Henrik Kristoffersen schäumte, gnadenlos eingeblendet von den TV-Kameras, vor Enttäuschung, als Marcel Hirscher am "Semmering von Zagreb" mit Bestzeit abschwang. Prompt beschäftigte der Wutausbruch des Norwegers viele Online-Poster hierzulande zunächst mehr als Hirscher. So als ob dessen 50. Weltcupsieg selbstverständlich gewesen wäre.
War er aber nicht. Schließlich zog der Salzburger damit noch vor dem Adelbodener Doppel (Riesentorlauf am Dreikönigs-Tag, Slalom 24 Stunden später) mit Alberto Tomba gleich, überflügelte den Italiener am Samstag mit dem nächsten Erfolg. Obwohl sich Hirscher am 17. August einen Bruch des linken Sprunggelenks zugezogen hatte. Und obwohl er behauptet, konditionell schwächer als in den vergangenen Jahren zu sein. "Weil mir drei Monate Training fehlen."
Zu Hirschers Glück im Unglück existiert vom folgenschweren "Einfädler" auf dem Mölltaler Gletscher ein Video-Beweis. Andernfalls hätte so manch Skeptiker Hirscher unterstellt, er habe übertrieben. Fehlt nur noch, dass er ein Röntgenbild vom gebrochenen Knöchel vorlegen muss. Einen Beweis für seine Klasse aber ist Hirscher längst niemandem mehr schuldig. Bestenfalls eine Erklärung, wie es möglich sei, über so einen langen Zeitraum so zu triumphieren.
Dass die Kristall-Krone, die ihm die kroatischen Veranstalter aufgesetzt hatten, im Zagreber Trubel danach versehentlich – wie auch bei Mikaela Shiffrin – zu Bruch ging, wird Hirscher verkraften. Mit den Trophäen ließen sich daheim im Lammertal ohnehin längst ein Pokal-Museum à la Real Madrid errichten. Dabei hatte Hirscher im Jahr 2014 gemeint, dass er sich nicht vorstellen könne, 2018 noch Rennen zu fahren.
Mittlerweile sind’s nur noch 32 Tage bis zu Olympia in Südkorea. Mittlerweile haben mit Kristoffersen und dem Franzosen Alexis Pinturault seine schärfsten ausländischen Rivalen ihre Wohnsitze in Hirschers Nähe nach Radstadt bzw. Salzburg verlegt. Mittlerweile hat Hirscher im eigenen Lager mit (dem Zagreber Halbzeitbesten) Michael Matt, mit Manuel Feller und Marco Schwarz starke Konkurrenz, nachdem es vor ein paar Jahren noch hieß, eine neue ÖSV-Slalom-Hoffnung sei mit freiem Auge nicht zu sehen. Hirscher, 28, profitiert sogar von internen Trainingsvergleichen. Ungeachtet dessen betrachtet er sich als Einzelsportler.
Als einen, der mit der Akribie eines erfolgreichen Firmenchefs sein eigenes Team zusammengestellt hat. Dem gehören angefangen von Papa Ferdinand ("Der Ferdl hat ein unglaubliches G’spür beim Skitesten."), Trainer Mike Pircher, zwei Atomic-Serviceleute, Physiotherapeuten und PR-Mann Stefan Illek an. Letzterer raste als ORF-Kamerafahrer zig Mal die Streif runter. Aktuell muss Illek Termine, darunter für BBC und CNN, koordinieren und andere Interviews zumeist schriftlich abwickeln, "weil der Tag auch für Marcel nur 24 Stunden hat."
Die Inflation an medialen Begehrlichkeiten widerspricht der vor allem nach Siegen häufig gemachten Behauptung, wonach der Skirennlauf Randsport sei. Am Rande bemerkt nannten für Adelboden Läufer aus 21 Nationen. Rechnet man in Anspielung auf Hirschers aus Den Haag stammender Mama den Champion zu 50 Prozent den Niederlanden zu, dann wären ’s sogar 21 1/2.