Der britische Außenminister Boris Johnson ist zurückgetreten. Wie die Regierung in London am Montag mitteilte, akzeptierte Premierministerin Theresa May am Nachmittag das Rücktrittsgesuch ihres Außenministers.
Nur wenige Stunden zuvor hatte der Brexit-Minister David Davis, der wie Johnson zu den Hardlinern in der Frage des EU-Austritts Großbritanniens zählt, seinen Rücktritt eingereicht. Er wurde durch Dominic Raab ersetzt.
Johnson galt als einer der Hauptkritiker Mays und hatte ihren Brexit-Kurs immer wieder als zu weich angegriffen. Am Freitag hatte sich May gegen seinen Willen mit ihrer Entscheidung für eine Beibehaltung einer engen wirtschaftlichen Anbindung an die Europäische Union durchgesetzt. Großbritannien will die EU im März 2019 verlassen.
Der ehemalige Londoner Bürgermeister war das Gesicht der Brexit-Kampagne und der Wortführer der Europagegner in Großbritannien. Der exzentrische Konservative hatte nach dem Brexit-Votum 2016 gesagt, die EU sei "eine noble Idee für ihre Zeit" gewesen, doch "nicht länger richtig für dieses Land".
Nach den beiden Ministerrücktritten hat die britische Premierministerin Theresa May ihren kooperativen Kurs in den Brexit-Verhandlungen verteidigt.
Sie bedauerte am Montag im Unterhaus den Rückzug von Außenminister Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis, verwies aber auch auf die unterschiedlichen Ansichten der beiden mit Blick auf das Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU nach dem Ausstieg Londons aus der Union im kommenden Jahr. Ihr Ziel, weiterhin enge Beziehungen zur EU zu pflegen, schütze Arbeitsplätze und sei das beste für die Bevölkerung, sagte May. "Es ist der richtige Deal für Großbritannien."
Unter den britischen Konservativen gibt es einen erbitterten Streit darüber, ob es einen "harten" oder "weichen" Brexit geben soll. Allen voran gehört Johnson zu den Hardlinern in der britischen Regierung. Erst am Freitag hatte May sich die Unterstützung ihres Kabinetts für eine Freihandelszone für Waren und landwirtschaftliche Güter gesichert. Die anderen drei Freiheiten des Binnenmarkts - Kapital, Arbeitskräfte und Dienstleistungen - sollen aber Beschränkungen unterworfen werden.
Der überraschende Rücktritt Johnsons hat am Montagnachmittag beim Pfund Sterling für Verkäufe gesorgt. Die britische Währung gab zum Dollar 0,4 Prozent auf 1,3240 Dollar nach. Entsprechend zog der Euro auf 0,8874 Pfund an.
"Also wir denken, dass das Pfund den Rücktritt von Ministern verkraften kann", sagte Währungsstratege Viraj Patel von der Bank ING. Das gelte aber nur, wenn Johnsons Entscheidung nur eine Folge des Rücktritts von Brexit-Minister David Davis wäre und nicht mehr. Sollte Johnson aber Premierministerin Theresa May herausfordern, würde die Unsicherheit zunehmen.
Zuvor hatte das Pfund noch 0,5 Prozent auf 1,3363 Dollar zugelegt. Anleger sahen den Abschied des Brexit-Hardliners Davis positiv, da eine harte Scheidung Großbritanniens von der EU wirtschaftlich belastender als ein sogenannter weicher Brexit wäre.
Am Aktienmarkt setzten die Anleger dagegen auf höhere Exporte der vielen international tätigen Firmen, die im Leitindex der Londoner Börse gelistet sind. Daher weitete der "Footsie" seine Gewinne aus und stieg um 0,6 Prozent auf ein Tageshoch von 7.662 Punkten.
In der britischen Regierung geht es derzeit rund. Johnson ist nicht der erste Minister, der am Montag das Handtuch warf. Auch der britische Brexit-Minister David Davis ist im Streit über den Regierungskurs beim EU-Austritt zurückgetreten. Der "neue Trend" der Brexit-Politik und die Taktik mache es unwahrscheinlicher, dass Großbritannien den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen werde, erklärte Davis in seinem Rücktrittsschreiben an Premierministerin Theresa May in der Nacht auf Montag. May nahm die Demission an.
Die Regierungschefin widersprach den Angaben von Davis allerdings. Sie stimme seiner Charakterisierung der neuen Brexit-Strategie nicht zu, erwiderte sie. May hatte ihr Kabinett am Freitag zu einer zwölfstündigen Marathonsitzung auf den Landsitz Chequers nordwestlich von London beordert. Die Minister mussten während der Klausurtagung sogar ihre Smartphones abgeben. Am Abend verkündete May, die Regierung habe sich auf eine neue Strategie für den EU-Austritt verständigt. Doch die Einigung kam nur unter großem Druck zustande.
