Es ist neun Jahre her, dass Daniel Albrecht am Zielsprung der Streif schwer gestürzt ist. Drei Wochen lang lag der Schweizer im Koma und musste danach alles neu erlernen. "Wenn jemand an meinem Bett stand, wusste ich nicht, ist das meine Mama, meine Freundin oder eine Frau vom Spital", erinnert sich der 34-Jährige.
KURIER: Herr Albrecht, welche Emotionen löst das Hahnenkammrennen bei Ihnen aus?
Daniel Albrecht: Alle glauben, dass Kitzbühel für mich negativ behaftet ist. Das stimmt nicht. Es ist ganz anders.
Nämlich?
Wenn ich an das Hahnenkammrennen und die Streif denke, dann sage ich mir: ,Jawohl, ich lebe noch!’ Ich kann und darf ein normales Leben führen, ich habe keine Behinderung, ich habe das alles gut überstanden. Und eigentlich lande ich dann mit meinen Gedanken sehr schnell wieder beim Sport.
Foto: /APA/AFP/SAMUEL KUBANI Wie muss man sich das vorstellen?
Scheiße, ich wäre so gern dabei, die Piste ist so geil. Da kommt dann jedes Mal wieder der Rennfahrer in mir durch. Ich weiß, wie es sich anfühlt, da runter zu fahren. Ich weiß, was einem Läufer in jeder Passage durch den Kopf geht. Ich versetze mich heute immer noch gerne in die Abfahrer hinein. Und meistens ärgere ich mich dann ein bisschen.
Sie ärgern sich?
Das ist das einzig Negative, das ich mit Kitzbühel verbinde. Letztes Jahr war ich oben am Start, in der Galerie sind dort alle Sieger aufgelistet. Und dann denke ich mir: Scheiße, da müsste eigentlich auch mein Name stehen. Ich hätte auch einmal in Kitzbühel gewinnen müssen.
Foto: APA/Harald Schneider Das klingt fast danach, als würden Sie der Zeit als Rennläufer ein wenig nachtrauern.
Nein, das ist für mich abgehakt und beendet. Ich habe heute eine gewisse Distanz. Aber beim Zuschauen kommen immer wieder Erinnerungen hoch.
Sie haben wie Hans Grugger nach Ihrem Sturz vergeblich ein Comeback versucht. Warum und woran sind Sie gescheitert?
Ich bin immer noch überzeugt, dass es geklappt hätte. Aber ich habe einfach nicht die Zeit dafür gekriegt, es zu beweisen. In meiner Situation hätte ich mehr Vertrauen und Unterstützung gebraucht. Aber das habe ich nicht bekommen.
Was war so schwierig?
Mir war nach dem Sturz 2009 in Kitzbühel klar, dass es wahrscheinlich zwei, drei Jahre dauern würde, bis ich körperlich wieder voll fit bin. Zugleich war mir aber auch klar, der Kopf, das Gehirn, benötigt fünf, sechs Jahre, bis so eine Verletzung, wie ich sie hatte, verarbeitet ist. Ich hatte mir vorgenommen, so lange dran zu bleiben. Aber es lief nie wirklich rund. Irgendwo war immer eine Baustelle. Und wenn dann die Unterstützung fehlt, dann wird das noch komplizierter. Am Ende war ich an dem Punkt, dass ich gesagt habe: ,Wenn ihr nicht seht, was möglich wäre, dann habe ich keine Lust mehr.’
Foto: KURIER/Stefan Sigwarth Hadern Sie damit, dass Sie die Karriere so beenden mussten?
Wenn ich nach dem Unfall alles richtig gemacht hätte, wäre sicher mehr möglich gewesen. Aber die Option, alles richtig zu machen, die gab es gar nie. Insofern bin ich viel weiter gekommen, als man es überhaupt erwarten konnte. Der Rücktritt vom professionellen Skisport war dann für mich sogar eine Erleichterung.
Inwiefern?
Weil damit diese Karriere vorbei war und ich ein neues Kapitel aufschlagen konnte. Mit dem Sturz hat mein Leben von null angefangen, mit dem Rücktritt hat das echte Leben begonnen. Auch darauf war ich schon vorbereitet.
