Die Erwartungen waren hoch, als mit gehöriger Verspätung Mitte 2015 auch österreichischen Apotheken der Versandhandel mit rezeptfreien Medikamenten erlaubt wurde. Bis zu 100 der 1386 heimischen Apotheken würden eigene Web-Shops betreiben, hieß es, der Umsatz-Anteil am 300 Millionen Euro schweren Markt für rezeptfreie Arzneimittel könnte von vier auf zehn Prozent steigen.
Zwei Jahre später herrscht Ernüchterung. Gerade einmal 45 Apotheken wagten bisher den – streng regulierten – Schritt ins Web, die Geschäfte der Web-Pioniere laufen eher schlecht als recht. "Wir haben etwa fünf Bestellungen pro Woche, ein großer Mehrumsatz ist das nicht", berichtet Christina Kletter von der Auge-Gottes-Apotheke in Wien-Alsergrund, "man ist halt dabei". Nachsatz: Gegen die großen "Aspirin-Verschleuderer" aus dem Ausland könne man eh nicht konkurrieren. Viele suchten daher die Nische, bieten ausgewählte Produkte an oder verlegen sich ganz auf die rasche Zustellung außerhalb der Öffnungszeiten. Ulrike Sommeregger von in Wien-Döbling sieht sich eher als "Start-up in der Aufbauphase". Die Nachfrage sei groß, für die Bewerbung des Service brauche es aber viel Geld.
"Das Unternehmerrisiko ist relativ groß, denn im Endeffekt müssen die kleinen österreichischen Online-Apotheken mit den großen internationalen ‚Schiffen‘ konkurrieren", bestätigt Christian Wurstbauer, Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer.
Die Kammer baute mit dem Portal apodirekt.at ein eigenes "Click & Collect"-System (bestellen im Internet, abholen in der Apotheke, Anm.) auf, an dem sich Apotheken beteiligen sollten. Ohne Preisauszeichnung und Bestellmöglichkeit geriet die Sache aber zum Rohrkrepierer und wurde rasch wieder eingestellt. Wurstbauer zum Flop: "Die bloße Vorbestellung und Abholung eines Arzneimittels in der Apotheke bietet zu wenig Nutzen für den Kunden. Wir haben aus dem Click-und-Collect-System aber viel gelernt." Die Zukunft liege in Plattformen, die für ihre Kunden branchenübergreifend auf allen Vertriebswegen individuelle Lösungen präsentieren.
Ein Geschäftsmodell, das nur Großversender bieten können. Aus dem Ausland agierende Anbieter wie Zur Rose, MyCare oder Shop-Apotheke schneiden sich den größten Umsatzkuchen ab. Dabei setzen sie auf Blockbuster wie Erkältungspräparate, Schmerz- und Nahrungsergänzungsmittel oder Diätprodukte, wie eine Studie des Marktforschers QuintilesIMS für Österreich ergab. "Hier gibt es einen aggressiven Preiskampf zwischen den Online-Händlern, da können österreichische Apotheken gar nicht mithalten", erläutert Martin Spatz, Österreich-Chef von QuintilesIMS (vormals IMS Health).
Die Studie verweist auch auf "bedenkliche Entwicklungen" im Arzneimittelversand, um den Absatz zu steigern. So verlangen viele Versender eine Mindestbestellmenge, damit versandfrei geliefert wird. "Dadurch wird mehr bestellt als erforderlich und so ein Überkonsum von Arzneimittel gefördert", warnt Spatz. Viele Händler würden Kombi-Angebote im Web-Shop aktiv anpreisen.Was nicht benötigt werde, lande dann einfach im Müll. "Es kann auch vorkommen, dass Arzneien versendet werden, die in Österreich gar nicht zugelassen sind", weiß Spatz. Die Inhaltsstoffe einzelner Präparate können in den einzelnen Ländern unterschiedlich sein, z. B. laktosefrei oder nicht. Das sei ein riesiger Graubereich, der kaum kontrollierbar sei.
Konsumentenschützer fordern schon länger mehr Transparenz darüber, woher die Arzneien stammen oder wo der Betreiber überhaupt sitzt. Die Österreich-Flagge auf dem Portal heißt noch lange nicht, dass Anbieter und Produkte auch aus Österreich kommen. Ein weiteres Problem sieht Spatz in der Einhaltung der Kühlkette, die bei Billiganbietern nicht immer gewährleistet sei. Weil sich die Versender auf wenige Umsatzbringer konzentrieren, führe die Online-Konkurrenz bisher nicht zu einem generellen Preisrutsch in den Apotheken. Am Land, wo mehr im Web bestellt wird als in der Stadt, würden Apotheken den Versandhandel aber sehr wohl spüren. IMS rechnet damit, dass der Versandhandelsanteil in Österreich in den nächsten Jahren auf maximal zehn Prozent steigen wird. In Deutschland, wo auch der Vertrieb rezeptpflichtiger Arzneien erlaubt ist, sind es 13 Prozent.