr 47 Mrd. Euro Zinskosten erspart.
Was kann sich Österreich davon abschauen?
Auch Österreichs Fiskus darf sich über ausgezeichnete Einnahmen freuen. Dass trotzdem kein Überschuss gelingt, weise auf ein Ausgabenproblem hin, sagt Pitlik: "Es ist offensichtlich nicht so gut gelungen, die Dynamik einzubremsen."
Ist Wolfgang Schäuble ein strengerer Finanzminister als Hans Jörg Schelling?
Der Sparwille der deutschen Regierung sei generell größer, sagt Pitlik, der selbst Deutscher ist. Zudem genieße der Finanzminister in Berlin eine institutionell stärkere Position. Er könne somit – mit Unterstützung der Kanzlerin – stärker durchgreifen als in Österreich. Und obendrein wurde auch die Schuldenbremse für Bund und Länder in Deutschland um Jahre früher umgesetzt.
Ist es überhaupt sinnvoll, wenn ein Staat Budgetüberschüsse erzielt ?
Ein Staat ist für Krisen besser gerüstet, wenn er in schlechten Zeiten mehr Geld ausgeben kann, um die Wirtschaft anzukurbeln. Dafür sollte er auf die Bremse steigen, wenn es gut läuft. "So eine antizyklische Politik bringt mit sich, dass es Überschussphasen gibt", sagt Rietzler.
Allerdings habe Deutschland einen riesigen Rückstau bei öffentlichen Investitionen angehäuft. Die Folge seien gesperrte Rhein-Brücken oder bröckelnde Schulgebäude: "Das schieben wir seit anderthalb Jahrzehnten vor uns her." Dafür müsste dringend Geld in die Hand genommen werden, sonst riskiert man das Wachstum in der Zukunft. In Österreich stellt sich das nicht ganz so dramatisch dar.
Stand Deutschland immer so blitzsauber da?
Nein, um das Jahr 2000 galt Deutschland als "kranker Mann Europas" – nach der kostspieligen Wiedervereinigung schwächelte die Wirtschaft, die Wettbewerbsfähigkeit fiel zurück, der Haushalt war angespannt. 2000 ging sich zwar ein Überschuss aus – aber nur dank hoher Milliardeneinnahmen aus der Vergabe von Mobilfunklizenzen.
Die Folge: 2002 und 2003 brach ausgerechnet der Sparmeister Deutschland die Maastricht-Kriterien, das Defizit kletterte auf 3,9 und 4,2 Prozent – weit über das erlaubte Maß hinaus. Weil aber Frankreich ähnliche Probleme hatte, blieb das folgenlos, stattdessen wurden die EU-Regeln gelockert. Womit Frankreich und Deutschland eine moralische Mitverantwortung an den späteren Schummeleien von Griechenland und Co. tragen.
Gibt der Staat Österreich das Geld anders aus?
Er gibt vor allem mehr Geld aus. Die Ausgabenstruktur ist recht ähnlich (siehe Grafik), aber das Niveau ist höher: In Österreich werden 51 Prozent der Wirtschaftsleistung über den Staat verteilt, in Deutschland beträgt die Staatsquote 44,3 Prozent. Fazit: Entweder kommen deutsche Bürger mit weniger Staatsleistungen aus. Oder aber das Geld wird schlicht effizienter eingesetzt.
Wer ist für die Zukunft besser gerüstet?
Es klingt paradox, weil die Deutschen schmerzhafte Pensionsreformen durchgeführt haben, die bei uns bisher niemand anpacken wollte. Tatsächlich sieht aber die OECD auf unser Nachbarland bis 2050 höhere altersbedingte Kosten – für Langzeitpflege, Gesundheitssystem, Pensionen – zukommen. Der Grund ist die Demografie: Die deutsche Bevölkerung ist im Durchschnitt älter.