Jetzt ist es fix: Der oberösterreichische Stahlkonzern voestalpine errichtet ein neues Edelstahlwerk im steirischen Kapfenberg. Die entsprechende Entscheidung hat der Aufsichtsrat des Konzerns heute, Mittwoch, gefällt, wie das Unternehmen am frühen Nachmittag mitteilte. Zwischen 2019 und 2021 fließen 330 bis 350 Mio. Euro in das Vorhaben. Die Produktion soll in vier Jahren starten.
"Wir haben heute entschieden, dass wir dort das erste Stahlwerk in Europa seit 40 Jahren errichten wollen", sagte Stahlkonzernchef Wolfgang Eder.
"Wir haben gesagt, wir machen jetzt keinen Kompromiss - wir setzen etwas auf, das in den nächsten Dekaden das Maß der Dinge sein wird", freut sich Franz Rotter, voestalpine-Vorstandsmitglied und Leiter des Unternehmensbereichs High Tech Performance Division (Edelstahl), heute, Mittwoch, Nachmittag in einer Telefonkonferenz anlässlich der aktuellen Entscheidung des Aufsichtsrates. Das zum Teil schon über 100 Jahre alte bestehende Werk im steirischen Kapfenberg wird komplett ersetzt. In den alten Hallen werde künftig die gesamte Schrottwirtschaft durchgeführt.
Mit den bestehenden Anlagen sei man "an die Grenzen der technischen Möglichkeiten gestoßen", jetzt werde in modernste Technologien investiert, um neue Maßstäbe als führender Hightech-Anbieter zu setzen, so Rotter. "Dieses Stahlwerk muss diese Position über 50 Jahre und mehr halten", umriss der Manager die zeitliche Perspektive. Die 205.000 Tonnen Jahreskapazität, die geplant seien, entsprächen dem, was in Kapfenberg auch schon bisher erzeugt werde. "Wir werden aber in andere Qualitäten gehen", erklärte Rotter. Der konzernweiten Strategie entsprechend, fertigt die voestalpine auch im Mürztal zunehmend höherwertige Produkte, mit denen auch höhere Margen erzielt werden können.
Obwohl das "weltweit modernste Edelstahlwerk" hochdigitalisiert sein wird, müssen die derzeit rund 3.000 Beschäftigten an dem steirischen Standort den Angaben zufolge nicht um ihre Jobs zittern: "Wir werden mit Sicherheit aufgrund der Errichtung des neuen Werks keine Freisetzung von Mitarbeitern haben, die über die natürliche Fluktuation hinausgeht, aber wir müssen mehr in die Um- und Aufqualifizierung der bestehenden und der neuen Mitarbeiter investieren", betonte Eder. "Man sollte die Digitalisierung nicht als das Schreckgespenst der Zukunft, was Arbeitsplätze betrifft, hinstellen."
Noch vor Jahresende werde in Kapfenberg ein "Competence Center" für Digitalisierung eröffnet, kündigte Rotter an. "Heute haben wir bereits Digitalisierung/Robotik in unsere Lehrlingsausbildung aufgenommen."
Wolfang Eder, Vorstandsvorsitzender der voestalpine AG, über die Standortentscheidung: "In Zeiten globaler Überkapazitäten auch im Spezialstahlbereich forcieren wir mit dem Bau dieses Werkes einmal mehr neue Standards in Bezug auf Technologie und Qualität bei Hochleistungsstählen. Die Entscheidung, die Anlage mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 330 bis 350 Millionen Euro in einem Hochkostenland wie Österreich zu errichten, war alles andere als einfach. Nach intensiver Abwägung aller relevanten Standortfaktoren sind wir jedoch letztlich zur Überzeugung gelangt, dass sich dieses nicht nur für Österreich, sondern auch für Europa außergewöhnliche Investitionsvorhaben hier langfristig rechnen wird."
