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EU-Agenturen: Zwei Tetsch’n für Wien

21-11-2017, 18:09

Da hätte sich Österreich viel mehr ausgerechnet. Wien war im Rennen um die EU-Agenturen für Bankenaufsicht (EBA) und Arzneimittelzulassungen (EMA) ein Lieblingsstandort der Mitarbeiter – und galt als Geheimfavorit. Das Ergebnis von Montagabend war dann "eine Watsche", wie ein Diplomat formulierte. Das Aus kam jeweils in Runde eins, wo jedes der 27 EU-Länder bis zu drei Punkte vergeben durfte. Wiens EMA-Bewerbung erhielt ganze vier Punkte. Die zehn Punkte in Sachen EBA bedeuteten sogar den vorletzten Platz – vor Brüssel, aber hinter Warschau und Prag.

Finanzminister Hans Jörg Schelling, der Österreich in Brüssel vertreten hatte, zeigte sich "sehr überrascht". Was war da los?

1. Allianzen

Argumente sind das eine, die Würfel fallen aber anders. Die Nase hat vorn, wer die besten Allianzen in der EU schmiedet. Österreich habe da einen Nachteil, meinte der frühere Botschafter Gregor Woschnagg: "Da gibt es die Gruppe der Benelux-Staaten, die Skandinavier, die Südstaaten und die Osteuropäer." Österreich gehört keiner solchen Gruppe an, sondern orientiert sich häufig an Deutschland. Dadurch hat man wenig Rückhalt, wenn es um Stimmenmehrheiten geht.

Österreich habe versucht, im Hintergrund Allianzen zu schmieden, einige Länder hätten aber schon anderen die Unterstützung zugesagt, sagte Schelling nach der Abstimmung: "Da dürften andere besser gearbeitet haben."

2. Verzettelt

Statt sich auf eine EU-Agentur zu konzentrieren, bewarb sich Wien für beide. "Für eine Bewerbung dieser Größenordnung braucht es Koordination zwischen den verantwortlichen Ministern und der Stadt, sowie eine klare Prioritätensetzung auf eine einzige Bewerbung. All das haben SPÖVP nicht gemacht", kritisierte NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker. Dass Schelling sich nur für die EBA interessiert und zu wenig für die EMA eingesetzt habe, bestreitet der Finanzminister vehement.

Zumal die Doppelbewerbung auch Verhandlungstaktik sein konnte: So zog Irland seine EMA-Bewerbung kurzfristig zurück, um die Chancen auf die EBA zu verbessern. Das wäre beinahe aufgegangen – Dublin unterlag Paris nur per Los.

3. Politisches Gewicht

Durch die Koalitionsverhandlungen gerieten die Bewerbungen ins Hintertreffen. Zwar reiste der hoch angesehene Diplomat Woschnagg unermüdlich durch alle Hauptstädte und spulte mehr als 40.000 Flugkilometer ab, um Wien zu bewerben. Beobachter finden aber, die Bewerbung hätte mehr Gewicht gehabt, wenn Außenminister Sebastian Kurz zur Abstimmung gereist wäre.

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl vermisst eine "klare proeuropäische Politik". Wer CETA (Handelsabkommen mit Kanada, Anm.) noch immer infrage stelle, verspiele Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit. "Da darf man sich dann nicht wundern, wenn man bei nächster Gelegenheit die Rechnung dafür bekommt."

4. Standort

Die Stadt Wien hatte mit Elan, Kreativität und einer großzügigen Mietbefreiung um Sympathie geworben und gehofft, mit dem Image als einer der lebenswertesten Städte zu punkten. Die ausgesuchten Standorte waren aber nicht gerade in bester Lage. In der Erstbewertung der EU-Kommission wurde Wien überraschend schlecht bewertet.

Wobei: Im Endeffekt hat das ohnehin keine Rolle gespielt. Sieger Amsterdam legte das teuerste Angebot – und der für die EMA vorgesehene Vivaldi-Turm wird nicht einmal rechtzeitig zum Brexit fertig. Die 900 EMA-Beschäftigten müssen also ab Jänner 2019 in ein Ausweichquartier übersiedeln.

Und auch die geografische Ausgewogenheit spielte anders als angekündigt keine Rolle. Samt EBA sind künftig fünf der 38 EU-Agenturen in Frankreich angesiedelt; in den Niederlanden haben mit der EMA drei große Behörden ihren Sitz. Hingegen müssen Slowakei, Bulgarien, Rumänien und Kroatien weiterhin durch die Finger schauen. In Wien hat nur die eher kleine Grundrechte-Agentur FRA ihren Sitz.

