Gute und schlechte Nachrichten hat die EU-Polizeiagentur Europol in ihrem neuen Terrorismus-Situations- und -Trendbericht (TE-SAT 2018): So ist die Zahl der Terrorattacken 2017 um 45 Prozent gegenüber 2016 gestiegen. Gleichzeitig gab es weniger als halb so viele Tote, erläuterten die neue Europol-Direktorin Catherine de Bolle und Manuel Navarrete, Chef des European Counter Terrorism Centre (ECTC).
Der Bericht wurde am Mittwoch veröffentlicht und in Den Haag präsentiert. Die Daten darin beziehen sich durchgehend auf durchgeführte, vereitelte und gescheiterte Angriffe. Demnach stieg diese Zahl von 142 im Jahr 2016 auf 205. Dabei kamen im Vorjahr 68 Menschen ums Leben, 844 wurden verletzt. 2016 waren es 142 Tote, aber mehr als die Hälfte weniger Verletzte, nämlich 379.
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62 der 68 Toten im Jahr 2017 gingen auf das Konto von Jihadisten, die aber nur für 16 Prozent aller Anschläge verantwortlich gemacht wurden. Für rund zwei Drittel der tatsächlich durchgeführten, gescheiterten oder verhinderten Attacken waren demnach Separatisten verantwortlich. "Jihadistische Anschläge kosten mehr Menschenleben als andere", fasste De Bolle die Ergebnisse vor Journalisten zusammen. Nicht zuletzt deshalb erregen sie auch deutlich mehr Aufmerksamkeit als andere Attacken.
Großbritannien verzeichnet die meisten Angriffe
Die weitaus meisten versuchten oder tatsächlich durchgeführten Angriffe verzeichnete erneut Großbritannien mit 107, gefolgt von Frankreich (54), Spanien (16), Italien (14) und Griechenland (8). Belgien und Deutschland registrierten jeweils zwei Angriffe, Finnland und Schweden je einen. Europol zufolge wurden im Vorjahr in den EU-Mitgliedsstaaten 975 Terrorverdächtige gefasst, 48 davon in Österreich. Das Niveau der Festnahmen blieb damit in etwa gleich wie 2016, als 1.002 Verdächtige gefasst wurden.
Den Rückgang bei den Todesopfern führte Navarrete vor Journalisten in Den Haag darauf zurück, dass die Attacken "weniger anspruchsvoll" und mit weniger Vorlaufzeit geplant sind. "Wir haben mehr hausgemachte Anschläge", sagte er. Diese haben zwar meist weniger Opfer zur Folge, seien aber für die Polizeibehörden nur sehr schwer zu verhindern.
Manche Einzeltäter haben mentale Probleme
"Nur Menschen, die diesen Einzelkämpfern sehr nahe sind, bemerken, dass etwas mit ihnen nicht stimmt", erläuterte der ECTC-Chef. Das ist übrigens Navarrete zufolge manchmal durchaus wörtlich zu verstehen: Manche der terroristischen Einzeltäter hatten auch mentale Probleme. Potenziellen Tätern so nahe wie irgend möglich zu kommen, um so Hinweise auf möglicherweise geplante Attacken zu erhalten, sollte auch für die Ermittler das Ziel sein, sagte der Europol-Experte. "Da kannst du nicht durch die Eingangstür kommen. Das geht nur über soziale Netzwerke, über Twitter und Facebook."
Die größte Gefahr geht für die Europol-Experten aber nach wie vor von den sogenannten "Foreign Fighters" aus, also jenen, die für die Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien und im Irak gekämpft haben und in ihre Heimatländer zurückkehren oder das bereits getan haben. Navarrete räumte ein, dass hier auch das Bild sehr unvollständig ist, das die Polizeibehörden haben. Nach Schätzungen sind etwa 5.000 Menschen aus EU-Ländern für den IS in den Krieg gezogen, heißt es im Bericht. Ende 2017 sollen demnach noch 2.500 für den IS gekämpft haben. 1.500 dürften zurückgekehrt und 1.000 getötet worden sein.
