Wer immer Österreichs künftiger Finanzminister sein wird: Er darf sich die Hände reiben, denn die heimische Wirtschaft soll ihren kräftigen Wachstumskurs in den nächsten Jahren fortsetzen.
Glaubt man der, so wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auch 2018 und 2019 kräftiger zulegen als in Deutschland und dem Euroraum als Ganzes. Die EU-Kommission traut Österreich nach starken 2,6 Prozent heuer für die beiden Folgejahre noch beachtliche 2,4 und 2,3 Prozent Plus zu.
Gutes Wachstum heißt: sprudelnde Steuereinnahmen, sinkende Arbeitslosigkeit und somit geringere Kosten. Obendrein sind die Zinskosten für die Staatsschulden historisch niedrig.
Das ist die eine Seite. Tolle Einnahmen, weniger Ausgaben: Wenn sich die Finanzen ohnehin so rosig präsentieren, wie kann es da sein, dass ein Kassasturz einen Sparbedarf zutage fördert?
Die simple Erklärung lautet: Weil Österreichs Budget dafür, dass die Wirtschaftslage eben so erfreulich ist, alles andere als gut dasteht. Um das zu messen, gibt es eine Kennzahl, das "strukturelle Defizit". Dabei wird aus der Budgetsituation herausgerechnet, ob die konjunkturelle Großwetterlage gerade auf Sonnenschein oder Dauerregen steht.
Die vernünftige Überlegung dahinter: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Ein Staat soll eben nicht dann besonders viel Geld ausgeben, wenn es üppig hereinfließt. Das hat – ein Extremfall – Venezuela, den ölreichsten Staat der Welt, gerade in die Pleite manövriert.
Das Ziel einer über den Konjunkturzyklus ausgewogenen Planung sollte es hingegen sein, in guten Zeiten einen Überschuss zu erreichen. Dann hätte man den Spielraum, um in schlechteren Zeiten gegenzusteuern. Und die werden so sicher kommen wie das Amen im Gebet. Im Fachjargon nennen das Ökonomen antizyklische Politik.
Österreich ist darin leider traditionell schlecht. Mehr Einnahmen als Ausgaben: Das gab es für den Bund zuletzt im Jahr 1962 (!).
Beim strukturellen Defizit (also ohne das Füllhorn der günstigen Konjunktur) verfehlt Österreich die Zielvorgaben deutlich. Womit man sich gleich zwei Probleme einhandelt – eines mit der EU-Kommission. Und das zweite pikanterweise mit der eigenen, 2013 beschlossenen Schuldenbremse. Im Detail:
Die Vorgabe aus Brüssel
Erst vor wenigen Wochen, am 16. Oktober, hat Österreich an die EU-Kommission übermittelt. Weil just am Vortag gewählt worden war, ist das ein Provisorium: Der Entwurf schreibt die bisherige Budgetpolitik unverändert fort.
Versprochen wird aber, dass die neue Regierung einen neuen Plan "spätestens im April 2018 vorlegen" wird. Dann folgt ein Satz mit Zündstoff: Es werde davon ausgegangen, dass dieser Plan dann die EU-Budgetvorgaben und den österreichischen Stabilitätspakt einhält. Nimmt die neue Regierung diesen Satz ernst, müsste sie gleich im ersten Jahr ein Sparpaket im Ausmaß von rund 1,5 Milliarden Euro auflegen.
Der EU-Fiskalpakt erlaubt nämlich nur ein strukturelles Defizit von –0,5 Prozent des BIP. Österreich selbst hat für 2018 aber –1,1 Prozent Minus gemeldet (mit den Last-minute-Ausgaben vor der Wahl wären es –1,2 Prozent). Österreich kann zwar hoffen, dass die Kommission ein Auge zudrückt. In der Bewertung werden Flüchtlingskosten von rund 0,3 bis 0,4 Prozent des BIP abgezogen. Das ist aber ein einmaliges Zugeständnis – und auch so verfehlt Österreich 2018 die Vorgabe. 2019 und 2020 würde die Latte laut WIFO-Berechnung ebenfalls gerissen.
Österreichs Schuldenbremse
Was offenbar in Vergessenheit geraten ist: 2012/’13 hat sich Österreich selbst einen auferlegt. Dieser erlaubt für den Gesamtstaat sogar nur ein strukturelles Defizit von 0,45 Prozent (0,35 Prozent, 0,1 Prozent Länder und Gemeinden). Und genau dieser Passus ist seit Jänner 2017 in Kraft.
Mehr noch: Die österreichische Schuldenbremse zählt anders als die EU-Vorgabe die Abweichungen Jahr für Jahr zusammen, sie hat quasi ein Gedächtnis. Wird zum Beispiel der Wert des Bundes um kumuliert 1,25 Prozent des BIP überschritten, muss die Abweichung abgebaut werden . Was voraussichtlich 2019 oder spätestens 2020 eintreten dürfte. Dann würde also ein gesetzlich verordnetes Sparpaket fällig.
Fazit: "Eine Steuerentlastung von mehreren Milliarden Euro wäre bei dieser Ausgangslage absurd", sagt Peter Brandner, Finanzexperte der Denkfabrik "Weis[s]e Wirtschaft". Diese müsste nämlich mehr als vollständig gegenfinanziert sein. Die Koalitionsverhandler sollten somit eher eine "Neigungsgruppe Sparpaket" andenken.
Strukturelle Budgetsalden - Vergleich der 2017 erstellten Prognosen & Fortschreibungen, als Ergänzung zu
— Peter Brandner (@peter_brandner)