Als erste Frau an der SPD-Spitze soll Bundestags-Fraktionschefin Andrea Nahles die Partei aus ihrer tiefen Krise führen. Der bisherige Vorsitzende Martin Schulz trat am Dienstag zurück, die Spitzengremien der Partei nominierten daraufhin die 47-Jährige einstimmig als dessen Nachfolgerin.
Bis zur Wahl am 22. April bei einem Sonderparteitag in Wiesbaden wird der dienstälteste stellvertretende Vorsitzende Olaf Scholz die SPD kommissarisch führen. Bestrebungen, den Vorsitz sofort an Nahles zu übergeben, scheiterten am Widerstand einzelner Landesverbände.
"Große Ehre"
Nahles bezeichnete die Nominierung als "große Ehre". "Es ist eine große Verantwortung für unser Land", sagte sie. Sie hoffe, dass vom Parteitag in Wiesbaden ein "Aufbruchssignal" ausgehen werde. Nahles verteidigte den Koalitionsvertrag und zeigte sich zuversichtlich, dass die Mitglieder bei der Abstimmung vom 20. Februar bis zum 2. März mit Ja stimmen werden. "Es geht nicht in die Hose", sagte sie. Auf die Frage, ob sie ihre politische Zukunft von dem Votum abhängig machen werde, sagte sie: "Mein Schicksal verknüpfe ich mit gar nichts."
Nahles wird auf dem Parteitag in Wiesbaden nicht die einzige Kandidatin sein. Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange kündigte überraschend ihre Gegenkandidatur an - aus Protest gegen die Vorfestlegung auf Nahles. Chancen werden ihr nicht eingeräumt. Nach SPD-Angaben ist es aber die erste Kampfkandidatur um den Parteivorsitz in der Nachkriegszeit.
Ihre Kandidaten für das Kabinett will die SPD erst nach dem Mitgliederentscheid nennen. Im Gespräch ist unter anderem Hamburgs Erster Bürgermeister Scholz als Vizekanzler und Finanzminister. Völlig offen ist unter anderem noch, wer Außenminister werden soll.
Rückzug bereits angekündigt
Schulz, der den Koalitionsvertrag mit der Union zusammen mit Nahles ausgehandelt hat, hatte seinen Rückzug vom Parteivorsitz bereits in der vergangenen Woche angekündigt. Er hoffe, dass nun die Personaldebatte in der Partei zu einem Ende kommen und die SPD zu alter Kraft zurückfinden werde, sagte er und betonte: "Ich scheide ohne Bitterkeit und ohne Groll aus diesem Amt." Der 62-Jährige war nicht einmal ein Jahr Parteichef. Im März 2017 war er mit dem Rekordergebnis von 100 Prozent gewählt worden.
Schulz hatte Nahles bereits kurz nach den Koalitionsverhandlungen als seine Nachfolgerin für die Parteispitze vorgeschlagen. Entgegen vorheriger Aussagen wollte er zunächst Außenminister in einem schwarz-roten Kabinett werden, verabschiedete sich nach großem Druck aber dann auch von diesem Vorhaben. Vor dem entscheidenden Mitgliederentscheid steckt die Partei damit in großen Turbulenzen.
Widerspruch
Die Parteiführung hatte gehofft, durch einen schnellen Personalwechsel an der Spitze wieder für etwas Ruhe zu sorgen. Die Idee, Nahles als kommissarische Parteichefin zu benennen, verursachte aber neue Verwerfungen.
Aus den Landesverbänden in Schleswig-Holstein, Berlin und Sachsen-Anhalt kam vor den Gremiensitzungen am Dienstag Widerspruch gegen das Vorhaben. Sie argumentieren unter anderem, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, Personalfragen würden in Hinterzimmern ausgekungelt. Es gab aber auch rechtliche Bedenken: Die Skeptiker führten an, Nahles sei nicht stellvertretende Parteivorsitzende und nicht einmal Mitglied des SPD-Vorstands und könne deswegen nicht kommissarische Vorsitzende werden.
Seit Gründung der Bundesrepublik gab es nur zwei vergleichbare Fälle bei der SPD: 2008 übernahm Frank-Walter Steinmeier kommissarisch die Führung, nachdem Kurt Beck im Streit um die Kanzlerkandidatur abgetreten war. Johannes Rau war 1993 kommisarisch Vorsitzender - nach dem Rücktritt von Björn Engholm im Zuge der Barschel-Affäre. Aber noch nie wurde jemand kommissarisch SPD-Chef, der nicht einen Stellvertreterposten innehatte.