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Ein Kampf gegen Widrigkeiten

28-09-2017, 06:00

Die Medizintechnik ist in Österreich ein Wachstumsmarkt, allerdings mit Widrigkeiten, sagt Philipp Lindinger, Geschäftsführer von Austromed, der Interessensvertretung für Medizinprodukteunternehmen. "Wir versuchen, die wirtschaftliche Bedeutung innovativer Produkte hochzuhalten." Erstattungsprobleme mit dem Hauptverband und ein Vergabewesen, das durch Billigausschreibung gesteuert sei und nicht dem Bestbieterprinzip folge, würden aber gegen die Branche arbeiten.

Ebenfalls auf Trab halten die Branche zwei aktuelle EU-Verordnungen für Medizinprodukte und In-Vitro-Diagnostik, die große organisatorische Herausforderungen bringen, sagt Lindinger. "Unternehmen, Zulassungsstellen und regulierende Behörden müssen sich darauf einstellen. Da herrscht noch viel Unklarheit und Rechtsnormen müssen neu geschrieben werden." Das belaste den Markt und verzögere Innovationen, nicht nur in Österreich.

Trotz allem sieht er im Gesundheitsbereich ein großes Potenzial. "Die Gesellschaft wird älter, das bringt per se Impulse", meint Lindinger. Beim Thema Innovationen sollte man in Österreich endlich einen Zahn zulegen, allerdings wirke das System in diesem Bereich eher behindernd als unterstützend.

Ein Beispiel: Im Erstattungskatalog gibt es eine Tarifliste. Wer mit einem innovativen Produkt auf diese Liste will, muss dessen Preis günstiger festlegen, als das günstigste Produkt, das es in dieser Kategorie bereits gibt, sagt Lindinger. "Wo sollen da Innovationen herkommen?"

Europäische Hersteller würden hochwertige Waren herstellen, die von asiatischen Anbietern kopiert und billiger auf den Markt gebracht würden. Daher gebe es bei den Preisen einen ständigen Abwärtstrend. "Dieser Mechanismus ist nicht innovationsfreundlich", sagt Lindinger. Er hofft auf Gespräche mit dem Hauptverband und darauf, dass Preise weniger von Gremien, sondern vom Markt – etwa nach einer gewissen Beobachtungsphase – festgelegt werden.

Kostendruck steigt

Der Kostendruck im Gesundheitssystem wird weiter zunehmen, sagt Lindinger. "Wir haben bei den Kosten ähnliche Werte wie andere europäische Länder und sind im Vergleich mit den USA hochweiß." Im gesellschaftspolitischen Diskurs gehe es immer um die Frage, warum das Gesundheitssystem so teuer sei. Vielleicht müsse man einmal zu der Erkenntnis kommen, dass die bestehenden Leistungen und das hohe Niveau ihren Preis haben. Innovative Produkte seien eben teurer, daher müsse man bei den Prozessen ansetzen und diese optimieren. Beginnen könnte man beim Verwaltungsapparat. "Es ist die Frage, wie viele Gebietskrankenkassen es geben soll. In Holland gibt es sieben, bei uns 23", sagt Lindinger.

Auch Medizinprodukte-Hersteller müssten Flexibilität beweisen, da sich das System verändere. "Es ist ein Unterschied, ob ich an einen niedergelassenen Arzt oder an eine Ärzte GmbH, wo sich mehrere Ärzte die Geräte teilen, liefere." Die regulatorischen Herausforderungen würden in Zukunft stark zunehmen und die "time to market" länger dauern. Die Patientensicherheit würde zunehmend Administration und Bürokratie schaffen. Dadurch würde immer mehr Arbeit mit weniger Mehrwert entstehen.

Nachteil für KMU

Darüber hinaus gibt es noch ganz andere Probleme, wie das Wegfallen der "Benannten Stellen" in Österreich. Es gab zwei, doch haben diese zugesperrt. Benannte Stellen begleiten Medizinprodukthersteller beim Zulassungsprozess. Der Wegfall bedeutet vor allem für kleinere Hersteller einen Wettbewerbsnachteil. Sie müssten sich nun an Stellen im Ausland wenden, wo oft eine Engpasssituation herrsche, sagt Lindinger. Das gehe auf Kosten der Expertise und der Betriebsansiedelungen.

