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Gesucht: Neue Heimat für EMA und EBA

20-11-2017, 06:00

Könnten die 900 Mitarbeiter der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) selbst entscheiden, wäre ihr Arbeitsplatz künftig in Amsterdam. Aber auch Barcelona und Wien erfreuten sich jüngst bei einer Umfrage der EMA-Spezialisten bezüglich eines Wunschstandortes großer Beliebtheit. In den britischen Wettbüros wiederum rangiert Wien an vierter Stelle als mögliche neue Heimatstadt für die EU-Agentur (nach Mailand, Bratislava und Lille). Und dennoch überwiegt in Wien die Skepsis, dass die Bundeshauptstadt zum Zug kommen wird.

Denn weder EMA-Mitarbeiter noch Buchmacher haben heute, Montag, das Sagen, wenn beim Allgemeinen Rat in Brüssel zwei neue Standorte für die beiden EU-Agenturen EMA und EBA (Europäische Bankenaufsicht) gekürt werden. 19 Städte haben sich für die EMA beworben, acht für die EBA. "Alle sind verunsichert", schildert Gregor Woschnagg dem KURIER, "wegen der Art, wie diese Abstimmung durchgeführt wird. So ein Verfahren (siehe Kasten, Anm.) hat es noch nie gegeben." Der Botschafter und Chef-Lobbyist im Auftrag Österreichs in Sachen EMA- und EBA-Kandidatur bezeichnet die beiden EU-Agenturen als die "Filetstücke des Brexit". Am 30. März 2019, wenn Großbritannien aus der EU ausgetreten ist, müssen die beiden Agenturen London verlassen haben und an ihrem neuen Standort operativ sein.

"Dieses Verfahren verhindert, dass sich die 27 EU-Staaten während der Brexit-Verhandlungen zerfleischen", sagt Woschnagg. Denn zumindest in der ersten Wahlrunde ist der Ausgang völlig unberechenbar. Und die beiden Agenturen, um die es geht, sind äußert lukrativ – besonders die Medizinagentur. Wien hat sich für beide Agenturen beworben und legte dafür ein großzügiges Angebot vor: 25 Jahre Mietfreiheit. Der potenzielle Profit wäre hoch: Laut einer Studie des IHS könnte das österreichische BIP bei einer Ansiedlung der EMA in Wien binnen fünf Jahren um eine Milliarde Euro gesteigert werden. Mit zusätzlichen 60.000 Hotelnächtigungen wäre zu rechnen.

Die Medizinagentur ist für die Beurteilung und Überwachung von Arzneimitteln in Europa zuständig. "26 Prozent aller Medikamente weltweit werden von der EMA genehmigt", schildert Woschnagg.

Mailand und Bratislava

Doch Wien hat starke Konkurrenten, besonders Mailand und Bratislava gelten derzeit als die möglichen Favoriten für die EMA. Die slowakische Hauptstadt punktet dabei indirekt auch mit der Nähe zu Wien. Sie profitiert aber vor allem, sagt Woschnagg, "von der breiten Unterstützung der östlichen EU-Staaten. Dort beklagt man, dass man bisher bei den EU-Agenturen nicht so gut abgeschnitten hat". Käme also Bratislava in die zweite Wahlrunde, könnte es mit den Stimmen der meisten Osteuropäer rechnen – und hätte damit eine große Gruppe hinter sich.

Österreichs Nachteil liegt genau darin: Anders als die Skandinavier oder die Benelux-Staaten, der Süden Europas oder die Visegrad-Länder gehört Österreich keiner Staatengruppe an, kann also bei der Abstimmung in der zweiten oder dritten Wahlrunde, falls Wien da noch dabei wäre, nur auf Sympathien hoffen.

Möglicherweise kommen diese ja bei der Abstimmung zur Europäischen Bankenaufsicht zu tragen. Bei Londons Buchmachern rangiert Wien derzeit als zweitgrößter Favorit für die neue Heimat der EBA – gleich hinter Frankfurt.

Das Wahlverfahren: Wie bei einer Art Songcontest

Erste Runde

Die 27 Staaten (ohne Großbritannien) haben je 6 Punkte zu vergeben: 3 für den Favoriten, 2 für den Zweitgereihten und 1 für den  Drittgereihten.  Holt dabei eine Kandidaten-Stadt von 14 oder mehr Staaten  eine 3-er-Serie, hat sie gewonnen. Dass dies passiert, gilt als  höchst unwahrscheinlich. Die drei Kandidaten mit der höchsten Punktesumme (oder bei Punktegleichstand mehr) rücken in die nächste Runde auf.


Zweite Runde

Nach einer halbstündigen Pause wird im Europäischen Rat  erneut gewählt. Jeder Staat vergibt einen Punkt. Erhält dabei eine Stadt 14 oder mehr Punkte, gewinnt sie. Wenn nicht, geht es in eine weitere, letzte Wahlrunde.

Dritte Runde

Foto: /Grafik Duell der zwei Städte mit der höchsten Punktezahl aus der Vorrunde: Jeder EU-Staat hat einen Punkt zu vergeben. Wer die höhere Punktezahl holt, gewinnt. Gibt es Punktegleichstand, entscheidet das Los.

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