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Ökonom: US-Regierung wird von Big Business gelenkt

9-11-2017, 06:00

KURIER: Haben Ihnen die jüngsten Steueroasen-Enthüllungen neue Erkenntnisse gebracht?

Jeffrey Sachs: Wir wussten schon, dass es ein riesiges, undurchsichtiges Finanzuniversum gibt, das Billionen-Geschäfte vor der Öffentlichkeit und oftmals den Steuerbehörden verbirgt. Die Paradise Papers bestätigen das mit neuen Namen und Details.

Sie haben US-Handelsminister Wilbur Ross, Außenminister Rex Tillerson und Trump-Schwiegersohn Jared Kushner via Twitter "Lügner, Steuerschwindler, vielleicht mehr" genannt. Können Sie das präzisieren?

Dass viele Köpfe des Trump-Kabinetts an Offshore-Deals beteiligt sind, bestätigt die Wahrnehmung, dass die Regierung von mächtigen Unternehmensinteressen gelenkt wird. Big Data, Öl und Gas, die Finanz- und Immobilien-Branche wollen gesetzliche Hindernisse wegräumen und bedienen sich verdeckter Kanäle. Nichts davon hat mich wirklich überrascht, bestürzend ist es trotzdem.

Was werfen Sie den genannten Personen konkret vor?

Dass die Russen unsere Präsidentenwahl gestört haben, steht außer Zweifel. Die Geschäfte von Ross oder Kushner mit Russland nähren den Verdacht, dass es vielleicht in Einverständnis mit Trump selbst erfolgt ist.

Wie kann man sich das vorstellen, dass mächtige Konzerninteressen die USA regieren?

Die Politik wurde schrittweise von Geldinteressen abgelöst, weil ein Wahlzyklus in den USA zwischen 7 und 10 Milliarden Dollar kostet, die von diesen Lobbys bezahlt werden. Kritischen Senatoren und Bewerbern wird mit Gegenkandidaten oder feindseliger Werbung gedroht: "Seid ihr nicht auf unserer Seite, bringen wir euch in den Vorwahlen zu Fall." Auch der Kongress hängt am Futtertrog, das wurde in den letzten 50 Jahren immer extremer. Jetzt kommen neue Wege der Manipulation im Wahlkampf dazu: etwa Datenanalysen, Microtargeting oder ein hinterhältiger Gebrauch von Social Media.

Unter Trump wird sich an der Lobby-Agenda wohl nichts ändern. Was schlagen Sie vor, das Problem aussitzen?

Dass wir einen psychisch instabilen, gefährlichen Charakter gewählt haben, muss uns anspornen, härter zu arbeiten: die Opposition verstärken, Wahlen gewinnen und den Kampf auf den Märkten für uns entscheiden.

Was meinen Sie damit?

Was die Wahlen betrifft, wäre Bernie Sanders – den ich sehr unterstützt habe – um ein Haar für die Demokraten nominiert worden. Aber auch dieser Vorgang war manipuliert. Die Lektion lautet: Es ist möglich zu gewinnen, trotz der Ansage, Konzerninteressen und das große Geld zur Rechenschaft zu ziehen.

Und woran denken Sie beim Kampf um die Märkte?

Ich denke an Konsumboykotte, Anlegerstreiks gegen unverantwortliche Unternehmen oder rebellische Aktionäre. Generell muss es mehr Bewusstsein dafür geben, wer betrügt, die Gewinne in Steueroasen verschiebt oder Lobbying-Druck ausübt.

Also eine Art Aufstand der Zivilgesellschaft? Occupy Wall Street war so etwas, hat sich aber als Strohfeuer entpuppt.

Ja, genau. Occupy Wall Street war eine Bewegung einiger junger Menschen, die die Fantasien der Öffentlichkeit sehr beflügelt hat. Sie war aber unorganisiert und hatte keine Plattform. Aber schauen Sie in die europäische Geschichte: Nach der Revolution von 1848 haben konservative Mächte die Kontrolle wieder erlangt, bis es eine viel größere Explosion gab. Graduelle Reformen wären der bessere Weg, aber das ist schwierig angesichts der mächtigen Widerstände.

