Bestimmen künftig Computerprogramme, womit wir zahlen, wie wir Geschäfte machen, wo wir einkaufen? Der KURIER sprach mit dem Technologie-Philosophen Mark Coeckelbergh über die neue Finanzwelt.
KURIER: Die Internet-Währung Bitcoin gewinnt in jüngster Zeit enorm an Wert. Ist das die Zukunft des Zahlens?
Mark Coeckelbergh:Ich weiß nicht, ob es Bitcoin sein wird. Aber eine dieser Kryptowährungen hat Zukunft. Erstens, weil sie für elektronische Zahlungen einfach zu handhaben sind. Aber viel wichtiger: Dank der Technologie gibt es zunehmend Finanzgeschäfte ohne Zwischenhändler, also ohne Banken. Menschen wollen diese direkten Transaktionen. Banken brauchen wir auch nicht mehr?Wenn Banken in dieser neuen Welt überleben wollen, müssen sie sich neu erfinden. Sie müssen nützlichere Zwischenhändler werden. Wenn sie das nicht machen, wird es immer neue Wege geben, Banken zu umgehen.
Bitcoin-Fans sagen: Die Währung ist eine neue Freiheit, eine Unabhängigkeit von Zentralbanken und Politikern. Stimmt das?
Es ist eine Freiheit in dem Sinn, dass sich keine Drittparteien beim Zahlungsverkehr einschalten. Die Menschen, die Bitcoin erschaffen haben, glauben oft, damit die Gesellschaft verändern zu können. Ich denke schon, dass diese neuen Technologien, die Blockchains, auf denen Bitcoin basiert, mehr sind als Technologie. Sie verändern die Art, wie wir zusammenleben.
Inwiefern?
Die Kryptowährungs-Anhänger haben eine liberalistische Utopie: Es gibt keine Regierungen mehr. Die Leute machen Geschäfte direkt miteinander. Man muss jetzt darüber diskutieren, ob das die Art von Freiheit ist, die man haben will. Wollen wir wirklich keine Regierungen mehr, die die Gesellschaft lenken, den Wohlstand verteilen, Sozialprogramme auflegen?
Sind Kryptowährungen sozial ungerecht?
Viele der Tech-Fans in Kalifornien zum Beispiel würden gerne ohne Regierungen leben, so wie Elon Musk und andere. Sie leben nach dem Modell: Die Reichen geben Geld für Charity aus. Man kann sich fragen, ob es nicht besser wäre, wenn sich der Staat um die Verteilung der sozialen Mittel kümmert.
Die Politik sagt offiziell: Bitcoins sind keine Währung. Daher kümmert uns das nicht ...Das ist total falsch. Sowohl die bestehende Währung als auch die Kryptowährung basieren auf Vertrauen. Wir müssen glauben, dass die Münze oder das Papierstück einen Wert hat. Bei den neuen Technologien müssen wir in Technologie vertrauen.
Aber wir wechseln dann nur die Abhängigkeit: Anstatt von Banken und Politik sind wir von Technologien abhängig, die nicht mehr greifbar sind ...
Für eine Demokratie kann das ein Problem sein. Weil große geldpolitische Entscheidungen nicht mehr über öffentliche Diskussionen getroffen werden. Mit Bitcoin sind wir von jenen Leuten abhängig, die die Technologie entworfen haben. Wir hängen von den Algorithmen ab, die sie erfunden haben.
Ist Bitcoin unfair, wie sie kürzlich sagten?
Im Allgemeinen gilt das auch für Gold zum Beispiel. Denn um Gold zu schürfen, brauchen Sie viel Geld, genauso ist es heute mit Bitcoins. Neue Bitcoins zu schaffen, ist sehr teuer geworden.
Der soziale Aspekt könnte aber ein Problem werden ...
In einer globalen Welt mit Kryptowährungen und Hochfrequenzhandel wächst die Distanz zwischen den Menschen. Auf diese sozialen Effekte muss man schauen. Wir sollten nicht nur darüber reden, ob Bitcoin von Kriminellen genützt wird. Dafür können Kriminelle auch andere Währungen nützen. Wir sollten darüber reden, was es heißt, wenn der Handel noch viel unpersönlicher wird, wenn wir von Technologien abhängen. Diese Abhängigkeit macht uns verletzlich. Die Frage ist, von wem wollen wir abhängen: von Zentralbanken, von Blockchains? Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass wir schon von Blockchains abhängen.
Was wäre die Rolle von Regierungen in so einer Gesellschaft?
Sie müssen aktiver eingreifen: nicht so sehr im Nachhinein wie jetzt. Denn wenn es die Technologien einmal gibt, werden sie genutzt, legal oder illegal. Regierungen könnten zum Beispiel vorschreiben, dass die neuen Technologien positive soziale Auswirkungen auf die Gesellschaft nachweisen müssen. Sie könnten ethische Vorgaben machen. Regierungen laufen leider hinterher, sie übersehen den Start dieser neuen Technologien. Regierungen schauen zu viel auf die Symptome und beklagen sie dann. Das ist keine Strategie.
Der gebürtige Belgier (42) hat sich nach dem Studium der Mathematik und Sozial-Philosophie der Wissenschaft verschrieben. Seit Ende 2015 lehrt er an der philosophischen Fakultät der Universität Wien. Sein Spezialgebiet: Medien- und Technologiephilosophie. Er schrieb mehrere Bücher, unter anderem Money Machines und Human
Das ist die bekannteste digitale Währung, die in komplizierten Rechenprozessen erzeugt wird. Im Internet kann damit gehandelt werden, in einzelnen Geschäften kann man mit Bitcoin zahlen.