Alexis Pinturault brachte es am Dienstagnachmittag sehr schön auf den Punkt: „Marcel Hirscher kann der beste Skifahrer aller Zeiten werden. Die Frage ist nur, wie lange es ihn noch freut.“
Mit seinen 28 Jahren hat der Salzburger nun die letzte große Lücke in seiner sportlichen Vita geschlossen, Marcel Hirscher hat mit Olympia-Gold alles erreicht, was es im alpinen Skirennlauf zu holen gibt. 55 Weltcup-Erfolge, sechs Gesamtweltcupsiege, vier Mal WM-Gold in Einzeldisziplinen, was soll da noch kommen?
Der akribische Arbeiter, der Perfektionist, ist just in jener Saison, von der er sich nach seinem Knöchelbruch so wenig erwartet hatte, erfolgreich wie nie zuvor. Und mancher mag es ihm nicht abnehmen, wenn er sagt, dass ihm diese Nicht-Vorbereitung auf den Kopf fallen würde, wenn ihm so etwas öfter passieren würde. Doch genau das zeichnet den gnadenlosen Realisten aus: Lieber ein bisserl vorsichtig kalkulieren und dann überraschen (auch sich selbst!) als irgendetwas als g’mahde Wiesen zu betrachten.
Wer ihn in den letzten Tagen beobachtet hat, der kann erahnen, wie sehr Marcel Hirscher die Gedanken an diesen Dienstag umgetrieben haben. Was, wenn er doch nicht das richtige Material für die erste Abfahrt seit einem Jahr findet? Welche Schuhe sollen es sein? Zwei Mal in Riesenslalomschuhen trainiert, der Reporter wiegt den Kopf, das dritte Training in Super-G-Schuhen, der Reporter verzieht die Mundwinkel, das Rennen wieder mit anderem Material – und dann zur zwölftbesten Abfahrtszeit gerast. „Ich habe viel an diese Schuhfrage denken müssen“, gesteht Hirscher.
Hirscher kann seinen Sport erklären wie kaum ein anderer. Welche Feinheiten es braucht, wo Entwicklungen möglich sind, er kennt alle Details – und erfindet sich immer wieder neu. Die Energie, die allein in diese Denkprozesse einfließt, ist enorm. Und so kann man es ihm nicht verdenken, dass er sich zuweilen schon in seinem Ledersessel sitzen sieht und auf das zurückschauen, mit dem er noch gar nicht fertig ist. Endlich diesen Stress hinter sich lassen, dieses Ratter-ratter-ratter, wie er es nennt.
Dass Hirscher im Jänner in Zagreb Mikaela Shiffrins Fahrstil mit „düdeldü“ umschrieben hat, das ist in diesem Winter bezeichnend für ihn: Er wirkt lockerer als in den letzten Jahren.
Es ist eine Rolle rückwärts. Denn wo er am 13. Dezember 2009 noch zu sich selber als „kleiner Bua“ gesprochen hat, der einfach Gas geben sollte für den ersten Weltcupsieg in Val d’Isère, da ist heute der Erfolgsfahrer, der zuweilen wieder so nervös wie einst am Start steht – und dann doch von Sieg zu Sieg eilt. Dank des angeeigneten Wissens, dank seiner so weit entwickelten Fähigkeiten in körperlicher, technischer und mentaler Hinsicht, dank seines Teams, das er um sich herum aufgebaut hat. Und natürlich dank seines Vaters Ferdinand, der noch immer wichtigster Ratgeber ist.
Der Marcel Hirscher der Gegenwart ist der beste, den es bis jetzt gab. Wie es weitergeht? Vielleicht mit mehr „düdeldü“. Das bedeutet aus dem Hirscherischen übersetzt: „Man wedelt ein bissl den Hang runter und brennt den anderen trotzdem davon.“ Harte Arbeit steckt dennoch hinter dem, was Marcel Hirscher an Mikaela Shiffrin so faszinierend findet.
Doch das weiß er selbst sowieso am besten.