Wie ein schwimmender Gemeindebau schiebt sich das Schiff in den norwegischen Fjord, der längst nicht mehr so einsam ausschaut wie auf den Postkartenfotos. Zwei weitere Schiffe haben schon angelegt und ein paar Tausend Touristen auf Land geschickt – in den Geirangerfjord.
Das norwegische Dörfchen mit gerade einmal 230 Einwohnern ist jede Saison Ziel von rund 700.000 Touristen. Die meisten bleiben nur wenige Stunden, dann geht’s wieder zurück aufs Schiff und weiter zum nächsten Hafen. Eine Form der Reise, die an Fahrt gewinnt.
Vor Venedig oder Barcelona ankern zeitweise acht Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig. Was für die Reedereien ein gutes Geschäft ist, wird für die Bevölkerung zur Belastung. Auch Umweltschützer schlagen Alarm. "Die Schiffe liegen wie ungefilterte Kraftwerke im Hafen", sagt Daniel Rieger vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Denn Rußpartikelfilter wie bei Autos sucht man bei Kreuzfahrtschiffen vergeblich. Dazu kommt, dass die schwimmenden Hochhäuser auf hoher See so gut wie ausschließlich mit Schweröl befeuert werden. Dabei handelt es sich um ein Restprodukt der Raffinerien, das hohe Anteile an Schwefel, Asche, Schwermetallen und anderen giftigen Substanzen enthält.
Eigentlich Sondermüll, der kostenpflichtig entsorgt werden müsste. Wären da nicht die Schiffe, die damit billig fahren, sagt Rieger. Ein Schiff verursacht laut den Berechnungen von Nabu so viel Feinstaub wie eine Million Pkw und und so viel Schwefeldioxid wie 380 Millionen Autos. Dass das ungestraft möglich ist, liegt daran, dass Umweltschutz am offenen Meer keine Lobby hat.
Auf globaler Ebene macht die IMO (International Maritime Organisation) die Spielregeln. In dieser haben die großen Flaggenstaaten ein gewichtiges Wort mitzureden, denen das eigene Geschäft wichtiger ist als der Schutz der Umwelt, klagen NGO. Letztere sind in den IMO-Entscheidungsgremien überhaupt nicht vertreten.
Studienergebnisse der Weltgesundheitsorganisation, wonach Schiffsabgase Krebs erregend sind und die besonders herz- und lungenschädigenden Rußpartikel noch mehrere Hundert Kilometer weit ins Landesinnere geweht werden können, verhallen weitgehend ungehört. "Einzig aus Profitgründen verzichtet ein Großteil der Branche darauf, auf höherwertige Kraftstoffe umzusteigen und ihre Schiffe mit Abgastechnik auszurüsten", ärgern sich die Umweltschützer.
Ein Vorwurf, den die Traumschiffindustrie so natürlich nicht auf sich sitzen lässt. AIDA, mit 900.000 Passagieren im Jahr die Nummer eins am deutschsprachigen Markt, gestaltet ihr Wachstum laut eigenen Angaben "nachhaltig und verantwortungsvoll". Von den derzeit zwölf Schiffen der AIDA-Flotte verfügen drei über Landstromanschlüsse, weitere sechs werden auf Landstrom vorbereitet. Seit April 2017 kann die AIDAsol in Hamburg Altona während der Liegezeit über eine Landstromanlage zu hundert Prozent mit Ökostrom versorgt werden. Klingt gut, ist aber ganz offenbar nicht breitenwirksam, wie die Beobachtungen von Nabu zeigen.
Die Stadt Hamburg hat in Altona zwölf Millionen Euro in eine Landstrom-Anlage investiert und diese bereits in Betrieb genommen. "Von 190 Schiffen haben voriges Jahr genau zwei die Anlage genutzt", weiß Rieger.
Warum das so ist, ist leicht erklärt. Der saubere Landstrom ist für Schiffe teurer als der selbst gemachte aus den laufenden Dieselmotoren. "An Bord kostet die Kilowattstunde drei Cent, die saubere Energie vom Land 35 Cent", rechnet Rieger vor. Unter dem Strich geht es um riesige Summen. Denn auch wenn das Schiff steht, ist es ein Energiefresser. Das liegt daran, dass der Betrieb an Bord am Laufen gehalten werden muss: Die Küchen, Bars und Restaurants, die Freizeitparks an Deck, die Pools und Wellnessbereiche sowie die Suiten fressen Strom. Damit ist der Energiebedarf eines Schiffes mit 3000 Passagieren an Bord gut mit jenem einer Kleinstadt vergleichbar.
