Einen Golfplatz, einen Kasernenbunker, einen Vergnügungspark und sogar einen Friedhof hat er schon bewertet. Doch das sind Ausnahmen. Für gewöhnlich beschäftigt sich Michael Buchmeier, Mitglied der Geschäftsführung der ÖRAG-Immobilien Vermittlungs GmbH und Leiter der neuen Abteilung Immobilienbewertung mit Bürotürmen, Einzelhandelsflächen oder Zinshäusern. Auftraggeber sind meistens Banken, Versicherungen, börsennotierte Unternehmen, Investmentfonds oder Gerichte. Aber auch Privatpersonen, die Immobilien kaufen und verkaufen wollen (oder müssen) wenden sich an Sachverständige wie ihn. Wird im Zuge einer Scheidung das Immobilienvermögen aufgeteilt, wollen die Betroffenen genau wissen, wie viel die Objekte wert sind. Auch ältere Menschen, die ihr Eigentum gerecht unter ihren Kindern aufteilen wollen, ziehen oft einen Sachverständigen zu Rate.
Ein Gutachten besteht aus zwei Teilen – der Beschreibung der Liegenschaft und der Bewertung. Dieser zweite Teil war früher sehr kurz. "Da stand dann zum Beispiel, aus meiner Erfahrung ist die Wohnung 3000 Euro pro Quadratmeter wert‘. Das ist zu wenig. Heute muss nachvollziehbar dargestellt werden, wie und woher welche Werte abgeleitet wurden", erklärt Buchmeier. "Wenn man ein Gutachten bekommt, sollte man prüfen: Verstehe ich das? Ist es für mich nachvollziehbar? Wurden die Zahlen über Vergleichswerte oder andere Verfahren hergeleitet? Es geht nicht so sehr um die ersten Seiten oder darum, ob das Haus schön fotografiert ist. Natürlich muss ein Gutachter das Objekt genau beschreiben und erkennen, wenn es zum Beispiel eine Fußbodenheizung oder eine Alarmanlage gibt. Aber wichtiger ist, dass der Wert, der am Ende steht, nachvollziehbar ist."
Foto: Getty Images/Frank Ramspott/IStockphoto.com Ein seriöser Sachverständiger wird sich vor Ort ein Bild machen. "Wir schauen uns die Wohnung und die allgemeinen Teile des Hauses an. Wird ein Zinshaus bewertet, gehen wir auch in den Keller und auf den Dachboden", sagt Otto Bammer, Gerichtssachverständiger und Studiengangsleiter am Institut für Immobilienwirtschaft der FHWien der WKW. Dann werden relevante Grundbuchsurkunden ausgehoben. Bei der Hausverwaltung wird eruiert wie hoch die Betriebskosten sind, wie viel Geld im Instandhaltungstopf ist und welche Maßnahmen in den nächsten Jahren anstehen. "Bei Wohnungseigentumsobjekten verlange ich auch gerne das Protokoll der letzten Eigentümerversammlung und ich frage nach, ob es ein von der Gemeinschaft aufgenommenes Darlehen gibt. Diese Lasten sind nämlich nicht verbüchert und daher nicht im Grundbuch zu sehen", erklärt Buchmeier.
Bei der Baupolizei wird Einsicht in den Bauakt genommen. "Vor allem im Altbestand schauen die Wohnungen in Wirklichkeit oft ganz anders aus als in den Plänen. Viele Umbauten wurden der Baupolizei nie gemeldet", berichtet Bammer. Gibt es aber keine Baugenehmigung, kann das den Wert mindern.
Einen großen Einfluss auf den Wert einer Immobilie hat die Lage. Nicht immer geht es um objektive Kriterien, manchmal ist allein die Adresse ausschlaggebend. "Im 19. Bezirk gibt es Gegenden wo man man keinen Supermarkt und keine öffentlichen Verkehrsmittel hat. Aber die Immobilie ist mehr wert, weil es ruhig ist und man sagen kann: Wir wohnen im Neunzehnten", erklärt Bammer. Vor allem Eigentümer von Einfamilienhäusern neigen dazu, den Wert ihrer Immobilie zu überschätzen. Viele finden ihr Haus schöner als es für den durchschnittlichen Marktteilnehmer ist – vor allem, wenn vieles in Eigenleistung erbracht wurde. Die Größe eines Grundstücks sagt zum Beispiel nicht viel aus. Es macht einen Unterschied, ob es flach oder geneigt ist. Wenn es geneigt ist, kommt es darauf an, wie steil und in welche Himmelsrichtung. Ist ein Grundstück lang und schmal, ist es schwieriger und teurer zu bebauen und daher auch weniger wert als ein Grund mit dem einem Längen-Breiten-Verhältnis von zwei zu drei. Auch wenn ein Objekt nicht zur Umgebung passt, kommt man allein mit der Berechnung nicht weit. Hier ist Marktkenntnis gefragt. Ein Beispiel: Eine sehr luxuriöse Villa mit 600 Quadratmeter Wohnfläche kann rein rechnerisch eine Million Euro wert sein. Steht das gute Stück im nördlichen Waldviertel wird der Bewerter einen sogenannten Marktanpassungsabschlag vornehmen. Findet man in einem strukturell benachteiligten Gebiet keinen Käufer für eine Immobilie, kann dieser Abschlag in Ausnahmefällen bis zu 60 oder 70 Prozent betragen. Andererseits wird in einer besonderen Lage – zum Beispiel ganz oben am Sonnenhang mit unverbaubarem Fernblick – auch für eine Bruchbude viel Geld bezahlt.
