KURIER: Herr Professor Schneider, wir waren gemeinsam in Südkorea, Japan, Singapur. Wo können wir am meisten lernen?
Friedrich Schneider: Meine Reihenfolge wäre Singapur, Südkorea, Japan.
Warum Singapur?
Weil Singapur für mich den dynamischsten, lebendigsten und kreativsten Eindruck gemacht hat. Hier arbeiten Firmen und Wissenschaftler in einer Symbiose. So werden neue, bahnbrechende Erfindungen oder Fortschritte erzielt.
Wir haben überall Universitäten besucht, mit einem Verhältnis Lehrer – Schüler 1 zu 10 bis 1 zu 6. Wie ist das in Österreich?
In Österreich schwankt das Verhältnis zwischen 1 zu 70 bis zu 1 zu 100. Die Professoren können während des Semesters in den Sozialwissenschaften außer Vorlesungen, Seminarvorbereitung und Klausurkorrekturen kaum forschen.
Was ist in Singapur besser?
Hier bereiten die Studenten sich vor, lernen dann weiter und arbeiten in Gruppen. Dann macht es auch Sinn, die Gruppe zu prüfen, denn die Gruppe als Ganzes muss dann die Prüfung bestehen. Das wäre für österreichische Universitäten notwendig.
Die Universität bildet Studenten aus, die in 20, 30 Jahren Spitzenleistungen erbringen sollen. Sie wissen ja auch nicht, was in 20, 30 Jahren verlangt wird. Wie bilden Sie diese Leute aus?
Die analytischen und logischen Fähigkeiten und die schnelle Auffassungsgabe sowie die Sprachkompetenz müssen trainiert und gesteigert werden. Entscheidend ist Teamwork mit verschiedenen Nationalitäten, geprüft wird auch, ob die Gruppe als Ganzes die Aufgabe bewältigt. Mag sein, dass der Einzelne brillant ist, aber wenn die Gruppe versagt, bringt das überhaupt nichts. So ist es ja auch in der Wirtschaft.
Sind wir wenigstens kreativer als die Asiaten?
Ja, besonders in der Kunst. Wir müssen uns nicht verstecken. Aber wir sind viel zu langsam, unsere Ausbildung zu modernisieren, unsere Forschung auf effiziente Beine zu stellen, sodass auch tatsächlich in Europa ähnliches passiert wie hier in Singapur.
In allen drei Ländern wurden Elite-Unis aufgebaut. Das Geld hätten wir doch auch, oder?
Ja, wenn man dann auch entsprechende Arbeitsbedingungen, Arbeitsanreize und den Organisationsablauf so gestaltet wie hier in den asiatischen Ländern. Und ein entsprechendes Anreizsystem, dass der Professor für Leistung belohnt wird. Uns fehlt ein Rahmenplan oder Visionen, wohin die österreichischen Universitäten gehen sollen. Wir wissen ja nicht, wollen wir Studiengebühren, wollen wir sie doch nicht, wollen wir Eingangsprüfungen, der eine will das, der andere das.
Wie kann sich unser Wohlstand noch entwickeln?
Die dynamischste Entwicklung der Wirtschaft findet hier in Asien statt, da leben mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung. Da sollte jeder hin, der seine Produkte verkaufen will. Und dann ist es natürlich für Europa ganz entscheidend, mit so guten Produkten präsent zu sein, dass man zumindest einen kleinen Teil vom Kuchen abkriegt. Sonst können wir unseren Lebensstandard sicher nicht halten.
Als wir gemeinsam in China waren, waren Sie skeptisch, was die Wachstumsraten betrifft
Die Chinesen arbeiten sehr stark nach dem Prinzip Tarnen und Täuschen. Bei den 7 bis 8 Prozent Wachstumsraten muss ich 2 Prozentpunkte für Korruption abziehen und 2 Prozentpunkte für Umweltbelastung. Dazu kommt die kommunistische Partei, 120 Millionen Chinesen, die nicht sehr produktiv sind. Die hochproduktive Industrie, der Speckgürtel von 200 km von Hongkong bis Peking, muss die ernähren. Die alte Disziplin ist weg und ein großer Teil der jungen Chinesen sind hochkorrupt, das ist die große Herausforderung, die der jetzige chinesische Staatschef hat. Das größte Problem aus meiner Sicht ist aber die extreme ungleiche Einkommensverteilung. Das kommunistische China hat die ungleichste Einkommensverteilung in der chinesischen Geschichte. Marx würde sich im Grab umdrehen.
Aber es sind 1,4 Milliarden Menschen mit einer Logistikkette mit Häfen rund um den Erdball und Rohstoffen in Afrika.
Natürlich, das ist der Vorteil des chinesischen Systems. Langfristige Planung und auch extrem gute Leute, die die Chancen erkennen. Sie sind die neuen Kolonialherren von Afrika und treiben das Seidenstraßenprojekt voran. Geostrategisch ist China allen überlegen.
Was halten Sie von Handelsverträgen, die Trump abgesagt hat?
Meiner Meinung nach hat Trump einen riesen Fehler gemacht, den asiatischen Handelsvertrag aufzukündigen, der ja China nicht eingeschlossen hat, der ein Versuch von Obama war, ein Gegengewicht zu China zu schaffen. Darum haben ja auch ganz verschiedene Länder wie Vietnam, die Philippinen und andere mitgemacht. Jetzt schmiedet China viel effizienter Allianzen mit diesen Ländern auf bilateraler Ebene. Und die Amerikaner haben das Nachsehen.
Wir würden TTIP brauchen?
Ja, wir profitieren ja auch vom kanadischen Handelsabkommen CETA, wir würden auch von einem Abkommen mit Singapur profitieren. Ich verstehe nicht, warum die EU das nicht schon längst ratifiziert, denn dann würden Länder wie Vietnam und andere Länder folgen. Das wäre genau die Chance, von der ich vorhin gesprochen habe, die wir brauchen, damit wir mit unseren guten Produkten auch auf diesen Märkten Fuß fassen können.
Zur Person
Friedrich Schneider, geboren 1949 in Konstanz, lehrte zuletzt Wirtschaftspolitik an der Johannes Kepler Uni in Linz, wo er auch Dekan und Vizerektor war. Schneider hatte mehrere Gastprofessuren in Deutschland, den USA und Neuseeland inne und ist Forschungsprofessor am DIW in Berlin. Er ist auch Vorsitzender des Advisory Boards der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Schneider gilt als Fachmann für Schattenwirtschaft und Umweltökonomie.