Man darf ja angesichts des unfassbaren Leids und der unbändigen Trauer um die Opfer des jüngsten in Florida (17 Tote) nicht zu zynisch werden.
Doch das makabre Ritual nach den immer häufigeren und blutigeren Massenschießereien in den USA löst einfach nur mehr Wut, Abgestumpftheit und vor allem Hoffnungslosigkeit aus.
Es geht ja immer so: “Breaking News”. Wieder ein Massaker. Auf Twitter wird zu Gebeten aufgerufen. Offizielle, diesmal Florida-Gouverneur Rick Scott, bezeichnen den Amoklauf als Ausdruck des “puren Bösen”.
Fragen, warum wieder jemand, diesmal ein 19-Jähriger namens Nikolas Cruz, mit einer Kriegswaffe Wehrlose niederschießt, wollen vor allem Republikaner-Politiker, wie auch Präsident Donald Trump, lieber vorerst einmal nicht beantworten. Da müssen zuerst alle Fakten auf den Tisch, wird argumentiert, es wäre zu früh für eine Waffendebatte. Kritiker werden gleichzeitig abgekanzelt, da sie aus menschlichem Leid politisches Kapital schlagen wollten.
Insgeheim hofft man offenbar, dass nach Einlangen aller Erkenntnisse die Story längst vergessen ist – was heute in Zeiten sich überschlagender News-Zyklen auch oft der Fall ist.
Beim üblichen Medien-Marathon nach Massakern schleicht sich das – sicher ungewollte – Bild ein, dass hier an allen Fronten Übermenschliches und Heldenhaftes geleistet wurde. Und es ist ja auch wahr: Lehrer, die Schüler beschützten, Ärzte, die Verwundete operieren, Sanitäter, die mit Erster Hilfe leben retten, und Polizisten, die Amokläufe letztendlich mit viel Courage beenden – sie alle verdienen unseren vollen Respekt.
Doch mitunter artet das Ganze in eine bizarre, fast patriotische Selbstbeglückwünschung aus: Alle machen hier einen derart tollen Job und Amerika erscheint überhaupt als das einzige Land, in dem ein derart fantastisches Teamwork der Einsatzkräfte überhaupt möglich ist.
“USA! USA!”, mögen sich da fast viele US-Bürger denken.
Nur: 17 Menschen, die meisten Jugendliche, sind gerade nach dem Blutbad an der Marjory Stoneman Douglas High School tot. Auch die Leben ihrer Hinterbliebenen sind zerstört. Für immer.
Und Amerika ist das einzige Land, dass ein derart sinnloses Morden zulässt – aus Rücksicht vor einer Waffenlobby, die den Kongress eingekauft hat, und mit einem jahrhundertealten Verfassungspassus zum Recht auf Waffenbesitz (dabei ist kaum anzunehmen, dass sich die Gründungsväter der USA die Feuerkraft halbautomatischer Sturmgewehre ausmalen hatten können…).
Mehr als 300 Millionen Feuerwaffen sind in Amerika im Umlauf, Kriegswaffen, wie das bei Amokläufern besonders beliebte Sturmgewehr AR-15, können aus Regalen von “Gun Stores” gezogen werden wie Kartoffelchips-Packungen beim Walmart.
Man braucht kein Nobelpreisträger-Kandidat zu sein, um die Zusammenhänge zu behirnen: Seit dem Sandy-Hook-Massaker 2012, als Psychokiller Adam Lanze 20 Erstklässler in einer Grundschule massakrierte, wurden 430 Menschen bei 273 weiteren Schul-Massakern getötet, rechnet die New York Times vor.
15.590 Menschen starben laut ” im Jahr 2017 bei 61.497 Vorfällen an Waffengewalt (in Deutschland waren es weniger als 200 Tote).
Die Gesetzgeber im Kongress schafften es währenddessen nicht einmal, Schlupflöcher zu schließen, durch die sogar auch Gangster und Irre ihre Finger an die Abzüge von Sturmgewehren kriegen können. Erlaubt sind weiterhin Riesenmagazine und sogar Bump Stocks, die Maschinengewehr-Feuer möglich machen. Deshalb steigen auch die Opferzahlen bei Amokläufen stetig.
Und mehr noch: Die Waffenlobby NRA, die eine Mehrheit der Kongress-Abgeordneten – meist durch Spenden, oft aber auch durch Drohungen – in der Tasche hat, will die Waffenrechte immer weiter ausdehnen. Bald könnten Menschen mit Pistolen im Halfter quer durch die USA reisen. “NRA-Präsidenten” Donald Trump haben die Waffennarren dabei ohnehin voll hinter sich.
Waffenanhänger trachten auch, nach jedem Blutbad unzählige andere Erklärung zu finden, als die offensichtliche – wonach einfach zu viele Knarren im Umlauf sind: Die Täter wären einfache Verrückte, wird argumentiert, das Problem liege eher im Gesundheitswesen. Oder: Die Killer wären einfach so einzigartig böse, dass man da ja wirklich machtlos sei.
Lobbyisten wie Larry Pratt von der Gruppe “Gun Owners of America”, den ich mehrmals interviewte, pervertiert die Argumentation sogar so weit, dass eigentlich die ohnehin spärlichen Waffengesetze selbst schuld seien am hohen Blutzoll. Die meisten Massaker würden in waffenfreien Zonen passieren, sagte er, wo sich die Opfer nicht verteidigen könnten. Das also ist die Wild-West-Vision: Alle sollen Waffen haben, dann kann endlich jeder auf jeden schießen.
Fast vergessen: Eigentlich sollte die Bevölkerung bis an die Zähne bewaffnet sein, um sich irgendwann gegen eine “tyrannische Regierung” verteidigen zu können… Und übrigens: Das meinen Waffenlobbyisten wie Pratt ernst.
Ich lebe seit 19 Jahren in diesem Land. Trotz aller Abgestumpftheit reicht es einfach nur mehr. Ich bin längst zutiefst davon überzeugt, dass sich in Sachen Waffenwahn niemals etwas ändern wird. Und sicher ist niemand, nirgends: Kinos, Konzerte, Schulen, Einkaufszentren, es kann überall passieren.
Ich umarme meine Kinder jeden Morgen, bevor sie in die Schule gehen, und denke mir oft: Warum tun wir uns ein Leben in ständiger Sorge eigentlich an?
Herbert Bauernebel, US-Korrespondent