Wer in der digitalen Wirtschaft über die meisten Daten verfügt, hat alle Trümpfe in der Hand. "The winner takes all", nennen das Ökonomen. Die Internet-Riesen wachsen nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Größe so rasant. Droht somit das Ende des Wettbewerbs, schafft sich der "Kapitalismus 4.0" also selbst ab? Der Oxford-Professor (und Österreicher) Viktor Mayer-Schönberger erklärt, wie sich Monopole verhindern ließen.
KURIER: Sie erwarten, dass die traditionelle Firma zusehends unter Druck gerät. Widersprechen nicht die digitalen "Superstars" dieser These ganz massiv?
Viktor Mayer-Schönberger: Überhaupt nicht. Diese Unternehmen wie Google, Apple, Facebook, Amazon und Co. sind in Wirklichkeit große Datenkraken. Ihre Mitarbeiterzahl ist verglichen mit dem Umsatz gering. Apple hat, als Unternehmen mit dem höchsten Marktwert, gerade einmal 116.000 Mitarbeiter. Zum Vergleich: Die Supermarktkette WalMart hat mehr als zwei Millionen. Da ist die Firma also keine Organisationsform, um viele Menschen zu beschäftigen, sondern überspitzt formuliert eine juristische Person, um hohe Gewinne zu scheffeln.
Klingt wie eine linke Kampfparole. Ihr Buchtitel "Das Digital" spielt auch auf Marx an. Warum?
Dabei bin ich ein Marktwirtschaftler, ich singe das Hohe Lied auf den Markt. Das Interessante ist: Marx hatte unrecht, beide haben verloren, Arbeit und Kapital. Auch die Investoren erhalten viel weniger Rendite für das Geld, das sie zur Verfügung stellen, als vor zwanzig Jahren. Wer hat gewonnen? Genau diese Superstarfirmen, die monopolartige Gewinne anziehen. Und diese dann oft nicht einmal versteuern.
Dahinter stehen doch auch Aktionäre, Eigentümer und somit Kapitalinteressen.
Ja, aber eigentlich müsste sich diese enorme Profitkonzentration in den Aktienpreisen widerspiegeln. Das tut sie aber nicht, die Aktionäre haben nicht im selben Ausmaß profitiert. Das ist das Perverse: Apple hat so viele Gewinne gescheffelt, dass es jetzt Hunderte Milliarden Dollar auf der hohen Kante liegen hat. Wofür es selbst kaum Rendite kriegt – da geht es Apple wie allen Banken.
Sie wollen, dass diese digitalen Megafirmen nicht nur Steuern zahlen, sondern auch Daten abliefern. Damit kann man aber keine Spitäler bauen.
Wir verlangen nicht, dass sie nur mit Daten zahlen. Mit der Körperschaftssteuer baut man Spitäler oder bezahlt die Mindestsicherung für jene, die der digitale Wandel arbeitslos gemacht hat. Wir sehen aber ein Problem, das über die Verteilungsgerechtigkeit hinausgeht, nämlich die Monopolisierung von Marktmechanismen. Das ist ein Wettbewerbsproblem, weil die Superstarfirmen und Datenkraken ihre Monopolposition allein dadurch verbessern, dass sie Zugang zu sehr vielen Daten haben.
Wo kann man das sehen?
Ein Beispiel ist das autonome Fahren: Die deutschen Autobauer konnten die Strecke, die ein Fahrzeug fährt, bevor der Mensch eingreifen muss, binnen eines Jahres um 30 Prozent verbessern. Google hingegen um 400 Prozent. Warum? Weil die Systeme aus den Daten lernen. Innovation beruht nicht mehr auf großen Ideen und der Kreativität der Menschen, sondern auf der Verfügbarkeit von Daten. Ein Start-up kann also noch so tolle Ideen haben, es hat keine Chance.
Wie kann man da jemals wieder Chancengleichheit schaffen?
Ein Unternehmen, das einen gewissen Marktanteil erreicht, sagen wir zehn Prozent, müsste auf Wunsch allen anderen Unternehmen einen Teil seiner Daten zur Verfügung stellen. Je größer, umso mehr. Wer 40 oder 50 Prozent Marktanteil hat, könnte immer noch von seiner Datenmenge profitieren. Aber die anderen eben auch.
Momentan sind unsere Wettbewerbshüter mit den digitalen Giganten überfordert. Wie ließen sich Monopole verhindern?
Da müssen wir umdenken und das Regulatorium aufmunitionieren. Bisher war Größe nicht verwerflich, solange ein Monopolist seine Marktstellung nicht missbraucht hat. Das greift aber zu kurz in einer Zeit, in der Innovation durch Information getrieben ist. Da helfen den Mitbewerbern hohe Geldstrafen nichts, sie müssen an die Daten herankommen.
Daten teilen: Ist das nicht der Albtraum jedes Datenschützers?
Viele Daten sind nicht personenbezogen. Das können Maschinendaten aus der Industrie 4.0 sein, Wetter, Fluglinien oder Auto-Telemetrie. Und alles, was doch mit Personen verknüpft ist, ließe sich säubern oder verschlüsseln.
Was, wenn alle dieselben Daten verwenden? Dann würden Algorithmen womöglich erst recht völlig gleich handeln – genau deswegen gab es sogar schon Börsencrashes.
