Jetzt kommt für Andreas Puelacher wieder die unangenehmste Zeit im Jahr. Es kommen die Tage, in denen er Härte zeigen muss, obwohl der Chefcoach der ÖSV-Ski-Herren manchmal lieber Gnade walten lassen würde. Es naht ein Großereignis und damit auch das große Kopfzerbrechen. "Die Aufstellung zu machen, Leuten sagen zu müssen, dass sie nicht dabei sein können, das sind für mich die schwierigsten Momente und Entscheidungen", sagt Andreas Puelacher.
Und als wäre es ohnehin nicht schon diffizil und heikel genug, in seinem Herren-Team die Auserwählten zu finden, stehen dem Tiroler vor den Olympischen Spielen in Pyeongchang auch noch intensive Diskussionen mit Jürgen Kriechbaum bevor, seinem Amtskollegen bei Österreichs Ski-Damen.
Zwar verfolgen beide Cheftrainer das gleiche Ziel, nämlich Medaillen für Österreich zu gewinnen, aber beiden geht es dabei auch um die Eigeninteressen – nämlich möglichst viele Aktive beim Saisonhöhepunkt in Südkorea am Start zu haben.
22 Sportler darf Österreich für die olympischen Skibewerbe nennen. Bis zum offiziellen Meldeschluss am 28. Jänner wird deshalb im ÖSV noch intensiv um die Quotenregelung gefeilscht werden. Wie noch vor jedem Großereignis lautet die zentrale Frage: mehr Frauen? Mehr Männer? Oder verständigen sich die Verantwortlichen ausnahmsweise einmal wieder darauf, jeweils elf Frauen und Männer zu nominieren?
Jürgen Kriechbaum hat sich in dieser Woche bereits für eine 12:10-Quote ausgesprochen – zu Gunsten seines Damen-Teams. "Wir haben einfach nicht so viele Läuferinnen, die mehrere Disziplinen fahren", begründet der Coach seinen Vorstoß. Der Konter seines ÖSV-Kollegen ließ nicht lange auf sich warten. "12:10 hätte ich auch gerne", meint Andreas Puelacher und verweist auf die Erfolgsbilanz. Ihm geht es nicht um die Startplätze, sondern vorrangig um Medaillenchancen. "Das ist das Entscheidende: Wie viele Möglichkeiten von Podestfahrern hat die Damenseite, und wie viele haben wir? Aufgestellt wird nach Leistungen."
Wenn im Februar Weltmeisterschaften stattfinden würden, dann wäre alles viel einfacher. Bei Weltmeisterschaften haben die Titelverteidiger seit jeher einen fixen Startplatz, und weil der ÖSV traditionell den einen oder anderen Weltmeister stellt, hat die Quotenfrage erfahrungsgemäß nicht so viel Brisanz wie vor Winterspielen.
Eines ist jedenfalls schon jetzt sicher: Einen Verteilungsschlüssel wie 2014 in Sotschi wird es in Pyeongchang nicht mehr geben. Vor vier Jahren hatte das ÖSV-Damenskiteam nur aus neun Läuferinnen bestanden. Bei der Ski-WM 2017 in St.Moritz waren hingegen die Frauen in der Überzahl.
Tatsächlich wird es für die Trainer immer schwieriger, den passenden Kader für ein Großereignis zusammenzustellen. Zum einen, weil es mit dem Teambewerb einen zusätzlichen Wettkampf gibt, zum anderen, weil es immer weniger Allrounder gibt, die in mehreren Disziplinen starten können. Viele Läufer haben sich mittlerweile auf eine Disziplin spezialisiert, wie etwa Michael Matt (Slalom), der nunmehr verletzte Roland Leitinger (Riesentorlauf) oder auch Eva-Maria Brem (Riesentorlauf). Andere Sportler wie Michaela Kirchgasser oder Romed Baumann sind zwar eigentlich Allrounder, werden bei den Olympischen Spielen aber Stand jetzt wohl nur in der ungeliebten Kombination zum Zug kommen.
Dass die Trainer Kriechbaum und Puelacher auf möglichst viele Starter pochen, hat aber noch einen anderen Grund: Mehr Starter bedeuten im Idealfall auch mehr Skimarken, die im eigenen Olympiateam vertreten sind – und damit weniger Gefahr, an den schwierigen klimatischen Bedingungen in Korea zu scheitern. In Pyeongchang sind Wetterumschwünge an der Tagesordnung, die Nähe zum Meer macht die Aufgabe für die Servicecrews nicht leichter. "Olympia wird eine Herausforderung", sagt Toni Giger, Leiter der Forschungs- und Materialabteilung beim ÖSV. Die Quotenfrage ist da nichts weiter als ein Vorgeplänkel.