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Oikocredit-Chef: "Die Geldflut macht uns Sorgen"

4-11-2017, 06:00

KURIER: Herr Gieskes, Sie waren vor Ihrer Zeit bei Oikocredit Chef einer Kommerzbank. Was ist für Sie der große Unterschied zur jetzigen Arbeit?Thos Gieskes: In einer Bank macht man das, was finanziell gut für die Kunden ist. Bei Oikocredit steht die soziale Wirkung der Kredite, die wir vergeben, im Vordergrund. Aber natürlich muss das Ganze auch wirtschaftlich sein.

Offenbar ist es sehr wirtschaftlich. Denn auch Banken reißen sich neuerdings um das Mikrokredit-Geschäft . . .

Ja. Es gibt im Moment viel Geld in der Welt. Die Zentralbanken drucken Geld, die Banken suchen Veranlagungsmöglichkeiten. Mikrokredite bieten solche Veranlagungschancen. Aber das bringt Probleme. Die Gefahr der Überschuldung der Armen steigt. Viele der neuen Kreditgeber im Mikrokreditmarkt schauen mehr auf die Rendite und weniger auf die soziale Auswirkung.

Foto: KURIER/Gerhard Deutsch Wo passiert das zum Beispiel? In Lateinamerika. Dort ist der Wettbewerb im Mikrokreditgeschäft inzwischen enorm. Sehr viel Geld aus den USA fließt dorthin. In Mexiko sehen wir schon Fälle von Überschuldung armer Menschen. Und wir sind besorgt, dass die Ehrlichkeit im Mikrokreditgeschäft verloren geht. Menschen sehen Mikrokredite als Möglichkeit, schnell Geld zu machen.

Was tut Oikocredit dagegen?

Wir überprüfen unsere Partner sehr genau. Wir schauen, ob die Gewinne der lokalen Mikrokreditgesellschaften, an die wir Geld vergeben, nicht zu hoch geworden sind. Es ist nicht unsere Idee, dass das Geld in die Taschen der Eigentümer der Mikrokreditgesellschaften fließt. Wir müssen also sehr vorsichtig sein. Und: Wir müssen uns noch stärker auf den sozialen Aspekt konzentrieren und auf Geschäfte, die andere nicht so interessant finden, weil der Ertrag kleiner ist.

Denkt Oikocredit daran, sich aus Teilen Lateinamerikas zurückzuziehen?

Nein, aber wir fokussieren uns schärfer. Wir haben das Phänomen der Überschuldung auch in Indonesien registriert. Auch dorthin fließt zu viel Kredit an arme Menschen.

Wie wäre es mit Afrika als Zielregion für Mikrokredite?

Afrika ist der Ort, der am meisten Hilfe braucht. Wir hatten Afrika im Fokus. Aber wir müssen schauen, was wir dort erreicht haben. In vielen Ländern ist das politische Risiko sehr hoch. Außerdem gründen in jüngster Zeit große Banken wie UBS oder die Deutsche Bank Afrika-Fonds, die Milliarden von Euro schwer sind.

Deren Kunden legen Geld in Afrika-Fonds?

Ja, Menschen legen zunehmend Geld in Fonds an, die ihrer Meinung nach soziale Wirkung haben. Früher haben sie einen kleinen Teil ihres Vermögens in soziales Investment gesteckt, nun wollen sie die Hälfte auf diese Weise anlegen. Das heißt, die großen Finanzinstitute, die Investmentbanken sehen Chancen in diesem Geschäft. Sie wollen aber Rendite. Sie machen daher gutes Finanzgeschäft mit ein bisschen sozialem Aspekt. Wir als Oikocredit machen ein sehr gutes soziales Investment mit nur einem bisschen Rendite.

Haben Sie auch bei Oikocredit mehr Anleger?

Ja, sicher. Die Kernländer, aus denen unsere Investoren kommen, sind die Niederlande, Deutschland und Österreich. Dort steigt nicht nur die Zahl unserer Investoren, sondern auch die Summen, die sie bei uns anlegen.

Bekommen die Anleger noch immer zwei Prozent Dividende?

Wir verdienen nicht mehr so viel wie früher. Wir haben die Ausschüttung an die Genossenschafter, die stets zwei Prozent betrug, immer aus dem Jahres-Nettoergebnis bezahlt. Das geht sich heuer nicht aus. Wir müssen auch zugeben, dass das Niedrigzins-Umfeld für uns schwierig ist. Unser Einkommen besteht fast nur aus Zinseinkommen. Wir müssen daher auf die Kosten schauen.

Werden Sie Oikocredit einen Sparkurs verordnen?

Wir müssen die Arbeitsabläufe genau analysieren. Das ist der Vorteil, dass ich aus einer Kommerzbank komme. Ich weiß, wie man einen Kreditprozess effizient gestaltet. Unsere Kosten sind nicht exorbitant, aber wir müssen an das Kostenniveau anderer Banken herankommen.

Überdenken Sie auch die Kreditvergabe-Politik?

Ja, das ist der zweite Fokus unserer Strategieüberprüfung. Wir arbeiten derzeit in 70 Ländern. Dort kooperieren wir mit lokalen Mikrokreditinstitutionen, mit Landwirtschaftskooperativen, Bauern, Fair-Trade-Organisationen. Zählt man das alles zusammen, erhält man ein breites Spektrum. Es könnte sein, dass wir uns auf weniger Länder konzentrieren.

Oikocredit vergibt nicht nur Mini-Kredite, sondern stellt auch Eigenkapital zur Verfügung. Wächst dieser Geschäftszweig künftig stärker?

Nein, das lässt sich so nicht sagen. Das hängt von den Projekten ab. Manche brauchen zum Wachstum Eigenkapital, sie wollen keine höhere Verschuldung. Das Wachstum des Beteiligungs-Geschäfts ist ein bisschen höher als jenes der Mikrokredite. Aber das Eigenkapitalgeschäft ist auch jünger.

Die Bank

Oikocredit wurde 1975 als Genossenschaftsbank von kirchlichen Vereinigungen und Entwicklungsorganisationen in den Niederlanden gegründet. Die Bank vergibt Mikrokredite an Arme, die mit dem Geld einen Kleinstbetrieb gründen. Meist sind das Projekte in der Landwirtschaft, Kleinküchen oder Nähereien. Das Geld dafür stammt von Anlegern – darunter 5700 Österreicher, die 109 Millionen Euro angelegt haben. Sie erhielten bisher zwei Prozent Dividende im Jahr.

Der Chef

Seit April dieses Jahres leitet Thos Gieskes die Bank. Zuvor arbeitete er fast 30 Jahre lang in Führungspositionen der niederländischen Genossenschaftsbank Rabobank. Seine berufliche Tätigkeit führte ihn unter anderem nach Chile und Australien.

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