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"Einen europäischen Finanzminister wird es nicht geben"

25-09-2017, 06:00

Nach der Wahl in Deutschland dürfte der deutsch-französische Reformmotor in der EU nun wieder anspringen – vor allem in Hinblick auf Maßnahmen für die Währungsunion. Dazu der Chef der Euro-Arbeitsgruppe, der Österreicher Thomas Wieser, im KURIER-Interview.

KURIER: Kann der Euro, wie er derzeit aufgestellt ist, die nächste Krise überstehen?

Thomas Wieser: Wie man in den Jahren 2010 bis 2015 gesehen hat, war der Euro nie in Gefahr - einzelne Länder natürlich sehr wohl. Er hat daher die große Finanzkrise und die Verwerfungen innerhalb der Eurozone gut überstanden. Auch Griechenland hat diese Situation, wenn auch mit großen Schwierigkeiten, gemeistert und wird Mitte 2018 das dritte Anpassungsprogramm erfolgreich verlassen. Gezeigt hat die  Krise aber auch, dass die Architektur der Währungsunion noch unvollständig ist. Vieles ist geschehen, etwa die Errichtung der Bankenunion mit der einheitlichen  Bankenaufsicht in Frankfurt. Aber es gibt noch offene Punkte – bei der Komplettierung der Bankenunion. Stichwort: Einlagensicherungssystem. Und in der Fiskalpolitik gibt es Überlegungen, die von einem eigenen  Eurozonenbudget für Stabilisierungszwecke bis hin zu einer Investitionsfazilität für die Eurozone reichen.

Welche Reformschritte sind kurzfristig zu erwarten?

Im Lauf des nächsten Jahres werden wir im Auftrag der Regierungschefs an der Komplettierung der Bankenunion arbeiten; und wohl auch weiter an einer Vertiefung der Währungsunion. Zu Fragen der Ausgestaltung der Eurozone mit eigenem Budget gibt es sehr unterschiedliche Haltungen. Manche rufen nach einem hauptberuflichen Finanzminister für die Eurozone, mindestens aber nach einem hauptberuflichen Vorsitzenden der Eurogruppe. Zudem gibt es die Vorstellung, aus dem ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) einen Europäischen Währungsfonds zu machen. Das ist ein gewisses Etiketten-Missverständnis, weil die  Finanzierung des Internationalen Währungsfonds eine vollkommen andere ist als  jene der ESM, der aus nationalen Budgetmitteln gespeist wird.

Ich vermute, dass dem ESM eine deutlich größere Kompetenz bei den Auflagen für allfällige Anpassungsprogramme für Eurozonenmitgliedsstaaten gegeben wird. Und ich schließe auch nicht aus, dass dann Schuldenrestrukturierungsmaßnahmen für jene Länder notwendig werden, die ein solches Programm beantragen. Ich glaube aber nicht, dass der ESM wirtschaftspolitische Überwachungs-Kompetenzen bekommen wird. Die sind vertraglich fest in der Kommission verankert. Da wird es keine Änderungen geben.

Was ist aus Ihrer Sicht notwendig und was soll das Ziel sein?

Ich halte eine deutliche Vertiefung der Bankenunion für möglich, wobei wünschenswert wäre, wenn die Bankenaufsicht in Frankfurt vertraglich von der EZB völlig losgelöst würde. Das würde ein höheres Maß an Neutralität und Überparteilichkeit gewährleisten. Es wird im Bereich der fiskalpolitischen Koordination gewisse, aber nicht überbordende Fortschritte geben. Aber ich glaube nicht, dass es gemeinsame Finanzierungselemente mit geteilter Haftung geben wird. (Manche Leute nennen das Eurobonds). Ich glaube auch nicht, dass es ein relativ großes Budget zur antizyklischen Konjunkturstabilisierung geben wird. Es wird daher keinen europäischen Finanzminister geben. Und schon gar nicht wird es jemanden geben, der diese Funktion in Personalunion mit dem Kommissar für Wirtschafts- und Währungsangelegenheiten ausüben wird. Das ist von den EU-Verträgen her aus guten Gründen vollkommen ausgeschlossen.

Hat Österreich genug getan? Was muss die nächste Regierung umsetzen, um das Land krisenresistent zu machen?

