Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer ersten Regierungserklärung nach der Wiederwahl eingeräumt, dass Deutschland aufgrund der Entwicklungen der vergangenen Jahre "gespalten" und die Stimmung im Land "polarisiert" sei. Flüchtlingskrise und Euro-Krise hätten Deutschland "in beispielloser Weise gefordert", sagte sie am Mittwoch im Bundestag.
Die Gesellschaft sei so sehr polarisiert, dass ein solch banaler Satz wie "Wir schaffen das", den sie zuvor schon häufig gesagt habe, zum Kristallisationspunkt der Debatte geworden sei, sagte Merkel. Diese Verunsicherung hätten auch die Koalitionsparteien bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 zu spüren bekommen. Die längste Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sei ein Zeichen dafür.
Merkel rechtfertigte die Entscheidung, in den Jahren 2015 und 2016 hunderttausende Flüchtlinge besonders aus dem Bürgerkriegsland Syrien aufzunehmen. "Wir haben sie als Menschen in der Not aufgenommen", unterstrich sie. "Unser Land kann stolz darauf sein." Merkel betonte aber auch, dass dies eine humanitäre Ausnahmesituation bleiben müsse. "Wir müssen Fluchtursachen entschieden bekämpfen."
Im Zusammenhang mit der Syrien-Krise übte Merkel Kritik an Russland und der Türkei. Die Bundesregierung verurteile die Angriffe in Ost-Ghouta "auf das Schärfste", nannte die Kanzlerin das Regime von Assad sowie "Russland, das dem zusieht". Auch was in Afrin passiere, sei trotz der Sicherheitsinteressen der Türkei inakzeptabel. "Auch das verurteilen wir auf das Schärfste".
Merkel widersprach auch ihrem neuen Innenminister Horst Seehofer, für den der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Der Islam gehöre zu Deutschland, betonte die Kanzlerin. Viele hätten damit Schwierigkeiten, und das sei ihr gutes Recht, fügte sie hinzu. Die Bundesregierung habe aber die Verantwortung, dass der Zusammenhalt in Deutschland größer und nicht kleiner werde.
Die Kanzlerin zitierte auch Artikel 1 des Grundgesetzes, in dem es heißt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Dieser Satz sei "Kern unseres Zusammenlebens". Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus hätten demgemäß "in unserem Rechtsstaat keinen Platz"
Deutschland stehe gut da und es gehe dem Land so gut wie seit der Wiedervereinigung nicht, sagte die christdemokratische Politikerin. Viele Menschen machten sich aber Sorgen um die Zukunft und der Ton in der Gesellschaft sei rauer geworden.
Für die Generalaussprache zur Rede Merkels sind zweieinhalb Stunden vorgesehen. Mit Spannung wird erwartet, wie sich die AfD positioniert. Die Rechtspopulisten können als größte Oppositionsfraktion als Erste auf die Kanzlerin antworten, die wie in der vergangenen Legislaturperiode an der Spitze einer Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD amtiert. In der bis Freitag dauernden Plenarwoche sollen auch die Ressortchefs des neuen Kabinetts Merkel in eigenen Regierungserklärungen ihre zentralen Vorhaben vorstellen.