"Aber wir wissen noch immer nicht genau, wie viele wirklich getötet worden sind", betonte der ECTC-Chef. Einige dürften auf andere jihadistische Kriegsschauplätze wie Indonesien und Libyen abgewandert sein. "Und einige sitzen vermutlich in Syrien im Gefängnis."
Jihadisten fassen symbolträchtige Ziele ins Auge
Navarrete wies darauf hin, dass Jihadisten noch immer symbolträchtige Ziele ins Auge fassen. Exemplarisch dafür seien die Anschläge in der Konzerthalle von Manchester mit 22 Opfern sowie auf der Rambla in Barcelona mit 15 Toten gewesen.
Einer der Hauptangriffspunkte für Europol im Kampf gegen den jihadistischen Terrorismus ist die Propaganda: Navarrete sagte, dass die Terroristen etwa 150 Plattformen zur Verbreitung ihrer Thesen und zur Rekrutierung neuer Kämpfer nutzen. Dabei gibt es auch spezifisch an Frauen gerichtete Botschaften. Dass dies durchaus Erfolg zeigt, wissen gerade die österreichischen Strafverfolgungsbehörden nur zu gut. Hierzulande gab es einige Fälle von Frauen und teils minderjährigen Mädchen, die in das Kriegsgebiet gezogen sind oder dies zumindest tun wollten, wie auch im TE-SAT 2018 ausgeführt wird.
"Wir nehmen diese Propaganda aus dem Netz", betonte Navarrete. Erst Ende April meldete Europol, dass die europäischen und US-Polizeibehörden die Kanäle der IS-Agentur Amaq und anderer Propagandamedien weitgehend lahmgelegt hätten.
Bei solchen Krisen keine Zeit für tiefergehende Analysen
De Bolle wies darauf hin, dass sie, als sie noch Chefin der belgischen Bundespolizei war, den Umgang mit Europol bei den Anschlägen in Brüssel aus nächster Nähe miterlebt habe. "Bei solchen Krisen hast du als ermittelnde Polizeibehörde keine Zeit für in die Tiefe gehende Analysen", schilderte sie. Europol habe das sehr zeitnah zur Verfügung stellen können. "Es ist aber für die Mitgliedsstaaten absolut notwendig, dass Verbindungen hergestellt werden können, auch nicht auf den ersten Blick offensichtliche." Das betreffe auch technische Analysen, etwa bei den Bomben und ihrer Bauart.
Die Europol-Direktorin kündigte an, diese Kompetenz der Polizeiagentur in Zukunft weiter stärken zu wollen. Sie sprach von einem "Informations-Tsunami" und betonte, dass es Kompetenz und Aufgabe von Europol ist, sich da durchzuwühlen und das Relevante für die Mitgliedsstaaten hervorzuholen. Es gehe darum, qualitativ hochwertige Information zu bekommen und wieder zur Verfügung zu stellen, assistierte Navarrete.
Dazu müsse man auch bei der technologischen Entwicklung am Ball bleiben. "Wir müssen wissen, wer was tut und wie man das nutzen kann. Und wir müssen das auch vorhersagen können", erläuterte De Bolle und sprach die Wichtigkeit an, auch Trends erkennen zu können. Dies sei für die Planung der Mitgliedsstaaten unerlässlich, wie sie ihren Ressourcen in Zukunft einsetzen.
Unklar bleibt unterdessen, wie das Verhältnis der Briten nach dem Brexit zu Europol sein wird. Derzeit arbeiten rund 60 Staatsbürger des Vereinten Königreichs bei der Polizeiagentur in Den Haag. "Über ihre Zukunft und die Frage der zukünftigen Beziehungen zum Vereinten Königreich wird auf politischer Ebene entschieden", sagte De Bolle. Sie wies auf die wichtige Rolle Großbritanniens bei Europol hin. "Eine starke Beziehung ist wichtig für die innere Sicherheit der EU, Großbritanniens und nicht zuletzt der EU-Bürger, die dort leben."