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Sozialversiche­rung: Zur Kasse, bitte

8-10-2017, 13:15

Die Finanzlage der Wiener Gebietskrankenkasse darf durchaus als prekär bezeichnet werden. Die neun Krankenkassen erwarten für heuer ein Defizit von beinahe 55 Millionen Euro. Das mit Abstand größte Minus prognostizieren die Wiener (WGKK) mit 35,6 Millionen Euro.

Immer auf der Suche nach neuen Beitragszahlern, hat die WGKK nun die Musikszene entdeckt. Im Visier ist die Topliga der Klassik – der Arnold Schoenberg Chor und die Wiener Philharmoniker.

Hier geht es nicht darum, dass Künstler Privilegien für sich in Anspruch nehmen würden. Hier geht es um die Kreativität von Kassenbürokraten, die traditionsreichen, weltbekannten Musikinstitutionen schwer zusetzen und die so typisch sind für das längst nicht mehr zeitgemäße österreichische Sozialversicherungssystem.

Seit 2001 gelten Musiker und Sänger bei Engagements, für die sie nicht angestellt sind, sozialversicherungstechnisch als selbstständige Künstler und zahlen Beiträge an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft. Die Versicherung der Selbstständigen und Unternehmer kalkuliert im Gegensatz zu den finanzmaroden Gebietskrankenkassen für heuer mit einem Überschuss von neun Millionen Euro.

Der Arnold Schoenberg Chor erhielt den Bescheid der WGKK bereits. Die Entscheidung gegen die Philharmoniker ist angeblich ebenfalls fertig, soll aber aus wahltaktischer Optik erst nach dem 15. Oktober zugestellt werden.

Für die weltweit renommierten Sänger ist der Bescheid katastrophal. "Wenn das so in Kraft tritt, ist unsere Existenz ruiniert. Dann können wir zusperren", klagen maßgebliche Stimmen aus dem Chor. Ebenso wie bei den Philharmonikern will man offiziell aber keinen Kommentar abgeben. Zu groß ist die Angst, es sich mit der Kasse noch mehr zu verscherzen.

Die Rechtsform des Chors und auch der Philharmoniker ist ein Verein. Die WGKK argumentiert, die Künstler müssten bei den Vereinen angestellt sein. Dazu muss man wissen, dass die Schoenberg-Sänger nur nebenberuflich mit dem Chor auftreten. Sie sind entweder in ganz anderen Hauptjobs tätig und dort versichert oder sind selbstständige Künstler.

Derzeit zählt das Ensemble rund 320 Mitglieder, aktiv davon sind 130 bis 140. Sie machen im Jahr bei einigen Opernproduktionen für das Theater an der Wien mit. Geld ist dabei nicht das Motiv, die Sänger kommen auf durchschnittlich 7 bis acht honorierte Stunden pro Woche – bei einem Stundenlohn von lediglich rund sieben Euro. Gelernt werden muss (unbezahlt) zu Hause.

Die Sänger sind bei den Opernproduktionen freiwillig dabei, argumentiert der Chor. Nein, meint die WGKK. Die Befolgung der Anweisungen der Dirigenten oder Regisseure beweise die dienstrechtliche Weisungsgebundenheit. Zur Verfügung gestellte Noten, Notenständer und ein Proberaum seien "wesentliche Betriebsmittel".

Der Chor brachte dieser Tage die Berufung ein und bewies dabei sogar Sinn für Humor. Man argumentiert mit "lebensfremden Beitragskorsetts" und Erinnerungen an die Schildbürger (siehe Faksimile oben). Ginge es nach der WGKK, würden "jede Tarock- oder Bridgerunde und jedes Golfturnier oder jede Kegelpartie für den oder die ‚entlohnten‘ Gewinner sozialversicherungspflichtig".

Vereinen und Künstlern drohen gewaltige Mehrkosten. Bei einer Anstellung belaufen sich die Sozialversicherungsbeiträge auf 18,12 (Dienstnehmer) und 21,48 Prozent (Dienstgeber). Dazu kommen weitere Lohnnebenkosten. Selbstständige zahlen 26,15 Prozent an Beiträgen. Bei Doppel-Versicherungen wird ab der Höchstbeitragsgrundlage die Krankenversicherung refundiert, Pensionsbeiträge müssen aber zwei Mal bezahlt werden.

Die Philharmoniker sind bei der Wiener Staatsoper angestellt. Ihr Engagement für den Verein dagegen ist freiwillig. Will ein Mitglied nicht auf eine Tournee mit, dann bleibt es eben zu Hause. Die Musiker sind freilich in anderen Einkommenshöhen als die Sänger und können bei großem Fleiß inklusive aller Festspiel-Engagements auf 200.000 bis 250.000 Euro brutto im Jahr kommen.

Kulturminister Thomas Drozda (SPÖ) ist alarmiert und will alle Betroffenen sowie die Finanz und das Sozialministerium an einen runden Tisch holen. "Die Kulturinstitutionen sollen sich mit ihren Kernaufgaben beschäftigen und nicht mit Sozialversicherungsfragen herumschlagen müssen. Wenn ich dazu etwas beitragen kann, werde ich das tun", sagt Drozda zum KURIER. Schoenberg-Chor und Philharmoniker "leisten künstlerisch hervorragende Arbeit und brauchen Planungs- und damit auch Rechtssicherheit".

"Wir prüfen laut dem gesetzlichen Auftrag sehr sorgfältig, ergebnisoffen, fair und objektiv", sagt Kassendirektor Johann Mersits. Konkreter will er aus Datenschutzgründen nicht werden. Eines aber schwört er: "Niemals geht es uns um zusätzliche Beiträge". Illustration: Christine Karner

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