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Effektiver Altruismus: "Berechnend, aber nicht kaltherzig"

26-12-2017, 07:00

Sie helfen nicht aus einem Bauchgefühl heraus, sondern im Sinne der Effizienz. Effektiven Altruisten geht es um Gewinnmaximierung im Dienste des Guten. Die noch junge Bewegung agiert dabei streng rational und wissenschaftlich. Erst Hirn, dann Herz. Weil die zentralen Ressourcen Zeit und Geld begrenzt sind. Sie fragen sich: Was bringt den meisten Nutzen? Wie kann ich mit meiner Spende das Maximum bewirken? Der KURIER sprach mit Thomas Blank, Leiter des "Vereins für effektiven Altruismus" , über die Ökonomie des Spendens und wie sehr der Rechenstift zu Mitmenschlichkeit passt.

KURIER: Altruismus bedeutet Selbstlosigkeit. Wie passt das zum Begriff "effektiv"?

Foto: KURIER/Gerhard Deutsch Thomas Blank: Effektive Altruisten beschäftigt die Frage, wie man mit den limitierten Ressourcen, die zur Verfügung stehen, das Beste am Guten herausholen kann. Es geht um den Gedanken, wie möglichst vielen Menschen geholfen werden kann. So ist der Effektivitätsgedanke zum Altruismus gekommen.

Gewinnmaximierung im Dienste der Mitmenschlichkeit?

Es ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung für Mitmenschlichkeit. Oft wird kritisiert, dass das recht kaltherzig wirkt. Effektive Altruisten sind berechnend, aber nicht kaltherzig. Die Welt stellt uns vor eine Option, die uns nicht viele Möglichkeiten lässt. Die Frage nach der effektivsten Intervention ist für uns die plausibelste.

Wie schaut das praktisch aus?

Die Bewegung ist sehr heterogen, es gibt viele Diskussionen. Für das Ziel der Wirtschaftlichkeit existieren sogenannte Meta-Hilfsorganisationen. Sie haben den Auftrag, die Effektivität anderer Hilfsorganisationen zu bewerten. Davon lassen wir uns in unserem Spendenverhalten leiten. Da gibt es verschiedene Faktoren – etwa die Wichtigkeit des Themas, also, wie viel Leid durch eine gewisse Investition vermeidbar wird. Dann die Lösbarkeit des Problems. Bei einer Organisation in der Entwicklungshilfe etwa frage ich: Wie kann sie tatsächlich einen Umschwung bewirken? Drittes Kriterium ist Vernachlässigung. Wie sehr ist die Organisation in einer Nische tätig? Wie sehr ist das Thema schon von anderen abgedeckt?

Ein praktisches Beispiel?

Etwa die "Against Malaria-Foundation", die Moskitonetze in Afrika verteilt. Ein Netz kostet zirka über vier Dollar, ist aber außerordentlich effektiv darin, gegen Malaria zu schützen. Ich denke, Spenden im Bereich Entwicklungshilfe, Armutsbekämpfung sind keine Form von Spiel, sondern eine Entscheidung zwischen Leben und Tod. In diesem Bereich nicht zu versuchen, zu maximieren, um die meisten Menschen zu retten, wäre nachlässig.

Was braucht eine Hilfsorganisation für eine Empfehlung?

Meist sind das solche, die einen sehr speziellen Bereich bedienen. Es braucht eine Form von Transparenz. Und die Bereitschaft, das eigene Tun zu evaluieren.

Was machen Sie als effektiver Altruist konkret?

Zwei Säulen sind uns ein Anliegen. Zum einen Öffentlichkeitsarbeit: Was bedeutet effektiver Altruismus? Um die Möglichkeit aufzeigen, dass – wenn der Wunsch besteht, Gutes zu tun – man das auch nach empirisch-rationalen Gesichtspunkten tun kann. Zweitens haben wir auch ein gewisses Spendenaufkommen. Etwa für die erwähnte "Against Malaria Foundation". Ein weiterer Bereich betrifft Tierrechte und Tierschutz, wo es ausgezeichnete Charities gibt, die eine hohe Effektivität vorweisen können. Die Arbeit, die wir leisten, ist freiwillig und ehrenamtlich. In Österreich ist der effektive Altruismus erst im Entstehen.

Wer sind die österreichischen effektiven Altruisten?

Wir sind als Team, das fest daran arbeitet, zu fünft. Im Dunstkreis befinden sich nochmals ein, zwei Dutzend Leute. Von uns angesprochen fühlen sich vor allem Studenten und junge Arbeitstätige.

Wie kamen Sie dazu?