Auch der irische Premierminister Leo Varadkar und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) werteten die am Freitag von Theresa May präsentierte "gemeinsame Position" der britischen Regierung zu den künftigen Beziehungen zur EU nach dem Brexit als Fortschritt. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am späten Sonntagabend in Dublin verwiesen sie jedoch auch darauf, dass es noch "offene Fragen" gebe. "Ich glaube, wir können optimistischer sein, als wir es vor einer Woche in Brüssel waren", sagte Varadkar - noch vor ersten Berichten über den Rücktritt des Brexit-Ministers - unter Verweis auf den jüngsten EU-Gipfel. Der "nächste Meilenstein" sei die Veröffentlichung des für diese Woche angekündigten "Weißbuches" aus London, das er sich ansehen und genauer analysieren wolle.
Kurz begann am Sonntag eine dreitägige Reise auf die Britischen Inseln. Für Montagvormittag stand ein Besuch im irisch-nordirischen Grenzgebiet auf dem Programm. Später wollte der Bundeskanzler nach London weiterreisen, wo für 17.00 Uhr Ortszeit (18.00 Uhr MESZ) ein Treffen mit Premierministerin May geplant war. Im Vorfeld der Reise hatte Kurz den britischen EU-Austritt als "eines der wichtigsten Themen, das uns während unseres Ratsvorsitzes beschäftigen wird", bezeichnet. Die Brexit-Verhandlungen treten unter österreichischer EU-Ratspräsidentschaft in die heiße Phase. Bis Herbst soll der Austrittsvertrag mit Großbritannien fertig verhandelt sein, damit er zeitgerecht von beiden Seiten ratifiziert werden kann. Großbritannien soll bereits am 29. März 2019 aus der Europäischen Union ausscheiden.
Der neue Plan der britischen Regierung wurde von vielen Brexit-Hardlinern als Abkehr vom EU-Austritt gewertet. Der als unternehmensfreundlich bezeichnete Plan sieht die Schaffung einer Freihandelszone mit der EU für Güter sowie weitere enge Beziehungen zur EU vor. Dadurch würde eine Landgrenze mit Kontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland vermieden. Der Dienstleistungssektor soll ausgenommen bleiben. Zudem behält sich Großbritannien das Recht vor, eigene Einfuhrzölle zu verhängen und neue Handelsabkommen mit Dritten zu schließen. In Zukunft soll das Parlament auch entscheiden können, ob europäische Regeln und Vorschriften befolgt werden.
Für May ist der Rücktritt von Davis ein heftiger Schlag. Sie muss nun mit weiterem Widerstand aus dem Brexit-Flügel ihrer Partei rechnen. Etwa 60 Abgeordnete in ihrer Fraktion werden dazu gezählt. Zwei Staatssekretäre im Brexit-Ministerium sollen ebenfalls ihren Hut genommen haben. Sollten weitere Regierungsmitglieder zurücktreten, könnte das May in ernsthafte Bedrängnis bringen. Selbst ein Sturz der Premierministerin scheint nicht mehr ausgeschlossen.
Davis gilt als glühender Vertreter eines klaren Bruchs mit Brüssel. Er hatte bereits in der Vergangenheit mit seinem Rücktritt gedroht, sollte May das Land zu eng an Brüssel binden. Seit Langem gilt er als unzufrieden mit seiner Rolle in der Regierung. Davis hatte sich bei den Austrittsgesprächen in Brüssel stets nur kurz gezeigt und wirkte oft schlecht vorbereitet. Mehr und mehr übernahm May in den Verhandlungen selbst das Steuer. Sein Rücktritt stürzt die Regierung zur Unzeit in eine neue Krise. Großbritannien verlässt die Europäische Union am 29. März 2019. Bis dahin muss ein Austrittsabkommen stehen, sonst droht Chaos.
Davis ist der sechste Minister, den May seit der Neuwahl im vergangenen Juni verliert. Verteidigungsminister Michael Fallon und Vize-Regierungschef Damian Green hatten nach Belästigungsvorwürfen ihre Posten aufgegeben. Entwicklungshilfeministerin Priti Patel trat zurück, weil sie sich ohne Absprache im Israel-Urlaub mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu getroffen hatte. Innenministerin Amber Rudd musste im Skandal um die unrechtmäßige Behandlung von Gastarbeitern aus der Karibik als illegale Einwanderer abtreten. Nur ein Rücktritt war nicht von einem Skandal ausgelöst worden: James Brokenshire hatte sein Amt als britischer Nordirland-Minister wegen einer Erkrankung aufgegeben. Er kehrte - gesundet - als Minister für Kommunen an den Kabinettstisch zurück.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk haben es bei einer Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsident Petro Poroschenko vermieden, die Rücktritte des britischen Brexit-Minister David Davis und Außenminister Boris Johnson zu kommentieren. "Politiker kommen und gehen", meinte Tusk lapidar.
Die Position der EU in den Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens ändere sich deshalb nicht, so Tusk. Dem schloss sich Juncker vollinhaltlich an.
Am Freitag hatte Davis seinen Rücktritt eingereicht, Johnson folgte am Montag. Beide gelten als Befürworter eines harten Brexits und dürften mit der Entscheidung der britischen Premierministerin Theresa May eine enge wirtschaftlich Anbindung an die EU zu behalten unzufrieden sein.