Walter T. ist 57 Jahre und hat keine Chance mehr auf einen Arbeitsplatz. Das hat er sogar schriftlich: "Hohe Wahrscheinlichkeit auf Langzeitarbeitslosigkeit und keine, auch nur annähernd dem letzten Einkommen entsprechende Verdienstmöglichkeit mehr", steht in einem Gerichtsgutachten. Der technische Einkäufer hatte seine Kündigung nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit wegen Sozialwidrigkeit vor dem Arbeitsgericht Wien angefochten. Sein Job fiel nämlich nicht ganz weg, er wurde einfach durch eine Jüngere ersetzt.
Der Sachverständige musste herausfinden, ob es für T. tatsächlich keinen Arbeitsplatz mehr gibt. Er wertete Stellenanzeigen aus und interviewte sechs Personalvermittler. Das Ergebnis war ernüchternd: Aufgrund seines Alters würden sie T. nicht einmal zu einem Bewerbungsgespräch einladen, so die einhellige Reaktion.
Die Skepsis betraf dabei nicht etwa mögliche Gehaltsvorstellungen, sondern das Alter schlechthin. Einkommenseinbußen von 20 Prozent gegenüber dem Letztgehalt werden vom Gericht als zumutbar bewertet. Ein neuer Vorgesetzter wäre aber wahrscheinlich jünger und würde ein "altersmäßig homogenes Team bevorzugen", hieß es.
Bei längerer Arbeitslosigkeit stehen die Chancen für eine Kündigungsanfechtung gut, sofern der Arbeitgeber zuvor weder wirtschaftliche noch persönliche Gründe für die Kündigung geltend machen konnte. Die Arbeiterkammer Wien (AK) vertrat im Vorjahr 165 Arbeitnehmer in Anfechtungsverfahren. Sie hat Dutzende Fälle gesammelt, bei denen über 50-Jährige keine Chance mehr auf eine Anstellung hatten. "Je besser der Job und das Gehalt, desto größer die Chance mit einer Anfechtung", sagt Hans Trenner, Leiter der Rechtsschutzabteilung der AK Wien zum KURIER. Geringverdiener würden nämlich leichter wieder eine Stelle finden. Laut Trenner nehmen die Anfechtungsfälle zu, es würden aber immer noch viel zu wenige Arbeitnehmer diese Möglichkeit nutzen.
Während in Deutschland fast die Hälfte aller Prozesse beim Arbeitsgericht Anfechtungen betreffen, sind es in Österreich gerade einmal drei Prozent. Ein Grund ist die Beweislast, die in Österreich anders als in Deutschland beim Arbeitnehmer liegt. Dieser muss beweisen, dass die Kündigung sozialwidrig war, weil er danach keinen Job mehr findet. Die dafür oft nötigen Sachverständigen-Gutachten kosten mindestens 1000 Euro.
Ein zweiter Grund für die geringe Zahl an Anfechtungen sind die so genannten "Golden Handshakes", also freiwillige Abfertigungen, mit denen älteren Mitarbeitern der Abschied oft "versüßt" wird. Damit wollen Arbeitgeber – oft mit Segen des Betriebsrates – möglichen Anfechtungen wegen Sozialwidrigkeit entgehen. Eine umstrittene Praxis, weil zum Teil der Steuerzahler die Zeche dafür zahlt. Trotz Reform vor einigen Jahren sind bei langer Betriebszugehörigkeit die Handshakes nach wie vor steuerlich begünstigt.
Die meisten Anfechtungsverfahren vor dem Arbeitsgericht enden mit einem Vergleich. Verliert der Arbeitgeber den Prozess, muss er nämlich für die gesamte Zeit bis zum Ende des Verfahrens das Gehalt nachzahlen. Nur ein kleiner Teil der Gekündigten möchte wieder zurück an den alten Arbeitsplatz. Walter T. erzielte ebenfalls einen Vergleich und ist noch immer auf Jobsuche.
Arbeitnehmer über 50 Jahren können zwar jederzeit gekündigt werden, sie können aber ihre Kündigung wegen Sozialwidrigkeit vor Gericht anfechten. Bei der Beurteilung der Sozialwidrigkeit sind der Umstand einer langen Betriebszugehörigkeit und die wegen des höheren Lebensalters zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess besonders zu berücksichtigen.
Geschützt werden Mitarbeiter in Betrieben mit mindestens fünf Mitarbeitern. Seit Juni 2017 gilt der spezielle Kündigungsschutz für Neueinstellungen von Personen über 50 Jahre nicht mehr. Im Verfahren berücksichtigt werden auch finanzielle Belastungen und Sorgepflichten, der Arbeitgeber kann sich auf betriebliche Erfordernisse oder persönliche Umstände berufen.
Ziel der Anfechtung ist entweder die Wiedereinstellung samt Nachzahlung des zwischenzeitigen Einkommensverlusts oder eine Art Abschlagszahlung in Form eines Vergleichs.