KURIER: Im Bewerbungsgespräch hören viele Recruiter auf ihr Bauchgefühl beziehungsweise auf den ersten Eindruck. Warum ist das problematisch?
Manfred Wondrak: Es gibt 175 "Unconscious Bias" (fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen, Anm.), rund 20 sind wichtig für den Recruitingbereich. Gender steht dabei an erster Stelle, wir beurteilen Männer anders als Frauen. Denn Männer werden nach ihrem Potenzial beurteilt, Frauen jedoch nach ihrer geleisteten Arbeit. Der Mann wird als risikobereit gesehen, ihm traut man eher etwas zu. Frauen müssen das erst beweisen. Bias sind aber per se nichts Schlechtes. Sie helfen, das Geschehen einzuordnen und Gefahren wahrzunehmen. Aber sie können auch zu Denkfehlern führen.
Welche Vorurteile sind besonders weit verbreitet?
Männer werden positiv beurteilt, wenn sie groß und schlank sind und eine tiefe Stimme haben. Bei der unbewussten Beurteilung von Frauen spielt das Gewicht eine große Rolle. Eine Studie vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit hat herausgefunden, dass ein höheres Gewicht das Jahresgehalt mindert. Frauen mit einem Bodymassindex (BMI) von 21,5 bekommen, so das Ergebnis der Studie, das höchste Gehalt. Sie verdienten bis zu zwölf Prozent mehr als Frauen mit höherem BMI. Auch die Wahrscheinlichkeit, überhaupt einen Job zu bekommen, ist bei schlanken Frauen höher.
Hat jeder Mensch andere Vorurteile, je nach Erfahrungen?
Ja. Diese Denkmuster haben unsere Vorfahren uns mitgegeben. Wir bauen dann im Laufe unseres Lebens Schemata auf. Unsere Erfahrungen prägen uns, daraus leiten wir Faustregeln ab, die dann in bestimmten Situationen abgerufen werden.
Spielt, wie bei Noten in der Schule, auch der Name einer Person bei der unbewussten Beurteilung eine Rolle? Wie werden Modenamen wahrgenommen?
Personen mit dem Namen Alexander werden anders wahrgenommen als jene, die Kevin heißen. Der Name ist negativ besetzt, abgeleitet aus Filmen und Witzen, das kann sich aber auch wieder ändern.
Es ist erwiesen, dass Chefs sich Gleichgesinnte auswählen: Mann sucht männlich, weiß, gleich groß.
Das stimmt, es gibt die Ähnlichkeits-Bias, einen Ähnlichkeitseffekt. Es ist weniger riskant, Bewerber auszuwählen, die Ähnlichkeiten mit den in der Vergangenheit eingestellten Personen haben. Wenn jemand etwas mit uns gemeinsam hat, wo es eine Verbindung gibt und Vertrauen da ist, kann sich das auf die Beurteilung auswirken. Wenn Sie zum Beispiel auf Urlaub in Asien sind und Sie treffen ein österreichisches Ehepaar, empfinden Sie diesem gegenüber eine größere Zugehörigkeit. Das Unterbewusstsein nimmt etwa Menschen mit anderen Hautfarbe anders wahr, das führt zu einer Verunsicherung, welche einen Kontrollmechanismus auslöst.
Wie ist das bei den Frauen?
Wenn nur eine Frau in der Shortlist für eine Stelle ist, dann hat sie Null Chancen, den Job zu bekommen. Sind aber zumindest zwei Frauen auf der Shortlist, dann steigen die Chancen.
Kann man lernen, Personen unbeeinflusst zu beurteilen? Wenn ja, wie?
Es gilt die Faustregel: Keine Entscheidungen allein nach dem Bauchgefühl treffen. Man muss sich bewusst werden, dass man diese Vorurteile hat. Es gibt mehrere Möglichkeiten, unbewusste Vorurteile im Recruitingprozess zu reduzieren. Zunächst besteht die Herausforderung darin, Interviews zu strukturieren, konkrete Beurteilungskriterien und einen Bewertungsraster festzulegen. Hilfreich ist das Mehr-Augen-Prinzip, aber auch anonymisierte Prozesse. Als zum Beispiel bei den Symphonieorchestern "blind Auditions" eingeführt wurden, sind nicht mehr ausschließlich Männer zum Zug gekommen, für die Frauen hat sich die Chance auf den Posten um 50 Prozent erhöht. Solche Interventionen haben oft einen größeren Effekt, als Quotenregelungen.