Die meisten Österreicher arbeiten rund 40 Stunden die Woche: die Leistungsgesellschaft sieht das so vor, damit kommt das Geld zum Leben rein. Und manchmal tigert man sich so sehr in die Arbeit, dass das restliche Leben zu kurz kommt. Dann schraubt sich die Spirale aus Arbeiten und Leisten so sehr in die Höhe, dass man gar nicht mehr herausfindet. Und dann? Gibt es Möglichkeiten, auszubrechen? Es eine Zeit lang – oder für immer – völlig anders zu machen? Es gibt sie.
Die 4-Tage-Woche, wie sie in Österreich von den Gewerkschaften gefordert wird, wäre eine Möglichkeit, um sich zumindest zum Teil aus der Tretmühle zu befreien. Wird zum Beispiel von Montag bis Donnerstag konzentriert gearbeitet, bleibt von Freitag bis Sonntag Zeit für Familie, Freunde, Arztbesuche und Hobbys. Ein Extratag für Sachen, die durch den Job immer zu kurz kommen. Das macht auf Dauer nicht nur zufriedener, man schöpft auch neue Kräfte für den Job.
Eine andere Möglichkeit sind berufliche Auszeiten wie Sabbaticals, unbezahlter Urlaub oder eine Bildungskarenz. Für die Umsetzung des Sabbaticals gibt es zwei Möglichkeiten: Das Ansparen von Zeitguthaben oder eine Reduktion des Gehalts vor der Auszeit, das Guthaben wird dann während der Auszeit ausgezahlt. Beim unbezahlten Urlaub bleibt das Arbeitsverhältnis aufrecht, allerdings muss man sich selbst versichern. Die Bildungskarenz ist eine Auszeit vom Job zum Zweck der Weiterbildung. Viele Kurse im In- und Ausland sind möglich, solange sie mit dem Job zu tun haben – daneben bleibt auch Zeit für anderes.
Oder gleich ganz weg. Manchmal macht das Hobby mehr Spaß als die Arbeit. Oder ein Ehrenamt hinterlässt ein besseres Gefühl als die gut bezahlte Stelle. Ist komplett umsatteln möglich? Noch werden Menschen häufig schief angeschaut und gelten als weltfremd, wenn sie aus dem Arbeitsalltag ausbrechen, neu anfangen oder ihr Arbeitspensum reduzieren. Doch immer mehr Menschen sehnen sich danach, es anders zu machen. Die sogenannten Downshifterwollen selbstbestimmter arbeiten: weniger Verantwortung, weniger Wochenstunden, weniger Stress, dafür mehr qualitative Lebenszeit, aber meist auch viel weniger Geld. Sie befreien sich von alten Job-Mustern, werden Einzelunternehmer oder fangen in einem anderen Land ganz neu an. Die Brücken hinter sich abzubrechen, eingetretene Pfade hinter sich zu lassen, dazu gehört Mut. Diese drei Menschen zeigen, dass man so ein Projekt tatsächlich durchziehen kann.
„Ich wollte immer schon am Meer leben“, sagt Karin Lakics. Die Pilates-Trainerin und Bowen-Praktikerin hat vor einem Jahr den Beschluss gefasst, ihren Lebensmittelpunkt in Wien aufzugeben, alle Zelte abzubrechen und in die südliche Toskana nach Grosseto zu ziehen. „Ich habe meine Wohnung gekündigt, alle Möbel verkauft“, sagt Lakics. „Ich reise mit leichtem Gepäck.“
Von ihrem Umfeld habe sie viel Gegenwind bekommen. Einige Freunde seien nicht zu ihrer Abschiedsfeier gekommen. Auch Kunden hätten wenig erfreut reagiert. Doch Lakics hätte sich darum gekümmert, dass diese zu neuen Therapeuten kommen. Denn die Brücken ganz abbrechen, das wolle sie nicht. Zwar sei sie jetzt sehr flexibel, aber der Neuanfang koste auch viel Energie, es sei viel Logistik erforderlich.