Ganz genau, deshalb sollte in der Datenteilungspflicht per Zufall ermittelt werden, welchen Teil ein Anbieter den anderen zur Verfügung stellen muss. Damit hätte jeder eine andere Datengrundlage – die Hoffnung wäre, dass daraus Diversität und Wettbewerb entstehen.
Wie bewerten Sie "Nudging", also den Ansatz, Menschen mit psychologischen Mitteln subtil in eine Richtung zu stupsen? Viele Politiker sind davon fasziniert.
Ich bin ein Fan von Entscheidungsfreiheit und sehe Nudging als problematisch an – gerade dort, wo es intransparent wird. Das ist ein mächtiges Instrument, aber es nimmt ein Stück Freiheit. Es muss den Menschen möglich bleiben, irrational zu entscheiden. Und dann dafür die Konsequenzen zu tragen.
Sehen Sie die Gefahr, dass Datenmissbrauch in Richtung Totalitarismus führen könnte?
Die sehe ich absolut.
Wie vermeidet man das?
Totalitarismus funktioniert dann besonders gut, wenn möglichst viele Menschen denselben Entscheidungsassistenten verwenden. Wenn wir also alle auf Alexa (Amazons sprachgesteuerter Assistent, Anm.) hören, könnte der Algorithmus uns in eine Richtung "nudgen". Das vermeiden wir nur durch Vielfalt. Deswegen ist mir diese progressive Datenteilungspflicht so enorm wichtig. Sie stellt nicht nur Markt und Wettbewerb sicher, sondern schützt uns vor autoritären Gelüsten.
Haben Sie den Wahlkampf in Österreich beobachtet? Wie stellt sich das aus der Ferne dar?
Mein Eindruck: Da werden die Liegestühle auf dem Sonnendeck der Titanic neu arrangiert, um den Menschen das Gefühl zu geben, es werde auf die drängenden Zukunftsprobleme reagiert.
Die da wären?
Die, über die wir gerade gesprochen haben. Ob wir in einem Land von fast neun Millionen Menschen 100.000 Flüchtlinge mehr aufnehmen ist ein Mailüfterl im Vergleich zu dem, was uns durch den digitalen Wandel an institutionellen Umwälzungen bevorsteht. Das zu gestalten wäre viel wichtiger.
Foto: /Econ
Viktor Mayer-Schönberger wurde 1966 in Zell am See geboren. 1986 gründete er Ikarus Software und schrieb eines der ersten Anti-Viren-Programme. Der Rechtswissenschafter war zehn Jahre Professor in Harvard und lehrt jetzt in Oxford. Er wurde bekannt mit einer Initiative für das Vergessen im Internet und den Bestseller „Big Data“.
Der Datenkapitalismus des 21. Jahrhunderts bringt schmerzhafte Umwälzungen mit sich, schreiben Mayer-Schönberger und sein Co-Autor, der Journalist Thomas Ramge (Brand eins, Economist) in ihrem soeben erschienenen Buch "Das Digital". Millionen Jobs werden verloren gehen - und zwar in vormals für sicher gehaltenen Bereichen, vom Lastwagenfahrer bis zum Sachbearbeiter in der Versicherung. Die traditionelle hierarchisch organisierte Firma, wo die Fehlentscheidung einiger weniger Vorstände den Ruin bedeuten kann, gerät unter Druck. Dafür entstehen neuartige Unternehmen, die flach, dezentral und direkt agieren, wie Marktplätze.
Bisher war die gesamte Information für Käufer oft im Preis gebündelt - jetzt verliert er seine zentrale Bedeutung. Dank der Vielzahl verfügbarer Daten wissen intelligente Algorithmen oft sogar besser als wir selber, was wir wirklich wollen. Auch das Wesen der Arbeit verändert sich: "Das ist kein festgelegtes Bündel aus Rechten und Pflichten mehr, wo ich 40 Stunden arbeite und dafür ein einheitliches Gehalt bekomme." Das schafft Freiheiten, aber auch Abhängigkeiten und Unsicherheit, auf die die Politik Antworten finden müsse. Was ist die Digitalisierung nun, Fluch oder Segen? „Wie so oft: beides.“
Mayer-Schönberger: "Vielleicht arbeiten wir dann nur 15 oder 20 Stunden in einem Job, der uns Geld bringt, dazu kommt womöglich eine partielle Mindestsicherung. Dafür könnten wir einige Stunden in einem sozialen Kontext arbeiten, in dem wir wenig oder nichts verdienen, woraus wir aber Identität und Freude gewinnen. Damit würde sich die zwanghafte Vorstellung auflösen, dass nur jene Arbeit gut ist, die hoch bezahlt ist."
Darin sieht er ohnehin ein Relikt aus dem Industriezeitalter: So wie die Produkte auf einheitliche Erscheinung und Preise getrimmt wurden, sei auch die Arbeit selbst als Massenprodukt ausgelegt gewesen. Das ändere sich nun, die Arbeitsprofile würden individueller. Womit aber auch die Gewerkschaften ihren Einfluss als zentrale Verhandler einbüßen dürften.
Gemeinsam mit dem Preis verliere das Einkommen seine übergroße Bedeutung: Jungen Menschen seien nette Kollegen und eine erfüllende Tätigkeit heute schon wichtiger als der Kontoauszug, beobachtet der Professor: "Wir werden uns von der Idee verabschieden, dass der Produktpreis oder die Lohnhöhe uns die Bedeutsamkeit einer Sache signalisieren."
Viktor Mayer-Schönberger, Thomas Ramge: Econ Verlag, 304 Seiten, 25,70 Euro