5. Prozedere

Die Losentscheidung sei "absurd", protestierte Mailands Bürgermeister gegen das Final-Aus seiner Stadt. Das Vorgehen – nach drei Runden entscheidet bei Gleichstand das Los – hatten aber alle EU-Länder abgesegnet.

Und es sollte verhindern, "dass sich die EU-27-Staaten im Vorfeld der Abstimmung untereinander zerfleischen", sagte Woschnagg. Denn kein Staat habe ahnen können, wie das Rennen in Runde eins ausgeht. Dafür hatten daraufhin die Abstimmungspausen "eine Art Bazar-Charakter", wie Schelling feststellte.

Wer pakttreu war oder sich nicht an Absprachen gehalten hat, wird man übrigens nie erfahren: Die Stimmzettel wurden nach der Auszählung vernichtet.

Bewerbung. Nach außen will man sich in Wien den Schock über die Nichtberücksichtigung nicht anmerken lassen.  Schon fast übertrieben positiv zog Wirtschaftsstadträtin  Renate Brauner (SPÖ) Bilanz. „Wien hat eine starke Bewerbung abgegeben, die nicht zuletzt auch bei den  Mitarbeitern der EMA gepunktet hat“, sagte Brauner.  Es sei auch gelungen, „den Bekanntheitsgrad der Stadt als  Wirtschaftsmetropole zu steigern.“ Wien habe als Standort mit hoher Wirtschaftskompetenz in der gesamten EU überzeugen können, sagte auch Gerhard Hirczi, Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur Wien und Brexit-Beauftragter der Stadt Wien.
Hinter den Kulissen ist man aber mehr als verärgert über den Ausgang der Bewerbung. „Wir haben unserer Hausaufgaben gemacht“, betont ein Rathausinsider.  So wurden sowohl EMA als EBA  mehrere Büroräumlichkeiten angeboten. „Und dann bekommt Amsterdam den Zuschlag für die EMA, das  nicht einmal die Mindestkriterien erfüllt. Offensichtlich waren andere Kriterien wichtiger.“

In seltener Einigkeit zogen in Wien die Stadtverantwortlichen als auch Wirtschaftskammer Wien an einem Strang.  So hat die Wirtschaftskammer zum Beispiel auch die Broschüre für die Bewerbung gestaltet.  Insgesamt wurde ein (niedriger) sechsstelliger Betrag in die Bewerbung investiert.

Verärgert ist man in Wien auch, dass Finanzminister Schelling, der einer künftigen Regierung wohl kaum angehören wird, zu den Verhandlungen fuhr.  „Es war nicht gerade die beste Entscheidung, dass Außenminister Kurz nicht vor Ort war“,  sagt ein   direkt Involvierter.

Auch dass die Verhandler weder in Westeuropa noch unter den  neuen Mitgliedern im Osten Allianzen geschmiedet haben, sei ein folgenschwerer Fehler gewesen: „Sie haben beim Feilschen schwer versagt.“

Foto: KURIER/Gilbert Novy
 

Das Tauziehen um  die Standorte der EU-Agenturen EBA und EMA war keine Kleinigkeit: Die Aufsicht über Banken und Zulassung von Medikamenten sind verantwortungsvolle Aufgaben. Darf so eine wichtige Entscheidung wirklich per Los fallen?

Dabei wird eines übersehen: Fortuna war nur das Zünglein an der Waage, weil der politische Kuhhandel  und das Feilschen in drei Runden davor zu einem Patt geführt hatte. Somit hatte der Losentscheid den Vorteil, dass zumindest im Finale weder besseres Taktieren, Lobbyieren noch indirekter Stimmenkauf entschieden. Wobei: Skurrilerweise hat Fortuna eine vergleichsweise vernünftige Wahl getroffen. Paris ist bereits ein großer Bankenstandort und wird dank EBA als Gegengewicht zu Frankfurt gestärkt. Amsterdam ist als Drehscheibe  des Pharmahandels ein stimmiger Standort der EMA. Freuen darf man sich für die Mitarbeiter: Wenn sie wegen des Brexit schon mitsamt ihren Familien übersiedeln müssen, dann zumindest in Städte, die zu ihren Favoriten zählten.

 Wiens Scheitern ist schade. Man hat zu sehr auf Argumente und Reisediplomatie vertraut, statt sich Verbündete zu sichern. Wobei Österreich großes Dilemma ist, zwischen allen EU-Stühlen zu sitzen: Ein bisschen sind wir Nord-, ein bisschen Süd-, ein wenig Kern- und ein wenig  Osteuropa. Aber nichts so richtig.  Und wer sich so oft an Deutschland anhängt, macht sich  auch nicht unbedingt viele Freunde.

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