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PyeongChang: Nicht nur der Schnee ist künstlich

8-02-2018, 06:00

Der Busfahrer zeigt Flagge. Über seinem Fahrersitz baumeln friedlich vereint drei Fähnchen, die er in dieser Zusammenstellung noch vor wenigen Wochen wohl nie zusammen gehisst hätte: Die Taegeukgi von Südkorea, die Stars and Stripes der Vereinigten Staaten – und dann ist da auch noch eine weiße Fahne, auf der in Schwarz die Silhouette der gesamten koreanischen Halbinsel abgebildet ist. Die Flagge für das gesamtkoreanische Team.

Es ist ein Bild mit Symbolcharakter, vermutlich wird es sogar das prägende Bild sein, das einmal von diesen Olympischen Winterspielen in PyeongChang in Erinnerung bleiben wird. Wenn das olympische Feuer längst schon wieder weitergezogen ist, Richtung Peking, dem Schauplatz des Winter-Spektakels in vier Jahren.

Von Sotschi 2014 hat sich in der Öffentlichkeit vor allem der Dopingskandal der Gastgeber eingeprägt, und, nicht zu vergessen, die russische Intervention auf der Krim, nur wenige Stunden nach dem Ende der Spiele. Über PyeongChang soll in Zukunft einmal erzählt werden, dass es die Spiele waren, bei denen sich Süd- und Nordkorea wieder angenähert haben. Das ist zumindest der hehre Wunsch des IOC, das dafür sogar eines seiner Grundprinzipien über Bord geworfen hat: Der Sport und die Politik dürfen nicht vermischt werden.

Laute Appelle

Es hat sich also einiges getan seit den letzten Besuchen des KURIER in Südkorea im Spätherbst des vergangenen Jahres. Damals war hier noch jeder bemüht zu betonen, dass man Pyeongchang, den Olympia-Ort, bloß ja nicht mit Pjöngjang, der Hauptstadt von Nordkorea, verwechseln möge.

Zugleich waren auch allerorts Appelle zu vernehmen, ausländische Wintersportfans mögen doch bitteschön Werbung für die Spiele in Fernost machen. Und auch ja die Tradition hochzuhalten und nicht etwa vom Japanischen Meer an der Ostküste Koreas zu schreiben, sondern vom Ostmeer, wie es hier seit Generationen heißt.

Und so kam es auch, dass sich PyeongChang eigens für die Spiele noch ein großes C gegönnt hat. Schließlich gab es da nicht nur jene Geschichte des afrikanischen Wissenschaftlers, der zu einem Kongress in die heutige Olympia-Region reisen wollte, dann aber irrtümlich ein Flugticket nach Nordkorea buchte und nach seiner Landung stundenlang verhört wurde, nein, mit "PC" wird auch das Motto dieser Spiele dargestellt: Passion Connected, in Leidenschaft verbunden.

Die Begeisterung für die Olympischen Spiele in PyeongChang hält sich freilich in Grenzen. Nur eine Handvoll Verwandte begleiten die 105 österreichischen Sportler nach Südkorea. Zu beschwerlich ist die Reise, zu teuer sind die Hotels, zu unsicher war lange Zeit die politische Lage. Aber auch im Austragungsland selbst ist das Interesse überschaubar. Die Jaebols, die großen koreanischen Familienkonzerne, wurden angehalten, für ihre Mitarbeiter riesige Ticket-Kontingente zu kaufen. Das soll vor allem bei den Bewerben im Alpensia-Mountain-Cluster, wo Skifahrer, Langläufer, Rodler, Biathleten und Skispringer ab Samstag um Medaillen kämpfen, verwaiste Tribünen verhindern.Dennoch sind erst 75 Prozent aller Karten an Frau und Mann gebracht.