Wie meinen Sie das?
Ich hatte meine Bekleidungsfirma Albright bereits, als ich im Weltcup gefahren bin. Die gibt’s jetzt schon über zehn Jahre. Insofern war das ein fließender Übergang.
Es ist ungewöhnlich, dass Sportler während ihrer Laufbahn die Karriere danach planen.
Als ich in den Weltcup gekommen bin, habe ich viele ältere Läufer gesehen, für die es nur Skifahren gegeben hat. Da hat sich für mich die Frage gestellt: ,Was mache ich eigentlich, wenn ich einmal aufhöre? Ich möchte nicht vor dem Nichts stehen.‘ So bin ich auf die Idee mit der Skikleidung gekommen. Ganz ehrlich: Es hat mir auch als Skifahrer gut getan.
Das heißt, Sie würden anderen Sportlern auch empfehlen, sich während der Laufbahn ein zweites Standbein aufzubauen?
Ich habe etwas gesucht, womit ich mich vom Sport ablenken kann. Gerade wenn es im Skifahren schlechter lief, habe ich was gebraucht, was mich auf andere Gedanken gebracht hat.
Abschließend: Leiden Sie noch unter Spätfolgen?
Ich werde schneller müde. Sonst geht’s mir gut. Die Sachen, die nicht so gut funktionieren, habe ich davor auch schon nicht gekonnt.
An diesem Freitag wird Scott Macartney wieder zwei Mal Geburtstag feiern. So wie jedes Jahr seit dem 19.Jänner 2008. Die Skifans in Kitzbühel hatten damals für den US-Abfahrer gerade ein Geburtstagsständchen angestimmt, als Macartney beim Zielsprung der Streif stürzte und ohne Helm ins Ziel schlitterte. Dass er den schweren Unfall ebenso überlebt hat wie Daniel Albrecht, der ein Jahr später an dieser Stelle gestürzt war, und auch Hans Grugger, den es 2011 an der Mausefalle erwischt hatte, war vor allem der perfekten Rettungskette und der Nähe zur Klinik Innsbruck mit seiner anerkannten Neurochirurgischen Abteilung zu verdanken.
"Wenn ich bei einem anderen Rennen gestürzt wäre, dann hätte ich das nicht überlebt", sagt Grugger, der wie seine Kollegen im Koma lag. Im Gegensatz zum Pongauer kehrte Macartney wieder in den Weltcup zurück und fuhr noch im selben Jahr in der Abfahrt von Gröden auf Rang 15. Heute trainiert der 40-Jährige US-Nachwuchsläufer und hilft Talenten mit der World Cup Dreams Foundation, den Traum von einer Karriere zu verwirklichen.
Auch Hans Grugger hat sich der potenziellen Stars von morgen angenommen. Aktuell ist der 36-Jährige gerade mit jungen Athleten der Hotelfachschule Gastein auf der Piste unterwegs. "Durch meine Erfahrungen und Erlebnisse kann ich ihnen sicher einiges auf den Weg mitgeben", erzählt der frühere Speed-Spezialist, der alle Jahre wieder in der Hahnenkammwoche eine große Dankbarkeit verspürt. "Ich habe überhaupt keine schlechten Erinnerungen an Kitzbühel, weil die ganze Geschichte für mich ja gut ausgegangen ist."
Der Skisport spielt im Leben von Grugger mittlerweile aber nicht mehr die große Rolle. Er und seine Frau Ingrid Rumpfhuber, eine frühere Weltcupläuferin, sind Eltern geworden, Tochter Mia ist inzwischen zwei Jahre alt. Und Grugger sieht seine Zukunft im Klassenzimmer. Der 36-Jährige studiert Sport und Geografie auf Lehramt, er ist inzwischen bereits Bachelor und wird voraussichtlich 2019 anfangen, zu unterrichten. Auf dem Weg zum Lehrerjob musste sich Hans Grugger mitunter ähnlich überwinden wie seinerzeit am Start der Streif. Vor allem die sportliche Aufnahmeprüfung hatte dem Sieger von vier Weltcuprennen zu schaffen gemacht. " Vor allem die Übungen am Reck und das Schwimmen waren zach."