Mehl klingt nach einem relativ banalen Produkt, das seit Jahrhunderten mehr oder weniger auf die gleiche Art und Weise von Familienbetrieben hergestellt wird. Die Realität sieht anders aus.
Seit dem EU-Beitritt ist die Zahl der Mühlen in Österreich von rund 400 auf etwa 70 zusammengeschrumpft, über ganz Europa rollte eine Konsolidierungswelle. Wer im großen Stil in der Branche mitmischen will, braucht aufwendige Anlagen. Denn Mehl ist genau genommen doch nicht gleich Mehl.
Rund 200 Getreidesorten gibt es in Europa. Dazu kommt, dass nicht jede Ernte gleich ausfällt und Handel wie Industrie gleichbleibende Qualität über die Jahre hinweg fordern. Und zwar für Pizzateigmischungen genauso wie für Kekse, Brot oder Teigwaren. Zudem sind Geschmäcker unterschiedlich. So haben Polen traditionell gern besonders weißes Mehl, in Berlin Mitte ist derzeit eher dunkleres Vollkornmehl angesagt. Anders formuliert: Eine Mehlfabrik muss alle Stücke spielen.
In Stradunia, mitten in der landwirtschaftlich geprägten Region zwischen Katowice und Breslau, rattern die Anlagen in der Good-Mills-Mühle. In hektisch ruckelnden Riesenschränken wird Getreide in acht Stufen vollautomatisch gesiebt und dann über Rohre zur Weiterverarbeitung an Maschinen eine Etage tiefer transportiert. Später wird das Mehl vollautomatisch in Packungen abgefüllt, gewogen und versandfertig gemacht.
Der Standort wurde in den vergangenen Monaten erweitert, die Tagesproduktion damit von 440 auf 740 Tonnen gesteigert. Das Zauberwort lautet "Skaleneffekt" oder wie es Erwin Hameseder, Aufsichtsratschef des Good-Mills-Mutterkonzerns LLI, formuliert: "Je mehr man durch eine Mühle jagt, desto mehr verdient man." Auch weil es Synergien im Getreideeinkauf gibt und sich die Anschaffungkosten bei hohen Produktionsmengen schneller rechnen.
Mehl ist ein Groschengeschäft, speziell wenn es um die Lieferung großer Mengen an Industriebetriebe geht, die auch verstärkt Teiglinge für die Supermärkte backen. Der Hintergrund: Die tief- oder halbgefrorenen Teiglinge können bei Bedarf aufgebacken werden, am Ende des Tages liegt damit nicht mehr massenweise altes Brot in den Regalen, das verschenkt oder einfach entsorgt wird.
Foto: /photonews.at/Herbert Neubauer Good Mills macht 85 Prozent des Geschäfts mit solchen Großkunden. "Die Spannen sind in diesem Bereich gering, es kommt immer auf die Kostenführerschaft an", erläutert Firmenchef Josef Dietrich. Besser sind die Margen bei Marken-Mehlen (wie Finis Feinstes) im Handel, die aber nur einen geringen Teil der Menge ausmachen.
Gemeinsam sind allen Kunden die hohen Sicherheitsstandards. So schreiben Handelsketten den Mühlen mitunter sogar vor, welche Geräte sie in der Qualitätskontrolle verwenden müssen. So kommt es, das eine Mühle für eine Qualitätskontrolle Laborgeräte von mehreren Anbietern kaufen müssen. Bei Anschaffungskosten, die sich schnell auf ein paar hunderttausend Euro summieren, können kleine Betriebe schnell nicht mehr mitspielen, der Konzentrationsprozess setzt sich fort. Die LLI investiert aktuell 100 Millionen Euro in den Ausbau ihrer Standorte in Deutschland, Polen und Tschechien, um ihre Marktmacht abzusichern, betont LLI-Generaldirektor Josef Pröll bei der Eröffnung der Mühlenerweiterung in Polen.
Derzeit herrscht bei den Mehlmachern Hochbetrieb. Von Oktober bis November machen sie traditionell ein Drittel ihres Jahresumsatzes. Schon seit August wird in Stradunia auf Lager produziert, um mit der Auslieferung nachzukommen.
Die zur Leipnik-Lundenburger Beteiligungs AG (LLI) gehörende Gruppe ist der größte Mehlerzeuger in Europa. Zuletzt wurden an den 25 Produktionsstandorten in Deutschland (9), Österreich (3), Polen (4), Ungarn (4), Rumänien (2), Tschechien (2) und Bulgarien (1) insgesamt 2,83 Millionen Tonnen Getreide verarbeitet. Die Gruppe beschäftigt mehr als 1600 Mitarbeiter und setzte zuletzt 850 Millionen Euro um.
Im österreichischen Lebensmittelhandel hält die Gruppe mit ihren Marken wie Fini’s Feinstes, Farina oder Eselmehl rund 23 Prozent Marktanteil.