In der Slowakei sind am Freitagabend erneut Tausende Menschen auf die Straßen gegangen. Mit Protestkundgebungen in nahezu 50 Städten des Landes forderten sie eine gründliche Aufklärung des Mordes am Investigativ-Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten sowie eine "neue, vertrauenswürdige Regierung". Zahlreiche Protestveranstaltungen waren auch im Ausland angekündigt.
Laut Schätzungen der Tageszeitung Dennik N haben allein in der Hauptstadt Bratislava bis zu 50.000 Menschen an der Protestkundgebung teilgenommen, weitere Tausende hatten sich in allen größeren Städten der Slowakei versammelt. Damit dürfte es sich um die größten Demonstrationen gegen die Regierung in der Slowakei seit der Wende 1989 handeln.
"Genug von Fico!"
In Bratislava sind vor der versammelten Menschenmenge Journalisten, Lehrer und Studenten, Ärzte und Krankenschwestern sowie zahlreiche Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur und auch Geistliche zu Wort gekommen. "Wir fangen endlich an zu diskutieren, wie dieses Land aussehen sollte. Wir sind für eine anständige Slowakei," betonte Juraj Seliga, einer der Organisatoren. "Genug von Fico!" und "Es ist uns nicht egal!", skandierten die Demonstranten.
Auf den zuvor geplanten Marsch zum Regierungssitz in Bratislava haben die Organisatoren schließlich aus Sicherheitsgründen verzichtet. Zu befürchteten größeren Ausschreitungen scheint es vorerst nicht gekommen zu sein. Nachdem die Kundgebung für abgeschlossen erklärt worden war, versammelte sich aber der harte Kern der Demonstranten erneut vor dem Regierungsamt und forderte lautstark Neuwahlen.
Im Vorfeld der Proteste hatte die slowakische Polizei vor Beteiligung von Ultras gewarnt, die vorhätten "einen ruhigen Verlauf" der Kundgebungen zu stören. Die Organisatoren hatten die Bürger seit Tagen zu Vernunft und Besonnenheit während der Veranstaltungen aufgefordert. Auch der Erzbischof von Bratislava Stanislav Zvolensky hatte darauf gepocht, die Botschaft der Kundgebungen "Stellen wir uns hinter eine anständige Slowakei" nicht zu vergessen.
Die Polizei hatte angekündigt mit einem starken Aufgebot eventuelle Gewaltausbrüche verhindern zu wollen, Spezialeinheiten waren aber in den Straßen nicht zu sehen. Bereits nach dem ersten "Trauermarsch für Jan und Martina" letzten Freitag hatten einige Dutzend Demonstranten den Eingang des Regierungssitzes belagert und den Rücktritt der Regierung verlangt.
Hochschulen haben frei
An allen öffentlichen und teilweise auch privaten Hochschulen in der Slowakei hatten Rektoren ihren Studenten für Freitag freigegeben, wie zuvor der Studentenrat des Landes gefordert hatte. Auch Studenten, die im Vorjahr mehrere Massenproteste gegen Korruption im Land veranstalten hatten, wollten sich den aktuellen Kundgebungen anschließen.
Noch kurz vor den Protesten versuchten Staatspräsident Andrej Kiska, Parlamentspräsident Andrej Danko und Ministerpräsident Robert Fico die Situation im Land, die seit dem gewaltsamen Tod des Aufdeckers Kuciak extrem angespannt ist, zu beruhigen. "Wir wünschen uns, dass die Gesellschaft Ruhe bewahrt und die Ereignisse der letzten Tage nicht politisch missbraucht werden," verkündete Danko nach den Gesprächen der drei ranghöchsten Staatsmänner am Freitagnachmittag.
Eine von Staatschef Kiska geforderte gemeinsame Deklaration wurde allerdings nicht angenommen, was klarstellte, dass die Animositäten zwischen Präsident und Premier nicht beigelegt werden konnten. Kiska hatte zuvor zu Neuwahlen als Ausweg aus der aktuellen politischen Krise aufgerufen, während Fico "Umsturzversuche", geleitet aus dem Ausland, als Hintergrund der Spannungen im Land vermutete.
Nach Mord: Tief gespaltenes Land
Die Delegation des Europaparlaments, die in der Slowakei zwei Tage lang zu den Hintergründen des Journalistenmords recherchiert hatte, hat ihre Aufklärungsreise am Freitagnachmittag abgeschlossen. "Wir haben ein tief gespaltenes Land vorgefunden, das nahezu traumatisiert ist," erklärte Ingeborg Gräßle, Co-Leiterin der Delegation, vor versammelten Journalisten in Bratislava. Die Parlamentariergruppe wolle der EU-Kommission eine erneute Prüfung der Förderprogramme für die Landwirtschaft in der Slowakei empfehlen, fügte sie hinzu.
Jan Kuciak und seine Verlobte wurden Ende Februar erschossen in ihrem Haus in der Westslowakei aufgefunden. Die Täter bleiben auch zwei Wochen nach dem Mord unbekannt, die Polizei vermutete aber von Anfang an, der Tod des jungen Paares hänge sehr wahrscheinlich mit den Recherchen von Kuciak zusammen. Der Investigativ-Journalist hatte sich auf große Korruptionsfälle und Verstrickungen von Politik und Geschäftemacherei spezialisiert und dabei Verbindungen von Personen, die der italienischen Mafia nahe stehen sollen, bis in höchste politische Kreise der Slowakei aufgedeckt.