Ich habe viele Freiräume in Österreich, man ist privilegiert, kann sich aussuchen, was man studiert. Da habe ich irgendwann begonnen, mich mit Ethik zu beschäftigen, weil ich das Gefühl hatte, dass dieses selbstzentrierte Fragen, was ich für mich tun kann, nicht genug ist. Im effektiven Altruismus trifft man viele Menschen, denen es genauso geht. Die sagen: Sich die ganze Zeit mit mir selbst zu beschäftigen, war mir nicht genug, ich möchte auch etwas für andere tun.

Tut man da aktiv auch Gutes, abseits von Spenden und Denkkonstrukten?

Es geht genauso darum, effektiv direkt Arbeit zu leisten. Aber es ist schon so, dass durch die geleistete Arbeitsstunde und durch die Spende mehr bewegt werden kann, als durch den direkten Einsatz. Viele effektive Altruisten können durch ihren Beruf ein gewisses Einkommen generieren. Da ist es durchaus effektiver, eine Stunde länger zu arbeiten als sich fünf Stunden in eine Suppenküche zu stellen.

Die Menschen am Rande der Gesellschaft wollen auch gesehen werden. Geld macht etwas möglich, aber es "sieht" nicht, stellt keine Nähe her, die ebenfalls dringend benötigt wird.

Wir würden niemandem von direkter Hilfe abraten, schon schlicht aus dem Grund, um dieses Mitgefühl aufrechtzuerhalten. Gefühl und Verstand gehören zusammen. Es geht nicht darum, das eine gegen das andere auszuspielen. Der Motivator ist immer Mitgefühl.

Linderung des Leids als mathematische Gleichung – lässt sich das in eine Formel gießen?

Wenn wir von Effektivität reden und versuchen, den Spendenaspekt zu ökonomisieren, geht es nicht anders, als gewisse Kennzahlen auszurechnen. Und mit statistischen Mitteln zu schauen, welche Form für die effektive Spende geeigneter ist.

Es heißt, dass viele effektive Altruisten in der Finanzbranche arbeiten. Weil es darum geht, viel Geld zu verdienen, um viel Geld spenden zu können.

Ich kenne kaum Menschen, die in der Finanzbranche arbeiten. Es gibt eine Organisation, die heißt 80.000 Hours, 80.000 Stunden. Die macht Karriereberatung für effektive Altruisten. Früher wurde darauf gedrängt, einen guten Job anzunehmen, um möglichst viel spenden zu können. Ich habe das immer für einen PR-Gag gehalten. Die Realität sieht anders aus. Aber natürlich gibt es ein paar "EA-Extremsportler", die einen hohen Teil ihres Einkommens spenden, zwischen 30 und 40 Prozent sogar.

Jetzt ist Weihnachten, die Hochzeit des Spendens. Was raten Sie im Sinne der Effizienz?

Man sollte kritisch hinterfragen, ob die Organisation, an die ich spenden möchte, das Ziel erfüllt, das ich mir vorstelle. Wenn es mir darum geht, möglichst viel Leid zu vermeiden, sollte ich mich fragen: Kann das die Organisation leisten, ist sie transparent genug? Kann sie Unterlagen anbieten, durch die ich sehe, dass mein Geld effektiv ankommt? Das ist zwar mehr Aufwand, als nur zu spenden, aber das schuldet man sich selbst. Man hat das Geld verdient, das man spendet. Es ist psychologisch erwiesen, dass Spenden glücklich macht. Bei aller Gefühlsbetonung würde ich trotzdem anraten, diesen kleinen Extraschritt zu gehen.

Ist Schenken im Sinne des effektiven Altruisten?

Schenken ist auch eine Art Spende, etwas Altruistisches. Viele der effektiven Altruisten, die ich kenne, versuchen jedoch, die Geschenke nicht überdimensional werden zu lassen. Man kann dieses Fest des Schenkens gleichzeitig dazu benutzen, Leuten, die nie davon träumen können, solche Geschenke zu empfangen, das Leben ein wenig leichter zu machen.

Thomas Blank Der 29-jährige hat Mathematik und Psychologie studiert. Derzeit arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der MedUni Wien,  im Bereich Neurowissenschaften. Er befindet sich in Ausbildung zum Verhaltenstherapeuten.  

Effektiver Altruismus (EA) ist der Name einer zivilgesellschaftichen Bewegung und einer Idee Evidenz und Vernunft zu nutzen, um effektivstmögliche Wege zu finden, in der Welt Gutes zu tun. Eine der Säulen ist ein Kosten-Nutzen-Denken. Als Mittel dienen empirische Erkenntnisse und rationale Argumente. Ziel der effektiven Altruisten ist es, dass ihr Handeln die größte positive Auswirkung („Impact“) hat. Seine Wurzeln hat der effektive Altruismus in den USA und England.

Buchtipp: „Gutes besser tun. Wie wir mit effektivem Altruismus die Welt verändern können“ von William MacAskill.

Info: effectivealtruism.at

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