Bei der Bewertung eines Zinshauses geht es nicht nur um den Sachwert des Gebäudes, sondern auch um Renditen. Daher werden alle Mietverträge geprüft. Um den Ertrag geht es auch bei Land- und Forstwirtschaften: Es macht einen Unterschied, ob in einem Wald nur junge Bäume stehen oder ob es viele 50-jährige Eichen und Buchen gibt, die man schlagen und verkaufen kann.
Wie viel ein Gutachten kostet, hängt vom Aufwand im Einzelfall ab und ist Vereinbarungssache. In einem Gerichtsverfahren wird nach dem Gerichtsgebührenanspruchsgesetz abgerechnet. Je größer der Wert der Immobilie, umso teurer ist das Gutachten. Ein realistischer Preis liegt bei 0,5 bis 1,5 Prozent des Schätzwertes.Eine Bewertung für ein Einfamilienhaus kostet im Durchschnitt zwischen 1500 und 2500 Euro. "Für einen Privaten, der nur wissen will, was das Objekt wert ist, falls er irgendwann verkauft, zahlt sich das nicht aus. Anders ist es bei einer Scheidung oder der Aufteilung des Erbes. Da hat man mit dem Befund eines Experten sicher eine bessere Verhandlungsbasis", sagt Buchmeier. Und Astrid Grantner, Geschäftsführerin der EHL Immobilien Bewertungs GmbH, rät zur Vorsicht: "Als Untergrenze für ein seriöses, unabhängiges Gutachten für eine Eigentumswohnung muss man 1000 Euro netto ansetzen. Alles was darunter liegt, kann eigentlich nur oberflächlich sein oder es ist ein Lockvogelangebot bei dem darum geht, einen Vermarktungsauftrag für das Objekt zu bekommen – solchen Gutachten gegenüber wäre ich zutiefst skeptisch."Wenn jemand seine Wohnung verkaufen will oder sein Testament vorbereitet, genügt auch eine vereinfachte Verkehrswerteinschätzung. "Ein solches ,Gutachten light‘ ist um 20 bis 40 Prozent günstiger", erklärt Bammer. Der Sachverständige besichtigt zwar das Objekt, recherchiert aber nicht selbst, sondern arbeitet mit den Informationen, die ihm der Eigentümer gibt. "In so einem Kurzgutachten wird auch vermerkt, dass man von ungeprüften Angaben ausgeht und auf welchen Unterlagen und Angaben des Auftraggebers die Bewertung beruht. Das ist wichtig, damit der Sachverständige nicht in eine unangenehme Haftungssituation kommt", erklärt Bammer.
Doch wie findet man einen seriösen Gutachter? "Die Qualität ist sicherlich an diversen Zertifizierungen ablesbar. Auf Nummer Sicher gehen Sie auch, wenn Sie sich an etablierte und unabhängige Unternehmen wenden", sagt Grantner. Beim Hauptverband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen gibt es eine Liste von gerichtlich geprüften Gutachtern. Suchen kann man nach Bundesländern und Fachgebieten. Auch die Mitgliedschaft bei internationalen Berufsverbänden wie der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) ist ein Qualitätsmerkmal.
Einen Tipp für alle, die noch nie ein Gutachten gesehen haben, hat Michael Buchmeier parat: "In der Edikte-Datei, also der Datenbank des Gerichts, kann man sich alle Versteigerungen und die Gutachten zu den jeweiligen Objekten anschauen. Die Datenbank ist öffentlich zugänglich, die Nutzung kostenlos. Die Bewertungen in einem Exekutionsverfahren sind immer besonders sorgfältig erstellt, weil es hier eine Doppelhaftung gibt: Man haftet nicht nur dem Gericht als Auftraggeber, sondern auch demjenigen, der am Ende die Immobilie erwirbt."