KURIER: VW führte bei Abgastests Tierversuche mit Affen durch. Eine legitime Methode?
Hans Bernhard Schmid: Eine Frage betrifft hier das Verhältnis von Wirtschaft und Forschung. Ich bin der Meinung, dass durchaus auch Unternehmen forschen sollen, gerne auch in Kooperation mit anderen Forschungsinstitutionen. Etwas anderes ist die Frage nach Ethik oder Unethik von Tierversuchen. Ich will nicht ausschließen, dass es starke ethische Gründe für bestimmte Tierversuche gibt, es gibt aber auch Gründe dagegen. Dagegen spricht der instrumentelle Umgang mit Tieren. Ich finde es aber bemerkenswert, dass sich Menschen über Tierversuche aufregen, aber Tiere essen. Instrumenteller kann man ja mit einem Tier kaum umgehen. Das Argument für Tierversuche ist, dass man damit unter Umständen viel Leid lindern oder verhindern kann. Vielleicht liegt auch hier ein tragischer Konflikt vor: Man muss den guten Zweck und die bösen Mittel gegeneinander abwägen. Moralisch richtig sauber kommt man aus so etwas nie heraus.
Viele sehen Bitcoin als Blase, als künstliche Währung, hinter der nichts steht. Was sagen Sie?
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass sich der Bitcoin hält. Bitcoin gibt es gar nicht wirklich, sagen manche, es steckt ja gar nichts dahinter. Aber gibt es den guten Euro, den Sie auf Ihr Konto bekommen? Es gibt natürlich beides, Bitcoin und Euro, aber auf je unterschiedliche Weise. Hinter dem Euro steht ein politisch gestütztes Bankensystem. Der Bitcoin hat nichts dergleichen. Aber wenn wir uns den Bitcoin näher anschauen, ist er doch in gewisser Hinsicht realer als der Euro. Bitcoin ist im Grunde eine Währung eines uralten Typs: eine Primärwährung, ähnlich wie eine Goldwährung. Beim Euro ist das nicht so, das ist Fiatgeld. Der Schein, den Sie in der Hand haben, ist als Papierschnitzel nichts wert und auch keine knappe Ressource. Papier gibt es viel und billig. Und da gibt es auch kein Gold, durch das der Wert gedeckt ist.
Aber der Euro funktioniert, beim Bitcoin habe ich Zweifel.
Foto: KURIER/Jürg Christandl Der Euro funktioniert nur durch unser blindes Vertrauen ins Bankensystem. Der Bitcoin verdankt seine Entstehung der Erschütterung dieses Vertrauens. Er hat eine viel realere Grundlage, die mathematischen Berechnungen beim Schürfen. Es ist ähnlich wie beim Gold: es ist knapp und sehr schwer zu gewinnen. Aber anders als Gold lässt sich die Grundlage des Bitcoins unglaublich leicht transportieren. Transaktionen werden dadurch enorm erleichtert, und das ist doch der Sinn und Zweck von Geld.
Kein Funken Kritik?
Die starken Währungsschwankungen sind ein Hindernis. Dadurch wird der Bitcoin zum Spekulationsobjekt, das beeinträchtigt seine Funktion als Tauschmittel. Außerdem kann man keine verlässlichen Wirtschaftsdaten mehr erheben, wenn das Meiste über uneinsehbare Kryptowährungs-Accounts abgewickelt wird. Wenn ich nicht weiß, wie die Wirtschaft läuft, kann ich nicht die richtige Wirtschaftspolitik machen. Es stellt sich auch die Frage, wer diese Leute sind, die solche Kryptowährungen initiieren. Sichern diese sich schon vorweg einen satten Gewinn? Ich würde mein weniges Geld jedenfalls nicht in sie investieren. Außerdem entstehen wohl Probleme mit Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung. Für einen Philosophen ist jedoch das Grundsätzliche wichtig, und da muss ich bekennen: ich bin von diesem Phänomen fasziniert.
Wie weit dürfen Unternehmen gehen, wo gibt es aus Sicht der Wirtschaftsethik Grenzen?
Foto: REUTERS/Benoit Tessier Die Moral setzt engere Grenzen als das Recht. Wir empören uns manchmal über unmoralisch handelnde Unternehmen. Ist das überhaupt sinnvoll? Moralisch empören kann man sich ja nur über moralfähige Akteure. Nicht über lärmende Maschinen zum Beispiel, sondern über die Personen, die mit ihnen lärmen. Sind nun Unternehmen Personen oder eher Maschinen? Antwort: ein wenig von beidem. Klar sind sie Instrumente zur Renditeerzeugung. Sie sind aber auch Akteure. Unternehmen haben Unternehmensstrategien. Sie sollten in ihrer Unternehmenskultur die Fähigkeit zu moralischer Reflexion einbauen. Aber auch gute, verantwortliche Unternehmen sind nicht im gleichen Sinn moralische Akteure wie einzelne Menschen. Sie sind eben auch Instrumente zum Unternehmenszweck.
Der Jobabbau bei Siemens ist trotz Milliarden-Gewinn kein Problem?
Siemens ist ein gutes Beispiel. Unternehmen werden in Erwartung einer Rendite finanziert. Soweit wir das als legitim akzeptieren, sollten wir ihnen aus der Rentabilitätsorientierung ihrer Unternehmenspolitik keinen moralischen Strick drehen. In Anbetracht der Tatsache, dass Siemens ein Unternehmen ist, ist moralische Empörung über die Entscheidung von Siemens daher nicht die nächstliegende Reaktion.
Was wäre die richtige Reaktion?
Bei der Aktionärsversammlung sind mir zwei Phänomene aufgefallen. Der CEO Joe Kaeser hat den Ball der Politik zugespielt und sinngemäß gesagt, man dürfe sich angesichts der energiepolitischen Entwicklungen in Europa und den USA nicht wundern, dass der Geschäftszweig konventioneller Kraftwerkstechnologie in die USA verschoben wird. Dieses Argument scheint mir nachvollziehbar zu sein.
Und die Mitarbeiter?
Das ist das andere Phänomen. Eine Gruppe der von Entlassung betroffenen haben mit Schildern "Wir sind Siemens" protestiert. Das schien mir völlig richtig zu sein, und zwar wortwörtlich. Ein Unternehmen kann in einem komplexen Umfeld mit einer komplexen Geschäftspolitik letztlich nur funktionieren, wenn sich die Mitarbeiter mit ihm identifizieren. Das macht Entlassungen so hart. Ein Unternehmen mit akzeptabler Unternehmenskultur kann doch nicht die eigene Substanz einfach in den Regen stellen. Letztlich ist das ein tragischer Konflikt: Zwei legitime Interessen kollidieren, es ist ein moralisches Dilemma. Man kann hier nur mit Augenmaß vorgehen und mit Gespür versuchen, was möglich ist. Es gibt da wohl keine allgemeingültige Regel.