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Gewerkschafter: "Unsere Lebensmittel sind zu billig"

14-12-2017, 07:57

Den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) kennt abseits von EU-Kennern kaum jemand – was vor allem insofern bemerkenswert ist, weil er sich als Vertretung der Zivilgesellschaft in Europa sieht. Sein Grundgedanke ähnelt dem der österreichischen Kammern, ohne einen annähernd gleichen Einfluss zu haben. Zusammengesetzt aus drei Gruppen, die Arbeitnehmer, Arbeitgeber und andere Interessensvertreter repräsentieren, ist der EWSA eine beratende Institution, die Stellungnahmen zu verschiedensten Themen erarbeitet und im Konsens beschließt. Der deutsche Gewerkschafter Peter Schmidt hat als EWAS-Mitglied federführend eine Stellungnahme zum Thema Lebensmittelpolitik erarbeitet – und fordert darin bessere und teurere Lebensmittel.

Kurier.at: Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der alles und nichts heißen kann – was heißt Nachhaltigkeit für Sie in diesem Kontext?

Peter Schmidt: Es gibt Fraktionen, die sagen, wir müssen alles auf dem Biostandard aufbauen. Das ist auch meine persönliche Auffassung, aber es gibt auch Grautöne – nicht bio zu produzieren heißt nicht, dass man nicht ordentlich arbeitet. Der entscheidende Punkt ist: Der Verbraucher will das. Aber es braucht Zeit, bis alles umgestellt ist. Man muss daran arbeiten. Wir müssen unter Einsatz der neuen technologischen Möglichkeiten versuchen, nachhaltig zu produzieren. Die Produktion ist aber nur ein Teil davon. Auf meinem Bauernmarkt in Kempten ist es leicht, biologische Lebensmittel zu kaufen. Ob die Bio-Ananas wirklich nötig ist, ist eine andere Frage, aber wir wollen nicht in die Kaufentscheidungen der Menschen eingreifen. Aber das Gemüse am Markt zu kaufen, das kann nicht jeder, vor allem in den Großstädten – wir müssen also innerhalb der Versorgungskette schauen, wie wir den Nachhaltigkeitsgedanken reinbringen. Ich kann in München, Hamburg und Berlin den lokalen Markt nicht bedienen. Das darf man nicht verteufeln, aber wir müssen in Europa Standards setzen.

Das hieße vor allem, die großen Player in die Verantwortung zu nehmen.

Es findet in der Industrie unheimlich viel statt, es gibt zahllose Produzenten, die  - ohne das Label Bio zu tragen - in die Nachhaltigkeit einsteigen. Unilever, Nestle, Danone, Barilla, die ganzen großen Spieler. Da geht es um Herstellungsmethoden und Energieverbrauch, auch das verstehen wir unter Nachhaltigkeit. Aber das wird alles nicht reichen, weil wir die Märkte in Europa lokal nicht bedienen können.

Wenn man nachhaltig anbaut, also beispielsweise nicht auf Monokulturen setzt, ist auch der Ertrag geringer. Die große Streitfrage ist immer: Kann man Europa ernähren, wenn man nur biologisch produziert?

Kann man. Es wird nicht alles das Bio-Label tragen, weil sich nicht alle Hersteller darauf einlassen werden. Aber mit neuen Steuerungstechnologien werde ich auch die Erträge der biologischen Landwirtschaft nach oben bringen. Wenn ich mit Satellitendaten in der Lage bin, viel gezielter zu bewässern, widerspricht das nicht dem Bio-Gedanken. Dazu kommt: Wir werden als Menschheit nicht umhinkommen zu akzeptieren, dass wir unseren Fleischkonsum nicht aufrechterhalten können, insbesondere in Europa. Das wird nicht funktionieren. Ich brauche 15.000 Liter Wasser für die Produktion eines Kilo Rindfleisch, das wissen die wenigsten. Ein Punkt, der noch dazu kommt: Wenn wir konsequent Lebensmittelverschwendung vermeiden – die Schätzungen gehen bis 30 Prozent – können wir das auch kompensieren. Da gibt es also kein Problem, es wird nur oft eines konstruiert.

Sie haben die Lebensmittelverschwendung angesprochen – wie kann die reduziert werden?

Wir müssen nachvollziehen, wo die Verschwendung stattfindet. Die öffentliche Hand muss Best-Practice-Beispiele erarbeiten. Aktuell werden die Nahrungsmittel produziert und auf den Markt gebracht – das war es. Hier im Haus haben wir die Verschwendung radikal reduziert, indem wir den Prozess beobachtet haben und daraus Rückschlüsse gezogen haben. Derzeit haben alle ihre eigenen Richtlinien, die Hersteller genauso wie zum Beispiel die Supermärkte. Wir müssen auch den Wert des Essens wieder betonen – der wird oft nicht gesehen. In Großbritannien und Deutschland geben die Menschen gerade einmal zehn Prozent ihres Einkommens für Essen aus.

Das heißt natürlich auch, dass sie schlechtes Essen kaufen.

Chips zum Bier am Abend braucht es natürlich manchmal. Das ist fein, aber Essen ist das nicht. Wenn man sich nur von solchen Dingen ernährt, ist das nicht gut – da braucht es eben mehr Aufklärung über den Wert des Essens.

Großbritannien hat ein Ampelsystem für die Kennzeichnung von Lebensmitteln, Frankreich führt es ein – kann so etwas helfen?

Das Problem ist: Das ist kein smartes System. Ich bin ein gelernter Käsemacher, wenn Käse rot markiert wird, wenn eine Banane rot markiert wird, dann stimmt etwas nicht. Ich prophezeie, dass wir in Zukunft ein gutes System haben werden. Eines, das die Konsumenten nicht verwirrt.

Wenn Sie vom Wert des Essens sprechen: Sind unsere Lebensmittel zu billig sind?

Ja, definitiv. Unsere Lebensmittel sind zu billig, da gibt es für mich keine Zweifel Warum? Die UN-Ernährungsorganisation FAO hat einen Bericht herausgebracht, in dem sie genau das vorrechnet – weil zum Beispiel die Umweltbelastung, die Transportkosten nicht eingepreist sind. Die Diskussion, dass sich das auch ärmere Bevölkerungsschichten leisten können müssen, führt für mich als Gewerkschafter am Thema vorbei: Wir haben die Menschen mit einem ordentlichen Einkommen auszustatten. Und dürfen nicht sagen, alles muss billig sein - und damit auch gleich die Löhne niedrig halten. Denn wozu führen denn die zu billigen Lebensmittel? Allein in Deutschland hören pro Jahr 2500 Landwirte auf. Wir haben eine Krise in der Lebensmittelproduktion. Daneben haben wir internationale Konzerne, die riesige Profite machen. Da stimmt was nicht.

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