Trotz aller Widrigkeiten ist die heimische Szene so stark, dass die Ansiedelungsagentur Austrian Business Agency (ABA) damit im Ausland wirbt. "Ein prägendes Merkmal der Life-Sciences-Branche in Österreich ist der hohe Grad an Vernetzung zwischen Produzenten, Zulieferern und Dienstleistern", sagt Friedrich Schmidl, Direktor für Deutschland Nord bei der ABA. Österreichs überdurchschnittlich gutes Gesundheitssystem, die Kliniken von Weltruf und exzellente Forschungseinrichtungen seien große Standortvorteile für den Medizintechniksektor.

Mehr Bildung

Die Gesamtsituation für den Life-Science-Bereich – sprich Medizinprodukte, Biotechnologie und Pharma – ist laut Martin Mayer, Technologieexperte für Medizintechnik von der Plattfrom Life Science Austria, gut. Auch wenn die Politik der Branche das Leben nicht immer leicht macht, hat sie das wirtschaftliche Potenzial erkannt und investiert seit Jahren kräftig. Allein in Wien sind laut Mayer 2016 mehr als 18 Millionen Euro für neue Projekte von Unternehmen und Forschungseinrichtungen genehmigt worden. Die Branche erwirtschaftet in Wien rund zehn Milliarden Euro jährlich.

Wien ist laut Mayer ein erstklassiger Standort für die Entwicklung innovativer Produkte und Dienstleistungen, besonders an der Schnittstelle Medizin und IT. Da die EU derzeit den rechtlichen Rahmen für Medizinprodukte ändere, sei es aber wichtig, die Aus- und Weiterbildungsangebote auszubauen. Dasselbe gelte auch für die Kapazitäten für klinische Studien zu Medizinprodukten.

Positive Impulse sieht Mayer bei Start-ups im Bereich Life Sciences. "Wien hat sich in den vergangenen Jahren als Drehscheibe für Start-ups einen Namen gemacht und zählt mittlerweile zu den Top 10 der Start-up-Städte in Europa." Ein Problem war bisher der flexible Zugang junger Start-ups zu leistbarer Büro-Infrastruktur und zu Laborflächen. Dem soll Abhilfe geschaffen werden: Im Vienna Biocenter entwickelt die Wirtschaftsagentur Wien derzeit die ersten Start-up-Labs für die Life-Science-Branche. Auf mehr als 1000 m² entstehen 72 Labor- und 32 Büroarbeitsplätze für junge Forscher.

Der Prothesenhersteller Otto Bock Healthcare Products hat in Österreich im Geschäftsjahr 2016 seinen Umsatz um knapp sechs Prozent auf 123,5 Millionen Euro gesteigert, der Gewinn lag bei 16,4 Millionen Euro.  Bei Otto Bock Österreich tragen zwei Bereiche den Großteil zum Umsatz bei, mechatronische Kniegelenke und Füße sowie mechatronische Hände und Ellbogen. Der Bedarf an Beinprothesen ist zehnmal so groß wie an Arm- und Handprothesen.
Menschen, die Prothesen brauchen, sind immer seltener Verkehrs- oder Unfallopfer. Meist sind es Menschen mit angeborenen Defiziten oder verschiedenen Durchblutungsstörungen, wie Diabetes. Der Anteil an Kriegs- oder Terroropfern ist verschwindend. „Leider ist in den meisten Ländern, in denen Krieg herrscht, die Bevölkerung arm und hat keine Versorgung“, sagt Otto-Bock-Finanzchef Stefan Pollak.

Ein weiterer wachsender Bereich sind mechatronische Orthesen – im Gegensatz zu Prothesen ersetzen Orthesen nicht fehlende Gliedmaßen, sondern unterstützen vorhandene Gliedmaßen – etwa ein Neoprenkniestrumpf mit Verstärkung, der nach einem Kreuzbandriss eingesetzt wird. Sie übernehmen Funktionen von Muskeln und können stützen und steuern. Pollak sieht darin einen Zukunftsmarkt. Menschen, die heute noch im Rollstuhl sitzen oder mit Krücken gehen müssen, könnten sich damit beinahe normal bewegen. Mittelfristig will Otto Bock in eine aktive Knieprothetik einsteigen. Mit der Übernahme eines britischen Unternehmens hat man sich Know-how für eine Handprothese gekauft, die die fünf Finger einzeln bewegen kann.