Ein anderer Punkt ist, dass Landanschlüsse in Deutschland zwar viel diskutiert werden, außerhalb von Europa aber kaum ein Thema sind. So kommt es, dass sich Reedereien derzeit oft noch gar nicht mit den Investitionen in diesem Bereich auseinandersetzen. Auch die Häfen umschiffen die dafür nötigen Investitionen lieber großräumig.
Auf der Forderungsliste der Umweltschützer an die Kreuzfahrtreeder steht der Umstieg von Schweröl auf einen vergleichbar sauberen Treibstoff wie Flüssiggas (LNG) oder schwefelarmen Diesel ganz oben. Dicht gefolgt vom Einsatz von Rußpartikelfiltern und Katalysatoren. Durchforstet man die Imagefolder der Traumschiff-Industrie, könnte man den Eindruck bekommen, dass das alles längst geschieht.
"Die AIDAprima und die AIDAperla sind die einzigen Kreuzfahrtschiffe weltweit, die dank eines Duel-Fuel-Motors während der Hafenliegezeit und somit rund 40 Prozent ihrer gesamten Betriebszeit ihre Energie aus LNG produzieren können", betont eine AIDA-Sprecherin. Damit schneiden die Schiffe in Umweltrankings auch gut ab. Nabu prangert aber an, dass der Konzern die für die gesamte Flotte versprochenen Rußpartikelfilter bis heute nicht in Betrieb genommen hat.
Zumindest bei den neuen Schiffen werden oft neue Umweltstandards gesetzt. Was bleibt ist das Problem der ungleich größeren Bestandsflotte.
Währenddessen gibt es entlang der Küsten verstärkt Emissionskontrollgebiete. Etwa entlang der Ost- und Nordsee. Auch im berühmten Geirangerfjord soll der Ausstoß von Nitrogenoxid und Schwefel verringert und das Leeren von Toilettenabfällen verboten werden. Ein entsprechendes Regelwerk wird bis Ende 2018 ausgearbeitet.
Im Vorjahr haben laut Schätzungen des Internationalen Kreuzfahrtverbandes CLIA rund um den Globus mehr als 24 Millionen Menschen eine Kreuzschifffahrt unternommen, heuer werden es eine Million mehr sein. Mittlerweile gibt es Kreuzfahrten für jeden Geschmack und für so gut wie jedes Geldbörserl. Von Wohnjachten, auf deren Decks Millionäre mit viel Tagesfreizeit im Sonnenuntergang Tennis spielen, bis zu mehrtägigen Volksmusik-Schunkel-Fahrten im Mittelmeer.
Die Branche baut ihr Angebot und ihre Flotte zügig aus. Allein heuer stehen 26 Jungfernfahrten von neuen Hochsee-, Fluss- und Spezialkreuzfahrtschiffen auf dem Plan. Während der Markt für Containerschiffe eingebrochen ist, feiert die Kreuzfahrtindustrie Jahr für Jahr Rekordzahlen. Dadurch wird der Platz in vielen Häfen eng. In Hamburg hat sich die Anzahl der Kreuzschiffsanläufe binnen weniger Jahre verdreifacht, an vielen Häfen des Mittelmeers ist die Situation ähnlich.
Auch die Österreicher zieht es verstärkt an Deck. Laut Verkehrsbüro-Vorstand Helga Freund sind verstärkt Familien an Bord. Sie sehen die fahrenden Hotelbauten als eine All-Inclusive-Alternative zum bisher beliebten Club-Urlaub in der Türkei. Im Vorjahr haben bereits mehr als 130.000 Österreicher eine Kreuzschifffahrt gebucht, davon rund 25.000 bei der Verkehrsbüro-Tochter Ruefa.
Auch das Binnenland Österreich surft auf dieser Welle mit. Auf der Donau hat sich die Zahl der Schiffe seit 2007 verdoppelt – wie auch die Zahl der Gäste an Bord. Davon profitieren Städte wie Melk, die im Vorjahr von 240.000 Passagieren besucht wurde. Damit kommt fast jeder zweite Tourist per Schiff in die 5200-Einwohner-Stadt. Laut Arge Donau durchfahren jedes Jahr 166 Kreuzfahrt- und 18 Ausflugsschiffe die Wachau. Gemeinsam schippern sie mehr als 800.000 Passagiere durch die Gegend.