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Mit Mythen übers Alter aufräumen

2-01-2018, 06:00

Die Österreicher werden immer älter, nur scheinbar will das niemand wahrhaben. Am Arbeitsmarkt herrscht ein Jugendwahn, nur wer jung ist gilt als aktiv und produktiv. Völlig falsch, meint Personalberater und Buchautor Leopold Stieger und rückt im KURIER-Interview ein paar Mythen übers Alter zurecht.

KURIER: Herr Stieger, ab wann ist ein Mensch alt?

Leopold Stieger: (denkt nach) Viel später als man glaubt. Man ist so alt wie man sich fühlt, denke ich.

Am Arbeitsmarkt gelten Frauen ab 45 und Männer ab 50 als alt. Warum ist das so?

Weil die Betriebe dumm sind. Wichtig ist die altersmäßige Durchmischung. Wer nur Junge anstellt, dem fehlt das Know-how. Das wirkt sich aber oft erst in ein paar Jahren aus. Die Jungen fahren ja zunächst auf den Schienen, die die Alten gelegt haben.

Angesichts der Demografie dürfte der Fachkräftemangel noch erheblich zunehmen. . .

Die steigende Lebenserwartung ist eine Zeitbombe, wir werden das schon in den nächsten Jahren sehen. Die Firmen müssen erkennen, dass Ältere einfach Dinge können, die die Jungen nicht draufhaben. Wenn die Alten weg sind, geht mit ihnen auch das Know-how verloren. Viele Firmenchefs erkennen das zu spät. Sie müssen sich angesichts der Demografie überlegen, wie sie Ältere länger im Betrieb halten, oder sogar neue anlocken.

Sie selbst sind mit 78 Jahren als Berater noch voll berufstätig. Sehen Sie sich als Vorbild?

Ja, schon. Ich will ein bisserl ein Missionar sein, was die Beschäftigung im Alter anbelangt. Ich muss ja nicht mehr verdienen, aber ich will. Ich möchte vor allem Bewusstsein für ein neues Bild des Alters schaffen. Derzeit haben wir ein völlig falsches Bild davon.

Sie teilen die Lebenszeit nicht wie üblich in drei Abschnitte – Ausbildung, Beruf, Ruhestand – sondern in vier. Warum?

Ganz einfach. Unsere Großeltern konnten erst mit 65 in Pension gehen, aber die Lebenserwartung betrug damals auch nur 66 bzw. 73 Jahre. Heute liegt sie bei 79 bzw. 83 Jahre und steigt täglich um sechs Stunden. Es gibt mehr als 1350 über 100-Jährige, in den 1950er-Jahren waren es erst 50. Zwischen Pensionsantritt und Ruhestand liegen heute 20 Jahre. Und diese Phase, ich nenne sie Freitägigkeitsphase, wird täglich länger.

Was verstehen Sie unter Freitätigkeitsphase?

Das sind die Lebensjahre, wo im Prinzip jeder noch fast alles kann, aber nicht unbedingt muss. In der Zeit ist noch alles drin. Wenn jemand gesundheitlich gut beisammen ist, kann er noch mit 80 eine Firma gründen, da gibt es ja Beispiele. Ich möchte, dass die Menschen erkennen, dass sie nach dem Pensionsantritt erst in dieser dritten Phase sind und nicht schon im Ruhestand.

Das heißt, die wenigsten sind auf diesen dritten Lebensabschnitt vorbereitet?

Stimmt. Viele freuen sich auf den Ruhestand, vergessen aber, sich auf die Zeit davor vorzubereiten und fallen schon bald nach Pensionsantritt in ein schwarzes Loch. Nichts zu tun oder zu verreisen, freut einem ja nur für eine bestimmte Zeit. Dann stellt sich unweigerlich die Frage: Wer braucht mich noch?

Viele Pensionisten engagieren sich ehrenamtlich in einem Verein oder in der Gemeinde. Reicht das nicht?

Nicht nur, es gibt auch bezahlte Tätigkeiten ohne Alterslimit, etwa als Selbstständiger. Ich denke da nur an die vielen Gärten, wo im Herbst jemand das Laub zusammenkehren muss. Wer das in seinem Garten ohnehin macht, kann es auch den Nachbarn anbieten. Wenn Pensionisten noch aktiv etwas leisten, wäre das auch ein enormer volkswirtschaftlicher Gewinn. Der Staat könnte auch zusätzlich Steuereinnahmen lukrieren. Ab 65 kann ja jeder unbegrenzt dazuverdienen.

Sind Sie für eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters?

Es sollte wie in Schweden automatisch der Lebenserwartung angepasst, dafür flexibler werden. Wer früher in Pension will, soll das ruhig mit entsprechenden Abschlägen tun können. Vielleicht hat jemand ja mit 55 noch eine tolle Ideen und will selbstständig werden.

Immer mehr Pensionsantritte erfolgen aus der (Langzeit)-Arbeitslosigkeit heraus oder aus dem Krankenstand. Malen Sie da nicht ein zu optimistisches Bild vom Arbeitsmarkt?

Ich denke, ein gewisser Teil der älteren Arbeitslosen wäre schon aktivierbar, wenn sie jemand aufweckt, dass sie es schaffen, ihre eigenen Potenziale und Talente zu erkennen und zu nutzen. Ich appelliere da ganz stark an die Eigenverantwortung. Jeder muss selbst für sich denken und nicht nur schimpfen. Die Frage, ob mein Leben sinnvoll war, kann mir niemand abnehmen.

Zur Person:

Leopold Stieger (78) ist ein  Pionier der Personalentwicklung in Österreich und gründete 1972 die GfP, die Gesellschaft für Personalentwicklung. In seiner „dritten Lebensphase“  hilft er als Vortragender und Buchautor Menschen beim Übergang zwischen Beruf und Pension. Er betreibt   auch die Plattform „Seniors4Success“. Kürzlich ist sein neues Buch „Freitätigkeit“  (124  Seiten, 14,80 €) erschienen.

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