Komplettsysteme

Die Preise für die Produkte können 50.000 Euro erreichen, so Pollak. Allerdings handle es sich oft nicht nur um eine Prothese, sondern eine Komplettversorgung bei einem Orthopädietechniker, der ein ganzes System zusammenstellt. Der Konzern biete auch einfachere Prothesen an, etwa für alte Menschen, die weniger Aktivität als Sicherheit und Stabilität brauchen. Für sie gibt es sogar Prothesen mit Stolperschutz.

Otto Bock zieht in Wien derzeit seine zwei Standorte zusammen, jener in der Kaiserstraße im 7. Bezirk wird derzeit in die Brehmstraße im 11. übersiedelt. Ein Ausbau des Standortes ist geplant, derzeit fehlt aber noch die Bewilligung des Konzerns. „Aber wir sind zuversichtlich“, sagt Pollak. Wien gilt als das mechatronische Forschungs- und Entwicklungszentrum des Konzerns. Auch wenn es seit kurzem derartige Aktivitäten in Deutschland und den USA ebenfalls gebe, werde sich an der Vorreiterstellung im Konzern nichts ändern, meint Pollak. Vielmehr werde man voneinander profitieren.

Für 2017 geht Pollak mit einem Umsatzwachstum von sechs bis sieben Prozent aus, der Gewinn werde ebenfalls  steigen. Otto Bock beschäftigt in Österreich rund 600 Mitarbeiter und ist bei mechatronischen Kniegelenken und Hand- und Armprothesen mit über 50 Prozent Marktanteil Weltmarktführer. Der Konzern setzte 2016 1,12 Milliarden Euro um und beschäftigt 7800 Mitarbeiter.

Die Medizinprodukte-Landschaft ist in Österreich Händler-lastig, es gibt aber auch einige namhafte Produzenten. Zu den bekanntesten zählen:
Lohmann & Rauscher: Der Verbandhersteller produziert in Österreich und ist in Osteuropa stark präsent.
Med-El: Der in Innsbruck beheimatete Hersteller von Hörgeräte-Implantaten zählt in seinem Bereich zu den Paradeplayern.
Greiner Bio-One aus Kremsmünster: Stellt für seine Sparte einzigartige In-Vitro-Diagnostika her.
 Semperit: Ist mit hochwertigen chirurgischen Handschuhen international stark unterwegs.
 Fresenius Kabi: Reüssiert mit Blutbeuteln.

Das deutsche Prothetik-Unternehmen Otto Bock hat sein Forschungs- und Entwicklungsheadquarter in Wien.
Die Händlerseite ist sehr heterogen und reicht vom Pflaster bis zum Kernspintomografen. Österreichische Händler sind stark serviceorientiert und bieten neben Beratung und Betreuung auch Schulungen. Neben großen internationalen Konzernen wie Johnson & Johnson, Medtronic und 3M gibt es heimische Anbieter, wie Heintel, Carl Reiner und Eumedics.

Mehr Förderung für KMULaut einer Austromed-Studie beschäftigen 478 Medizinprodukte-Unternehmen 23.224 Mitarbeiter und erwirtschaften 6,8 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr in Österreich. Im Durchschnitt beschäftigt ein Unternehmen rund 49 Mitarbeiter und erwirtschaftet 14,3 Millionen Euro Umsatz pro Jahr.  
 Zentrale Einflussfaktoren auf die Wettbewerbsfähigkeit sind laut Studie das Refundierungs- und Zulassungssystem. Beide gelten als intransparent, ineffizient und innovationshemmend. Die Unternehmen fordern messbare und objektive Qualitätskriterien sowie bei Ausschreibungen die Förderung von KMU.
63 Prozent der Unternehmen sind im Handel, elf Prozent in der Produktion und 26  Prozent in beiden Bereichen tätig. Die Branche ist kleinstrukturiert.  Knapp 20 Prozent haben weniger als zehn Mitarbeiter, 50 Prozent zwischen zehn und 49 und 20 Prozent zwischen 50 und 249 Mitarbeiter. Neun Prozent haben mehr als 250 Mitarbeiter.

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