Das Mürztal hat sich als Standort gegen alle ebenfalls von der voestalpine angedachten internationalen Alternativen durchgesetzt. Den Ausschlag für die positive Entscheidung gab letztlich auch die hohe Dichte an hochqualifizierten Metallexperten in der Region: "Am Ende des Tages waren es die fast 3.000 Mitarbeiter, die wir heute am Standort Kapfenberg haben", sagte Eder auf den Beweggrund hin gefragt. Nirgendwo sonst auf der Welt wären "Menschen in diesem Ausmaß mit dieser Kompetenz" vorzufinden gewesen, die "ad hoc verfügbar" seien, lobte der voestalpine-Chef die "hochmotivierte und qualifizierte Mannschaft".
Im gleichen Atemzug verwies Eder auf das "perfekte metallurgische Umfeld" und verwies dabei unter anderem auf die Montanuniversität in Leoben, die Technischen Universitäten Graz und Wien sowie die zahlreichen Fachhochschulen. "Man muss auch eines sagen: Wir haben gelernt, dass sowohl das Land Steiermark und die Stadt Kapfenberg sich massiv bemüht haben, um diese Kooperation zu unterstützen", so Eder. Der Konzernchef habe "absolut das Vertrauen", dass das auch in Zukunft so sein werde.
Das "Zünglein an der Waage" für die Standortentscheidung sei auch die Entspannung betreffend Strompreiszone Österreich-Deutschland gewesen. Immerhin sind die Energiekosten für die Elektroöfen in einem Edelstahlwerk ein entscheidender Kostenfaktor.
Zwischenzeitig hatte Eder hierzulande für die kommenden zwei bis drei Jahre Strompreiserhöhungen von mindestens 15 bis hin zu 40 Prozent befürchtet; mittlerweile hat sich das Szenario auf einen Anstieg um "5 bis 6 Prozent" beruhigt. Über eine Strompreiszonentrennung zwischen den beiden Ländern debattierten die Regulatoren rund zwei Jahre lang, erst heuer im Mai stand der Kompromiss. Der bis dahin unbegrenzte Stromhandel zwischen den beiden Märkten wird nicht gänzlich gekappt, aber einschränkt.
Welche Rolle der Strompreis für das Werk Kapfenberg spielt, zeigt dessen Verbrauch: Allein das Stahlwerk benötigt 160 Gigawattstunden jährlich, das ist der durchschnittliche Bedarf von mehr als 30.000 Haushalten. Das derzeitige Werk verbraucht „nur“ 100 GWh.
Pläne über ein möglicherweise neues Edelstahlwerk für Kapfenberg hatte Eder Anfang Juni 2016 in einem Conference Call im Vorfeld der Bilanzpressekonferenz erstmals öffentlich erwähnt. Heuer im Mai hatte der Konzernchef den Strompreis noch als "Schlüsselhindernis" bezeichnet. Zuvor hatte er auch Belange wie den Emissionshandel und die generelle Klimapolitik der EU als Knackpunkte ins Treffen geführt.
Doch nun ist die Standortentscheidung fix. Der Spatenstich für das Werk in der Steiermark erfolgt 2018. Drei Jahre später sollen die Bauarbeiten erledigt sein.
Das High-Tech-Werk ermöglicht die vollautomatisierte Herstellung von Werkzeug- und Spezialstählen für anspruchsvollste Anwendungen. Diese kommen als Ausgangswerkstoff etwa für die Weiterverarbeitung zu höchstbelastbaren und gewichtssparenden Flugzeugteilen, widerstandsfähigsten Werkzeugen für die Automobilindustrie, Equipment für die anspruchsvolle Öl- und Gasexploration oder für die Fertigung von Komponenten im 3D-Druckverfahren zum Einsatz.
Geschlossene Kühlwasserkreisläufe sowie effiziente Wärmerückgewinnungs- und Entstaubungssysteme sollen für den schonenden Umgang mit Ressourcen bzw. die Minimierung von Emissionen sorgen. Das Herzstück der Anlage ist ein Elektrolichtbogenofen, der auf Basis von elektrischem Strom aus 100 Prozent erneuerbaren Energiequellen hochreinen Schrott und Legierungen zu flüssigem Material erschmilzt.
Die Produktionskapazität liegt bei rund 205.000 Tonnen Hochleistungsstählen pro Jahr.
In der Steiermark herrschte am Mittwoch naturgemäß Freude über die Entscheidung der voestalpine in Kapfenberg das "modernste Stahlwerk der Welt" zu bauen.
