KURIER: In Österreich werden nach aktuellen Zahlen täglich 14,7 Hektar verbaut, rund 21 Fußballfelder teils fruchtbares Ackerland. Was läuft falsch?
Reinhard Seiß: In vergleichbaren Staaten wie Deutschland, der Schweiz, Holland und Dänemark gibt es viel mehr Disziplin und Ernsthaftigkeit in der Planungspolitik. Das schlägt sich in einem geringeren Flächenverbrauch nieder. Wir sind Europameister im Bodenverbrauch.
Wo ist man in Österreich zum Beispiel undiszipliniert?
Überall. Von unnötigen Autobahnen und Schnellstraßen über freistehende Einfamilienhäuser bis zum Einzelhandel im Gewerbegebiet. Das Überangebot an Gewerbeflächen vielerorts erlaubt bloß eingeschoßige Bauten und endlose ebenerdige Parkplätze. Wirkliches Gewerbe sucht man dort oft vergebens. Mittlerweile haben viele Bundesländer diese Entwicklung eingeschränkt, aber es gibt eine große Zahl bestehender Widmungen. Und so wird weiter viel Boden vergeudet.
Die österreichische Wirklichkeit an einem Samstagnachmittag zeigt doch, dass die Leute in Scharen in die Gewerbegebiete zum Einkaufen fahren.
Weil es scheinbar am bequemsten ist. Doch werden dabei die Folgekosten für die Umwelt und kommende Generationen ignoriert. Und dass der Einkauf am Stadtrand billiger ist, ist nicht gottgegeben. Dort zahlt man keine Parkgebühr, in der Innenstadt schon. Dabei: Wenn man öffentlich oder per Rad ins Stadtzentrum fährt, fügt man der Gesellschaft keinerlei Schaden zu. Mit dem Auto am Stadtrand hingegen schon. Foto: KURIER/Franz Gruber
Wie könnte man die ausufernden Gewerbegebiete im Wachstum bremsen?
Bauland und Mieten im Gewerbegebiet sind viel billiger als in klassischen Geschäftslagen. Auch das verzerrt den Wettbewerb. Was hindert die Politik daran, dem Handel im Gewerbepark eine saftige Grundsteuer aufzubrummen? Alle wollen doch die Ortskerne und Stadtteilzentren stärken. Die Politik sollte die Handelshäuser daher wieder dorthin lenken.
Ist die Raumplanung für die Politik ein Stiefkind?
Absolut. Der Bund hat sich von jeglicher Verantwortung für die Siedlungsentwicklung freigesprochen, und die Länder üben sich im Laisser-faire. Schlechte Siedlungsstrukturen werden von der Politik oft noch gefördert.
Die Flächen werden von den Gemeinden gewidmet. Was müssten die Länder von den Gemeinden einfordern?
Die Länder müssten nur auf der Erfüllung ihrer vollmundig formulierten Ziele beharren. Die Landesraumordnung müsste keinen einzigen Fehltritt einer Gemeinde erlauben. Doch oft reicht es, wenn ein Bürgermeister beim Landesrat anruft, um ein Vorhaben entgegen aller Nachhaltigkeitsziele durchzubringen. Die Gemeinden können ihre Kompetenzen ruhig behalten, aber man muss sie ernsthaft kontrollieren.
Es gibt große Baulandreserven. Wie bringt man die Eigentümer zum Bauen oder Verkaufen?
Die Instrumente gäbe es. Steuern und Abgaben können eine lenkende Wirkung aber nur entfalten, wenn sie auch konsequent angewandt werden. Die Gemeinden können über Verträge eine Baulandmobilisierung erwirken, tun dies jedoch viel zu selten. Aber auch der Gesetzgeber hätte Möglichkeiten. Was spricht dagegen, die Grundsteuer neu zu regeln und für Bauland, das seit zehn Jahren brachliegt, spürbar höher zu bemessen?
Fordern Sie auch Rückwidmungen von bestehendem Bauland?
Ein Teil unseres Baulandüberhangs befindet sich an grundsätzlich falschen Standorten – ob fernab des Ortszentrums oder abseits des öffentlichen Verkehrs, ob in ökologisch wertvollen Zonen oder auf viel zu gutem Ackerland. Eine Rückwidmung solchen Baulandes wäre das einzig Sinnvolle.
Die Kommunalsteuer belohnt nur das Wachstum der Gemeinden. Ein Problem?
Ja. Es muss eine nachhaltige, raumverträgliche Entwicklung forciert werden. Derzeit wird eine Gemeinde belohnt, wenn sie einen Spediteur an Land zieht, der sich im Nirgendwo ansiedelt. Die Kommunalsteuer ist eine Triebfeder für den Bodenverbrauch.
Zuletzt ging der tägliche Bodenverbrauch immerhin von 19,1 Hektar auf 14,7 Hektar pro Tag hinunter. Macht das nicht Hoffnung?
Es gibt keine Indizien, dass sich diese Entwicklung in derselben Geschwindigkeit fortsetzt. In der Nachhaltigkeitsstrategie von 2002 nannte die Bundesregierung als Ziel, den täglichen Bodenverbrauch auf 2,5 Hektar zu reduzieren, und zwar bis 2010. Wir haben also immense Altlasten und ändern uns viel zu langsam.
Zur Person: Reinhard Seiß (47) studierte an der TU Wien und arbeitet als Raumplaner und Fachpublizist. Sein Buch "Wer baut Wien?", das ein Sittenbild der Wiener Baupolitik zeichnet, fand große Aufmerksamkeit. Der Oberösterreicher ist auch Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.