Der Fall zieht sich seit 1993: 30.000 Amazonas-Einwohner fordern von Texaco (heute Chevron) Entschädigung. Der US-Ölkonzern wird beschuldigt, über Jahrzehnte hinweg den ecuadorianischen Regenwald mit Öl und Giftstoffen verwüstet zu haben.
Das Höchstgericht in Quito spricht der indigenen Bevölkerung 2011 zwar mehr als 9 Milliarden Dollar zu. Den Geschädigten bringt das aber nichts: Chevron hat keine Vermögenswerte mehr in Ecuador, die beschlagnahmt werden könnten. Und die Zuständigkeit der US-Justiz wird vom Supreme Court in Washington im Juni 2017 verneint.
Geld ist zwischenzeitig dennoch geflossen, aber von Ecuador an Chevron: Der US-Konzern hatte den südamerikanischen Staat wegen ungerechter Behandlung geklagt. Und prompt gewonnen. Basis war ein 1997 in Kraft getretener Investitionsvertrag von Ecuador mit den USA.
Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit? Zumindest eine eklatante Schieflage im globalen Rechtssystem. Multinationale Konzerne können sich nämlich auf ein dichtes Geflecht von rund 2350 bilateralen Investitionsverträgen stützen. Fühlen sie sich diskriminiert, können sie Staaten vor ein internationales Schiedsgericht zitieren. Und zwar ohne Umwege.
Ganz anders sieht es aus, wenn Bürger gegen Menschenrechtsverletzungen vorgehen wollen. Dann erklären sich die Heimatstaaten der Konzerne gerne für unzuständig, die Betroffenen werden im Kreis geschickt.
Seit 2011 sollte es dagegen eigentlich Abhilfe geben: Die Leitprinzipien der Vereinten Nationen (UN) über Wirtschaft und Menschenrechte nehmen die Konzerne in die Verantwortung. Theoretisch, denn bindend sind sie nicht. "Das waren nicht viel mehr als Empfehlungen, an die sich Unternehmen halten sollten", kritisiert Alexandra Strickner von Attac Österreich. "Das passiert aber leider nicht."
Deshalb verhandelt seit 2014 über einen rechtlich bindenden Vertrag (siehe Lexikon unten). Vor einer Woche fand in Genf die dritte Arbeitssitzung statt. Ein Entwurf sieht vor, dass Konzerne sich auch im Heimatland verantworten müssten.
"Voestalpine oder Andritz müssten sich also nicht nur in Österreich an Gesetze halten, sondern könnten theoretisch auch hierzulande für Menschenrechtsverletzungen im Ausland zur Verantwortung gezogen werden", sagt Strickner. In jedem Land müsste es die nötigen Instrumente geben, damit geschädigte Bürger ihre Rechte durchsetzen könnten.
Einen raschen Durchbruch sollte man besser nicht erwarten. Die UN-Verhandlungen verlaufen zäh; sie könnten noch drei bis fünf Jahre dauern, glauben Beobachter.
Die USA bringen sich dabei – wie so oft – gar nicht ein. Aber auch die Rolle der europäischen Staaten wird von Nichtregierungsorganisation zwiespältig beäugt. Anfangs hatten sie den UN-Vorstoß für einen verbindlichen Vertrag ganz abgelehnt. Zwar sahen die EU-Staaten ein, dass Betroffene von Menschenrechtsverletzungen große Probleme haben, zu einer Entschädigung von Konzernen zu kommen. Sie wollten aber die unverbindlichen UN-Leitprinzipien weiter umsetzen. "Erst jetzt kommt etwas Bewegung in die Sache", sagt Strickner.
Der Grund: Frankreich hat im Februar 2017 ein Gesetz verabschiedet, das seinen Unternehmen umfassende Sorgfaltspflichten für Auslandsaktivitäten abverlangt. In den Niederlanden macht die Volksvertretung Druck. Das Europäische Parlament habe die EU-Delegation gezählte neun Mal aufgefordert, sich stärker zu engagieren, sagte eine Abgeordnete in der Genfer Arbeitsgruppe.
Dort sorgte in der Vorwoche allerdings bereits die simple Frage für heftige Dispute, für wen der Vertrag eigentlich gelten soll. Der EU-Verhandler pochte darauf, dass nicht nur transnationale Konzerne, sondern auch einheimische Unternehmen betroffen sein sollen und alle Pflichten einzuhalten haben. Die EU sorgt sich um fairen Wettbewerb. Sonst würden bei Fabriksunglücken künftig nur internationale Auftraggeber verfolgt, während die lokalen Eigentümer ungeschoren davon kämen.
Foto: Kurier/Juerg Christandl Der UN-Vertrag könne "ein Korrektiv zu einigen Ungleichgewichten der Globalisierung werden", glaubt Pia Eberhardt, Sprecherin der lobbykritischen Gruppe Corporate Europe Observatory. Allerdings müssten die Menschenrechte in Konfliktfällen über die Handels- und Investitionsabkommen gestellt werden – was erstaunlicherweise keine Selbstverständlichkeit ist, wie die Genfer Verhandlungen zeigten.
Zwar wäre es Eberhardt am liebsten, wenn die Staaten die bilateralen Investitionsverträge überhaupt aufkündigen. Einigen Charme besäße allerdings auch ein anderer Vorschlag: Die EU-Kommission will nämlich die umstrittenen Investorenklagen gegen Staaten ohnehin auf neue Beine stellen und einen global tätigen, multinationalen Gerichtshof etablieren (siehe Lexikon unten). Wenn es die EU mit ihrer Agenda für fairen Handel tatsächlich Ernst meinte, "könnte sie diesen Gerichtshof auch für Klagen von Bürgern oder Gewerkschaften gegen Investoren offenhalten", regt Eberhardt an. Was das klare Signal abgeben würde: Konzerne haben nicht nur einklagbare Rechte, sondern auch Pflichten.
2011: UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
Die Vereinten Nationen verabschieden einstimmig (unverbindliche) Leitprinzipien , die Menschenrechtsverstöße durch die Wirtschaft verhindern und ahnden sollen. Die EU-Staaten verpflichten sich zu nationalen Aktionsplänen.
2013: Rana-Plaza-Katastrophe
Am 24. April stürzt in Bangladesch ein Fabriksgebäude ein, 1135 Arbeiter sterben. Ein großer Teil der Textilien wurde für Europa und bekannte Marken produziert.
2014ff.: UN-Vertrag zur Regulierung transnationaler Konzerne
Auf Druck der Zivilgesellschaft verabschiedet der UN-Menschenrechtsrat am 26. Juni mehrheitlich eine, die ein bindendes Abkommen zum Ziel hat. Die vierte Arbeitssitzung findet im März 2018 statt.
21. Februar 2017: Französisches Gesetz
Frankreich beschließt ein Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht. Rund 120 Unternehmen wie Danone, Renault oder Total müssen Risiken in ihrer Wertschöpfungskette identifizieren und verhindern. Die Einhaltung kann gerichtlich überprüft werden.
13. Sept. 2017: Multilateraler Gerichtshof für Investitionen
Die EU-Kommission bittet die Mitgliedstaaten um den Auftrag, einen multilateralen Gerichtshof verhandeln zu dürfen, der die strittigen Adhoc-Schiedsgerichte ersetzt . Wie viele Drittstaaten sich anschließen ist offen. Die Vorteile wären mehr Transparenz, unabhängigere Richter und eine Berufungsinstanz.