Krisenresistenz bedeutet, eine anpassungsfähige, flexible, produktive Wirtschaftsstruktur zu haben. Damit stellt man möglichst hohes potenzielles Wachstum sicher. Durch dieses höhere Wachstum werden Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Sicherheit garantiert. Dazu gehört auch das Schaffen von Puffern für den Fall, dass die nächste Krise kommt. Und sie wird kommen, wir wissen nur nicht, durch wen oder wann sie ausgelöst wird. Derzeit ist der Staatsschuldenstand zu hoch, als dass man sagen könnte, es seien ausreichend Puffer und Reserven vorhanden. Daher ist weiterer entschlossener Abbau der Staatsverschuldung unerlässlich. Und die Wirtschaftspolitik der nächsten Jahre muss stark darauf achten, die Produktivität der österreichischen Volkswirtschaft zu erhöhen. Man könnte sagen: Produktivitätssteigerung ist nicht alles. Aber ohne Produktivitätsteigerung ist alles ist nichts.

Und der Schlüssel zur Produktivitätssteigerung?

Zu einer Welt mit unglaublichem technologischen Fortschritt, mit einem rasanten Strukturwandel gehört die Erfahrung: Meist ist nicht Bayern die Konkurrenz, sondern Korea, Mexiko oder Brasilien. Dem begegnet man nur, wenn man nicht arbeitsintensive, sondern gehirnschmalzintensive Produkte und Dienstleistungen herstellt. Das bedeutet: Man muss massiv in die Qualität des Bildungs- und Ausbildungssystems investieren. Alles, was mit Bildung und Ausbildung zu tun hat, ist das Wachstum in 20 Jahren. Insofern ist die Versuchung für Politiker groß, jetzt nichts zu machen, weil sich die Versäumnisse bei der nächsten Wahl nicht bemerkbar machen. Aber wenn man vier Wahlen hintereinander nichts getan hat, beginnt es sich im Wachstumspotential negativ niederzuschlagen.

Wenn die EZB eines Tages die Zinsen wieder anhebt, welchen Staat wird das in Schwierigkeiten bringen?

Mittelfristig wird es zu einem Anstieg des Zinsniveaus kommen. Je niedriger das Schuldenniveau eines Staates, desto besser ist man gegen diesen möglichen Zinsanstieg gewappnet. Griechenland hat im Euroraum den höchsten Schuldenstand, ist aber durch die günstigen Refinanzierungskonditionen mit Laufzeiten jenseits von 30 Jahren von diesem Problem faktisch ausgenommen. Andere Mitgliedsstaaten mit Schuldenniveaus jenseits der 100 Prozent, Portugal, Italien, Belgien haben daher ein eminentes mittelfristiges Interesse daran, ihren Schuldenstand zu verringern.

Das Beispiel von Irland zeigt sehr eindrucksvoll, dass das geht. Es hatte einen Schuldenstand von 130 Prozent des BIP und der Plan ist ist, ihn bis Mitte der 2020er-Jahre bis unter 40 Prozent des BIP zu bringen. Das geht, aber nur mit der Schaffung des entsprechenden Wachstumspotentials. Und Irland ist, auch dank der Kleinheit seiner Wirtschaft, sicher ein Sonderfall.


Nach acht Jahren als Chef der Euro-Arbeitsgruppe hören Sie im Jänner auf. In dieser Zeit waren Sie Dauerkrisenmanager?     
(Er lacht): Ja, schon.

Was kommt für Sie nach dem Jänner? Rückzug auf eine griechische Insel? Die Bahamas?

Faktum ist, dass ich nicht ins österreichische Finanzministerium zurückkehren werde. Es gibt eine Reihe von Angeboten. Manche sind lukrativ, aber langweilig. Andere sind spannend, aber kaum entlöhnt. Als erstes kommt einmal Schifahren.

Zur Person: Thomas Wieser

Seit acht Jahren lang leitet der in den USA geborene österreichische  Ökonom die Euro-Arbeitsgruppe. Die meiste Zeit davon, wie er sagt, als „Dauerkrisenmanager“. „Mr. Euro“, der 62-jährige Wieser, gilt damit  als der nervenstarke  und kaum aus der Ruhe zu bringende  Mastermind hinter den Entscheidungen der 19 Euro-Finanzminister. Ende Jänner wird er seinen Job in Brüssel beenden. Spekulationen, die ihn als kommenden Chef der Oesterreichischen Nationalbank sehen, tut der verheiratete Vater eines Sohnes als „Gerücht“ ab.

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