Foto: KURIER/Jeff Mangione

Zu einem anderen Thema: Sie sind der Sonderberater des UNO-Generalsekretärs für die Agenda 2030, die die Welt besser machen soll. Ganz ehrlich: Ist in der gesamten UNO niemandem ein besserer Name dafür eingefallen als „Ziele zur nachhaltigen Entwicklung“?

Stimmt, das Marketing der UNO ist nicht besonders gut. Damit werden wir Katy Perry auf Twitter nicht überholen. Der Begriff ist sperrig, die Herausforderungen sind aber auch nicht einfach. So schwierig es ist, die 17 Ziele zu vermitteln: Ich bin nicht mutlos, weil ich sehe, dass viele Regierungen und Unternehmen dran arbeiten.

Österreich liegt dabei auf dem guten Platz 7 von 157 Ländern, erreicht aber bisher nur bei der Armutsbekämpfung die Vorgaben (siehe Grafik). Warum ist da so?

Österreich ist mit seiner Tradition als soziale Marktwirtschaft ein sehr wohlhabendes Land, die Ungleichheiten sind nicht wie in den USA außer Kontrolle geraten. Besser werden muss Österreich bei der Umwelt, speziell dem Klimaschutz. Im Bericht 2018 werden wir erstmals die importierten Emissionen berücksichtigen.  Und wir werden bewerten, ob sich die Politik in die richtige Richtung bewegt.  Ich hoffe sehr, dass Österreich  dann gut abschneidet.

Sie kennen Österreich recht gut, sind aufgrund der UNO-Sitzungen häufiger in Wien. Wie haben Sie den Ausgang der Wahl wahrgenommen?

Die Wahl war sicher kein Urteil über den Zustand der Wirtschaft. Für mich als Außenstehenden hat die Frage der Migration und der Flüchtlinge alles dominiert.

Zu Recht?

Ein schwieriges Thema. Das wahre Problem sind die Kriege in Syrien, Nahost und Libyen, die großteils die USA angezettelt haben. Europa müsste sich mit eigener Außenpolitik dagegen auf die Beine stellen. Als reiche Region ist Europa ein attraktives Ziel für 1,5 Milliarden Menschen, die in der Nachbarschaft  in Nahost oder Afrika leben. Dieser gewaltige Migrationsdruck wird durch die Demografie und den Klimawandel noch schlimmer werden.  Ich persönlich glaube, man kann da keine Politik offener Türen verfolgen.

Was schlagen Sie dann vor?

Nur Mauern aufzustellen oder Türken und Nordafrikaner zu bestechen, damit sie die Migration in Zaum halten, ist auf Dauer auch keine Lösung. Europa müsste mit bevölkerungsreichen Staaten wie Iran, Saudi-Arabien, Ägypten,  der Türkei und der Afrikanischen Union klare Strategien finden, wie man die Infrastruktur verbessert und die  verrückten Kriege stoppt. Das würde  den Migrationsdruck senken. Nicht in ein paar Jahren, aber für die nächsten Jahrzehnte.

Über die UN-Entwicklungsziele

Foto: /Grafik, UN Die Vereinten Nationen haben 2015 beschlossen, dass alle 193 Mitgliedsstaaten sich in 17 Kategorien (siehe Grafik oben)  bis 2030 verbessern müssen – das reicht vom Kampf gegen Armut über soziale Gerechtigkeit bis zum Umweltschutz. Anders als die früheren „Millennium-Ziele“ gilt das nicht nur für Entwicklungs- und Schwellenländer, sondern auch für die reichen Industriestaaten.

Jeffrey D. Sachs (63) gilt als globaler Vordenker der ökosozialen Marktwirtschaft. Er ist Professor an der elitären Columbia-University und UN-Sonderberater für die Nachhaltigen Entwicklungsziele.

In den 1990ern beriet er Polen und Russland beim Übergang zur Marktwirtschaft. Kritiker werfen ihm bis heute eine neoliberale „Schocktherapie“ vor. Sachs kontert, er sei seit 30 Jahren unverändert Sozialdemokrat –  für ihn sei stets Schwedens Sozialmodell das Vorbild gewesen. Polens wirtschaftlicher Erfolg spreche ohnedies für sich.

Am Donnerstag erhält Sachs in Wien den der gleichnamigen Denkfabrik; frühere Preisträger waren etwa Michael Haneke und Václav Havel.

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