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"Führungskräfte stören eigentlich"

19-12-2017, 06:22

KURIER: Durch die Digitalisierung fallen Jobprofile weg, dafür entstehen auch neue. Welche?

Isabell Welpe: Wegfallen werden alle Routinejobs. Das sind Jobs, die sich in Einzelteile zerlegen lassen und geringe Variabilität haben. Ein Beispiel dafür sind Computerprogramme, die den Rechtsanwalt bei Standard-Rechtsangelegenheiten ersetzen. Ein Programm namens flightright kümmert sich darum, dass man zu seinem Geld kommt, wenn der Flug verspätet ist. Aboalarm hilft, ein Abo zu kündigen und donotpay Parktickets abzuwehren. In Zukunft wird es zwei Arten von Arbeitsplätzen geben: Computer und Care. Ersteres meint den Umgang mit Daten, Statistiken und Analysen, Programmieren, analytische und mathematische Tätigkeiten. Der zweite Bereich der neuen Jobs umfasst personennahe Dienstleistungen: Das ist all das, was nicht von Maschinen oder Robotern übernommen werden kann. Die Pflege, den Haushalt, die Kinderbetreuung, die Organisation von Hochzeiten, das gesamte Lebensmanagement, alles, für das es empathischer Fähigkeiten bedarf.

Was ändert sich für die Firmen?

Wenn ich meinen Wohnort wechseln will, muss ich mein Problem in ein vorgefertigtes Formular beim Amt einarbeiten. Eigentlich sollte es aber so sein, dass ich dort anrufe und sage: Ich habe ein Kind bekommen, was ist zu tun? Firmen, die an Stelle von Standard- individuelle Lösungen anbieten, werden erfolgreicher sein. Das Motto "one size fits all" wird es nicht mehr geben, stattdessen Dienstleistung, die auf Einzelpersonen zugeschnitten ist. Das gilt auch für Unis, sie werden individuelle Ausbildungen anbieten. Viele Firmen werden sterben, es werden aber auch neue gegründet. Wenn aber keine neue Gründerwelle durchs Land geht, wie wir sie in Deutschland mit Fritz Henkel oder Gottfried Daimler hatten, dann weiß ich nicht, wo die Arbeitsplätze herkommen sollen.

Werden Frauen von der Entwicklung profitieren?

Ich sehe einen großen Wachstumsmarkt für künstliche Intelligenz, die Vorurteile gegen bestimmte Personengruppen – gegen alte Menschen, Männer oder Frauen – die wir haben, nicht beachtet: Weil sie alle für den Job irrelevanten Informationen, biologische und soziale, herausfiltert. Dadurch macht die Digitalisierung die Wirtschaft transparenter und leistungsgerechter. Im Zuge dessen ist es möglich, dass die Talente und Fähigkeiten von Frauen besser erkannt werden, denn das eigentliche Problem sind unsere Stereotype gegenüber anderen. Firmen werden im Zuge der Digitalisierung auch neu strukturiert.

Wie sieht das im Detail aus?

Eigentlich stören Führungskräfte Unternehmen, denn sie kosten Geld und machen Abläufe aufgrund der Hierarchie-Ebenen langsamer. Fremdführung und damit Führungskräfte brauche ich nur, wenn die Selbstführung versagt. Neue Firmen wählen Mitarbeiter daher so aus, dass weitgehende Fremdsteuerung nicht mehr erforderlich ist: Das gelingt aber nur, wenn die Mitarbeiter von sich aus einen hohen Grad an Gewissenhaftigkeit, Verlässlichkeit und Selbstmotivation mitbringen. Sie bekommen weitreichende Handlungs- und Entscheidungsfreiheit. All das kann aber nur funktionieren, wenn die Unternehmenskultur entsprechend ist. Wenn all das gelingt, hat die Firma unschlagbare Produktivitätsvorteile.

Welche Aufgaben werden Chefs übernehmen?

Was Budget und Planung betrifft: Diese Rolle werden sie weiter wahrnehmen. Sie werden aber in Zukunft entscheiden: Haben wir eine Standardaufgabe? Dann sind die alten, etablierten Instrumente gut geeignet. Oder ist es eine Aufgabe, bei der wir die Lösung nicht kennen und etwas Neues erarbeiten müssen? Da wird es darum gehen, Kreativität zuzulassen. Führungskräfte haben die Aufgabe, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, damit Mitarbeiter ihre Arbeit besser machen können. Es gibt weiterhin Bereiche wie das Controlling, da ist zu viel Kreativität eher fehl am Platz.

Wo stehen Österreichs Firmen bei der Entwicklung?

Ich war vor Kurzem bei einer Veranstaltung in Klagenfurt, die dort präsentierten Firmen wie AVL List, Logicdata Electronic & Software und 3M Precision Grinding waren wirklich beeindruckend. Österreich ist offensichtlich schneller in der Entwicklung als Deutschland.

Foto: /Ak Isabell Welpe, Jahrgang 1975, hat den Lehrstuhl für Strategie und Organisation  an der TU München inne. Sie forscht in den Bereichen Leadership, Innovation und Organisation. Diese Woche ist sie im Rahmen des Industrie 4.0 Summits, organisiert vom Verein Industrie 4.0 Österreich, als Keynote-Rednerin aufgetreten.

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