In Italien will sie weiterhin Pilates-Kurse anbieten und Seminare abhalten. Ein Zukunftsprojekt ist auch schon im Hinterkopf vorhanden: Ein Locations-Ratgeber für Trainer, der zunächst für Italien und auf lange Sicht auch weltweit ausgerollt werden könnte. „Viele Trainer trauen sich nicht, Kurse international anzubieten, da sie nicht wissen, wo“, so Lakic. „Wir könnten die Kursorte für sie testen,“ sagt Lakics. Aber Schritt für Schritt: Soeben ist ihr Buch erschienen, mit dem Titel: „Was es ist: Der Weg zum Mee(h)r.“
Gerold Hubmer ist seit 19 Jahren Hüttenwirt vom Karl-Ludwig-Haus auf der Rax. „Die Berge wurden mir in die Wiege gelegt“, sagt er. Doch von Anfang an: Zunächst habe er studiert, Politik und Geschichte, und nebenbei Geld in der Gastronomie verdient. „Irgendwann ist es dann immer mehr Gastronomie und weniger Studium geworden“, sagt Hubmer. Er habe dann alle Ausbildungen zum Koch bis zur Meisterprüfung abgelegt. „Diese war übrigens deutlich schwieriger als das Studium“, betont Hubmer. Dann habe er für die Blue Box gekocht, sei Miteigentümer geworden und habe eine Cateringfirma aufgebaut.
„Zwei Firmen, zur selben Zeit sind meine Kinder auf die Welt gekommen, da habe ich mir überlegt, dass eine Alternative zielführend wäre, wenn ich nicht ins Gras beißen will“, so der Hüttenwirt. Daher sei er auf die Idee gekommen, als Hüttenwirt zu arbeiten und Gäste zu bekochen. „Das ist ein toller Beruf.“ Er hätte den Vorteil, dass man unter der Woche viel frei habe, während die anderen arbeiten. „Außerdem nimmt man die Jahreszeiten viel bewusster wahr, weil man ständig das Wetter beobachtet. Im Winter schlafe ich viel mehr, da es so früh dunkel wird. Im Sommer sind die Tage dafür lang.“ Generell sei die Arbeit nicht weniger geworden, aber selbstbestimmter. „Man muss alles selber machen können, auch Handwerker sein“, sagt Hubmer.
Die Sportwissenschaftlerin, Ausdauersportlerin und Trainerin Heidi Kindermann hat sich vor einem halben Jahr einen VW-Bus gekauft, den sie in Eigenregie so umgebaut hat, dass sie dort wohnen kann. Sie hat ihre Wohnung gekündigt und Flohmärkte veranstaltet, um alle Sachen loszuwerden. „Das war sehr befreiend,“ sagt Kindermann.
Am 1. Dezember macht sie sich mit ihrem Hund auf den Weg. Sie will mit 200 Euro Fixkosten im Monat auskommen und sich hin und wieder etwas dazuverdienen, indem sie nach dem Vorbild einer Mitfahrzentrale Leute mit dem Auto mitnimmt, diese zahlen dann einen Beitrag zum Benzin. Erstes Ziel ist Dänemark, dann geht es nach Frankreich, zur Hochzeit einer Freundin. Ob sie ein halbes Jahr oder für deutlich länger unterwegs sein wird, lässt sie offen. Kindermann will von ihren Erfahrungen online berichten und Bilder auf Instagram posten.
Warum sie sich auf den Weg macht? „Ich will meine Zeit besser nutzen“, so Kindermann. Sie will nicht, wie andere Menschen, im beruflichen Hamsterrad stecken, sondern ihre Zeit ihrer persönlichen Entwicklung widmen. Kindermann: „Mir geht es darum, ein Bewusstsein zu schaffen für das, was wichtig ist.“ Ihrer Meinung nach sind das Gesundheit, Bewegung und Zufriedenheit, aber nicht Geld.