Lokalaugenschein in dem Ort, der das Herz dieser Winterspiele sein soll. Es ist ein Herz, das nicht gerade pulsiert, sondern kurz vor Olympia eher noch einen Schrittmacher benötigt. Alpensia, das steht für Asia, Fantasia und Alps – und dieses Wortspiel trifft es eigentlich auch sehr gut. Denn man braucht schon viel Fantasie, um in diesem Teil Asiens etwas zu entdecken, das auch nur irgendwie an die Alpen erinnert. Die Berge würden in unseren Breitengraden höchstens als Hügel durchgehen, das Resort mit seinen unzähligen Hotels mag zwar auf den ersten Blick als klassischer Wintersport-Ort durchgehen, wirkt aber bei genauerem Hinschauen wie eine Kulisse. Daran können auch die vielen bunten Fahnen nichts ändern, auf denen Alpensia als "Mekka des Wintersports" angepriesen wird.

Gähnende Leere

72 Stunden vor der Eröffnung ist das Zentrum des olympischen Epizentrums wie ausgestorben. Die einzigen Menschen, die einem hier über den Weg laufen, sind Offizielle, Volunteers oder Polizisten, die gelangweilt durch Alpensia patrouillieren. Kein Fan, kein Einheimischer, die vielen Geschäfte und Restaurants sind leer, der Ticketschalter hat erst gar nicht aufgemacht.

Foto: /Christoph Geiler Noch ist auf den Straßen sehr wenig los. Zumindest gibt es hier keine Proteste. Das wird sich wohl so mancher hochrangige Funktionär aus der Riege des IOC denken, von denen viele in den Nobelherbergen von Alpensia untergebracht sind. 45 Autominuten entfernt in Bokwang ist das ganz anders. Wenn Alpensia das Mekka des Wintersports sein soll, dann ist Bokwang das Zentrum des Widerstandes.

Noch lange vor den offiziellen olympischen Bannern sind auf dem Weg ins Snowboard-Quartier die riesigen knallroten Protestplakate zu erkennen. Sie flattern von Häuserfassaden oder wurden zwischen Bäumen gespannt, eines hängt sogar direkt neben der Einfahrt zu den Snowboard-Pisten. "PyeongChang Olympics kill us", steht auf den Transparenten. Oder: " Keep our right to live." Die Olympia-Gegner kritisieren die vielen Eingriffe in die Natur, die wegen Olympia unternommen wurden. Die Skipisten, für die Tausende Bäume gerodet werden musste; die Autobahnen, die plötzlich über ihre kleinen Bauernhäuser führen; die zahlreichen sichtbaren und unsichtbaren Spuren, die Olympia hinterlässt.

PyeongChang ist eine ländliche und wenig besiedelte Gegend, in der das Leben beschaulicher und langsamer ist als in der pulsierenden Hauptstadt Seoul mit zehn Millionen Einwohnern. Rund 25 Millionen leben im Großraum der Metropole, die Hälfte aller Südkoreaner.

Alte Menschen

Im Bezirk PyeongChang leben viele Menschen noch von der Landwirtschaft, die Bevölkerung ist deutlich älter als in den städtischen Gebieten, die Uhren ticken langsamer. Hier, unweit der nordkoreanischen Grenze, ist Südkorea fast noch so wie vor 70 Jahren, vor dem rasanten Aufstieg zur Wirtschaftsmacht. Vor mehr als einem halben Jahrhundert hatte Südkorea noch zu den ärmsten und rückständigsten Ländern der Welt gezählt, inzwischen ist es eine echte Vorzeigenation: großes Wirtschaftswachstum, hohe Bildungsstandards (70 Prozent der 25- bis 34-Jährigen haben einen Uni-Abschluss), geringe Arbeitslosigkeit (3,8 Prozent), niedrige Kriminalität (höchster Sicherheitsindex der Welt), hohe Lebenserwartung (82,5 Jahre).

Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Welt gerade ein riesiges Wintermärchen erlebt. In PyeongChang wird das Märchen vom Winter erzählt. Das beginnt im Resort Alpensia, und das setzt sich fort mit dem Schnee, auf dem in den kommenden zwei Wochen die neuen Olympiasieger gekürt werden. Ohne das künstliche Weiß, ohne die Schneekanonen, die schon seit November aus allen Rohren feuern, würden und könnten hier erst gar keine Olympischen Winterspiele stattfinden.

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