Vor neun Jahren besetzten Studierende Hörsäle und organisierten Großdemos, um ihren Ärger über die geplanten Studienbeschränkungen und die damalige Bildungspolitik zu artikulieren. Diese Beschränkungen wurden in den vergangenen Jahren sukzessive ausgeweitet. Und? Gab es Großdemos? Wurde das Audimax besetzt? Nichts dergleichen.
Klar, die Österreichische Hochschülerinnenschaft sprach und spricht sich immer deutlich und lautstark gegen Missstände aus, schreibt Plakate, pfeift in Trillerpfeifen. Doch der Großteil der 380.000 Studierenden in Österreich ist ziemlich still. Wo sind sie hin, die kritischen Geister, die über Missstände debattieren und gesellschaftliche Veränderung wollen? Wie wichtig sie in der Vergangenheit für Umbrüche waren, zeigen die Beispiele rechts.
Gründe für Protest gibt es auch heute genügend. Lena Köhler vom aktuellen ÖH-Vorsitzteam nennt die Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen – Urthemen der Studierendenvertreter. Schon die erste große Studierendendemo 1953 galt dem Kampf gegen Studiengebühren. "Wir sind rebellisch geworden und haben einen Sitzstreik am Ring organisiert", schildert der damalige ÖH-Chef, Günther Wiesinger in der Festschrift "60 Jahre ÖH".
Lena Köhler sagt: "Ich würde mir auch heute mehr Protest wünschen." Aber man müsse den Zusammenhang sehen: "Durch das Bolognasystem und den hohen Leistungsdruck ist heute weniger Zeit, sich politisch zu engagieren. Man muss heute möglichst schnell studieren, sonst verliert man diverse Beihilfen. Es geht leider nicht mehr darum, möglichst gut zu studieren und dabei viel zu lernen."
Mitte des 18. Jahrhunderts schwappt die Pariser Februarrevolution auf große Teile Europas über. Die Szene im Bild zeigt Wien am 15. März 1948. Drei Tage zuvor übergaben die Akteure der Wiener Revolution – Studierende und einige ihrer Professoren – Kaiser Ferdinand I, eine Petition. Der Inhalt: Sie wollten eine Uni- und Studienreform umsetzen – die Uni drohte damals zu einer unbedeutenden Lehranstalt herabzusinken. Sie forderten in der Petition u.a. Reformen des höheren Unterrichts mit Lehr- und Lernfreiheiten und Gleichstellung aller Konfessionen. Schon wenige Woche später geriet die Revolution aber in die Defensive: Der Studienbetrieb wurde eingestellt und erst ein Jahr später wieder aufgenommen.
Kein anderes Jahr steht stärker für Widerstand als das Jahr 1968: Es markiert den Höhe- und Wendepunkt des Vietnamkriegs, der international zahlreiche Proteste heraufbeschwor. Einer der bekanntesten Aktivisten und Vertreter der deutschen (Studierenden-)Bewegung Rudi Duschke wurde in diesem Jahr angeschossen und der tschechoslowakische Student Jan Pallach zündete sich als Zeichen gegen die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings selbst an – Aktionen, die die Proteststimmung in Europa anheizten. Nur in Österreich verlief das Jahr laut Historikern relativ ruhig. Laut Uni Wien forderte die Studierendenbewegung „neben Solidaritätskundgebungen für Rudi Dutschke und Demonstrationen zu allgemeinen politischen Themen in Wien vor allem mehr Mitbestimmung und Demokratisierung an den Universitäten.“ Die markanteste Aktion ging als „Uni-Ferkelei“ in die Geschichte ein: Am 7. Juni 1968 brachen Aktionisten rund um Otto Mühl zahlreiche Tabus. Vor 300 Zuschauern im Neuen Institutsgebäude masturbierten sie und rieben sich mit ihren Exkrementen ein.
In Österreich brachte ein anderer Fall schon Anfang der 1960er Studierende auf die Barrikaden und forderte einen Toten: Der Fall des Professors Taras Borodajkewycz. Ex-Präsident Heinz Fischer deckte mit dem späteren Finanzminister Ferdinand Lacina und Zeitungsmacher Oscar Bronner auf, dass Borodajkewycz in seinen Vorlesungen antisemitisches Gedankengut vortrug. Bei einer Demo wurde der Pensionist Ernst Kirchweger von einem Anhänger Borodajkewycz niedergeschlagen, knallte mit dem Kopf gegen das Straßenpflaster und erlag seinen Verletzung drei Tage später. Borodajkewycz wurde 1965 zwangspensioniert – bei vollen Bezügen.
Foto: Kurier/Sokol Gerhard Es sollte eine der letzten Staustufen der Donau in Österreich werden: Das Wasserkraftwerk in Hainburg. Doch der Preis dafür, die Zerstörung der Donau-Auen rund um Hainburg, war vielen zu hoch. Am 4. Mai 1984 startete der Widerstand: Eine Reihe von Jungpolitikern präsentierte, als Tiere verkleidet, das Konrad-Lorenz-Volksbegehren. Es folgten Demonstrationen, von Bürgerinitiativen und Studierenden organisiert. Am 8. Dezember, kurz vor Beginn der Rodungsarbeiten, startete die Besetzung der Au mit dem von der ÖH und den Initiatoren des Volksbegehrens organisierten Sternmarsch. Immer wieder kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und den Besetzern. Der Widerstand war erfolgreich: Das Kraftwerk wurde nie gebaut.
Foto: KURIER/Gerhard Deutsch Im Herbst 2009 war die Stimmung unter heimischen Studierenden an zwölf Unis des Landes – von der Uni Wien bis nach Vorarlberg – mehr als angeheizt. Unter dem Motto „unibrennt“ besetzten sie zum Teil wochenlang Hörsäle und Uniräume, organisierten Märsche und Streiks. Ziel war ein Protest für den freien Hochschulzugang, gegen die Umstellung auf das Bologna-System und gegen Studiengebühren. Bei der Uni-Wien-Demo „Geld für Bildung statt für Banken und Konzerne“ sollen laut Polizei 10.000 auf der Straße gewesen sein, die Veranstalter sprachen von 50.000 – einzigartig in Österreich, weshalb „unibrennt“ auch international für Aufsehen gesorgt hat. Zumindest für diese Zeit waren die Hochschulen in aller Munde.
Foto: APA/HANS PUNZ Gibt es eine Demo für bessere Studienbedingungen, keine Studiengebühren oder Zugangsbeschränkungen, ist sie nicht weit: Die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH). Das ist seit sieben Jahrzehnten so, denn die ÖH wurde am 3. September 1945 per Gesetz geschaffen. Am 19. November 1946 fanden die ersten Wahlen statt, mit einer für heutige Verhältnisse fantastischen Wahlbeteiligung von 82 Prozent (2017 lag sie bei 24,5 Prozent). Das politische Interesse vieler ÖHler verlischt nicht mit dem Ende des Studiums. Oft ist sie nur der Anfang einer großen politischen Karriere. So war es etwa bei Ex-Bundespräsident Heinz Fischer, der grünen Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, bei Neos-Chef Matthias Strolz oder bei Langzeitbürgermeister Michael Häupl (SPÖ).