Für den steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) ist der Beschluss "ein großer Tag für die Steiermark". Die Investition sei auch die Bestätigung für die gute Arbeit der Landesregierung, denn "wir haben parteiübergreifend gemeinsam alles daran gesetzt, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen".
Um diese Investition in die Steiermark zu holen, wurden auf allen Ebenen, im Land, im Bund und der EU alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit offene Punkte etwa im Bereich des Umweltschutzes gelöst werden konnten, so Schützenhöfer am Mittwoch in einer Stellungnahme. Nach der offiziellen Eröffnung des neuen Drahtwalzwerkes in Donawitz am Dienstag sei diese Entscheidung ein "weiteres Zeichen dafür, dass unser Land als Standort für Hightech-Unternehmen attraktiv ist". Voestalpine, AT&S, Pankl und der Red-Bull-Ring seien Paradebeispiele dafür, dass aus der einst krisengebeutelten Obersteiermark eine Region mit Zukunft wurde", sagte der LH, der sich auch bei den voestalpine-Vorständen, namentlich Franz Kainersdorfer und Wolfgang Eder bedankte.
LHStv. Michael Schickhofer sagte, das ganze Mürztal bekomme "Perspektiven, gut bezahlte Jobs und Lehrstellen". Für die Industriellenvereinigung ist die Entscheidung "auch ein Beleg für die hervorragende Ausbildung steirischer Industriearbeiter".
Der SPÖ-Politiker Schickhofer sagte weiters, mit der Entscheidung seien "tausende Arbeitsplätze für Jahrzehnte gesichert. Nach dem weltweit modernsten Tunnelforschungszentrum in Eisenerz und dem am Dienstag offiziell eröffneten hochmodernen Drahtwalzwerk der Voest in Leoben komme mit dem Edelstahlwerk in Kapfenberg der dritte gewaltige Impuls in die Obersteiermark".
Zusammen mit Bürgermeister Fritz Kratzer und Bürgermeister a. D. Manfred Wegscheider (beide SPÖ) wurden in den vergangenen Monaten zahlreiche Gespräche mit voestalpine-Vertretern geführt, aber auch der Hochwasserschutz für das Voest/Böhler Gelände - Voraussetzung für das Stahlwerk - auf Schiene gebracht. Kratzer sagte etwa, die Investition sichere weitere gewinnbringende Jahre in der Jahrhunderte alten Geschichte der Edelstahlstadt Kapfenberg und ihrer Einwohner.
Für Infrastrukturminister Jörg Leichtfried (SPÖ) ist die voestalpine-Entscheidung für das Stahlwerk in Kapfenberg auch im "vorhandenen großen Wissen" der Mitarbeiter sowie in der Nähe zu international führenden Instituten in der Metallforschung begründet. Der eingeschlagene Weg, mit Wissen zu überzeugen statt über den Preis sei der richtige, so der Minister am Mittwoch in einer Aussendung.
Das Infrastrukturministerium habe im vergangenen Jahr eine Stiftungsprofessur für Stahldesign an der Montanuniversität Leoben eingerichtet und finanziert diese mit zwei Mio. Euro, so der Minister. Österreich sei ein Hochlohnland, deshalb müsse man konsequent daran arbeiten, den internationalen Spitzenplatz in der industriellen Forschung zu halten und auszubauen. "Steirische Betriebe sind in vielen Nischen Weltmarktführer. Unsere gezielten Investitionen in Forschung sichern direkt Tausende gut bezahlte Arbeitsplätze in der Steiermark", sagte Leichtfried.
Für den steirischen IV-Präsidenten Georg Knill ist Kapfenberg "nicht nur eine Weichenstellung in Richtung Stärkung der industriellen Basis Europas, sondern in erster Linie ein starkes Bekenntnis zum Standort Österreich und Steiermark". Investitionsentscheidungen - insbesondere derart langfristige wie jene in der Stahlbranche - würden immer nach den Gesichtspunkten der Planbarkeit und der Wettbewerbsfähigkeit der Rahmenbedingungen getroffen, so Knill in einer Aussendung.