Hin und wieder sollte man auch einmal etwas Nachsicht walten lassen, um sich einem Phänomen annähern zu können. Im Fall von Marcel Hirscher, der am Donnerstag in Zagreb den Slalom bestreitet (12.45/16.30 Uhr, live ORFeins, ZDF, Eurosport, SRFzwei), sehen wir also einmal großzügig über den Slalom von Levi im vergangenen November hinweg (Platz 17), und dann wird die ungeheure Stabilität des Salzburgers im Stangenwald deutlich: Seit seinem Ausfall im Weltcupbewerb im japanischen Yuzawa Naeba am 14. Februar 2016 war der sechsfache Gesamtweltcupsieger in 14 Rennen stets im Ziel, nie schlechter als Sechster (Zagreb 2017), elf Mal auf dem Podest und fünf Mal der Sieger. Dazwischen holte er sich in St. Moritz auch noch WM-Gold ab.
Den Slalom von Levi außer Acht zu lassen, drängt sich auf – in diesem Rennen gab Marcel Hirscher sein Comeback nach seinem Knöchelbruch Anfang August, er hatte nur einen Bruchteil seines üblichen Schneetrainings absolvieren können, und seither fährt der 28-Jährige sowieso schon wieder wie auf Schienen. Acht Bewerbe hat er bestritten, vier gewonnen, und der Parallelslalom von Oslo war erst der zweite, den er nicht auf dem Podest beendete; Hirscher wurde Fünfter. "40 Punkte sind 40 Punkte", sagte der Salzburger danach, 54 Zähler liegt er nun vor Henrik Kristoffersen, und seine Wochen kommen ja erst jetzt.
Nach dem Slalom von Zagreb folgen vor Olympia noch vier weitere, dazu zwei Riesenslaloms und das City-Event von Stockholm, zudem hält sich Hirscher auch die Option eines Starts im Super-G von Kitzbühel offen.
Noch beeindruckender ist Hirschers Beständigkeit im Riesenslalom: Am 12. Jänner 2013 (!) war er letztmals nicht unter den besten Sechs, zu Buche steht ein 16. Rang in Adelboden. In den 40 Bewerben seither feierte der Annaberger 17 Siege und 35 (!) Podestplätze insgesamt. Und in den elf Bewerben seit dem 19. März 2016 (Fünfter in St. Moritz) war er stets auf dem Podest.
Dem Norweger Henrik Kristoffersen, der sich in den letzten beiden Wintern anschickte, Hirscher das Skifahrerleben ein wenig schwerer zu machen, bleibt da nur der Respekt: "Marcel fährt unglaublich gut Riesenslalom, und er fährt unglaublich gut Slalom. Er ist einer der größten Skifahrer in der Geschichte unseres Sports."
Trotz des Handicaps vor Saisonbeginn scheint sich Marcel Hirscher nicht nur einmal mehr selbst neu erfunden zu haben, es scheint sogar, als habe der im letzten Sommer so ganz andere Saisonaufbau (nämlich ohne Schneetraining) noch einmal neue Kräfte freigesetzt. Ein Fingerzeig für die Zukunft? Eher nicht. "Ich fahre jetzt 26 Jahre lang Ski, aber es kann nicht jedes Jahr so laufen wie in diesem. Wenn ich das öfter machen würde, würde es mir wohl früher oder später auf den Kopf fallen", weiß der 28-Jährige. Er weiß aber auch: "Training ist gut – das beste Training aber sind Rennen."
Und gute Rennen sind wohl das Allerbeste. Und so wird der Marcel Hirscher der Saison 2017/’18 zwar auch heute wieder leicht nervös vor dem Start sein ("Ich hatte immer schon eine gewisse Anspannung, aber derzeit ist das etwas ganz Anderes"), aber dann seinen 50. Weltcupsieg in Angriff nehmen. Auch wenn ihn am Mittwoch noch Nackenprobleme zur Behandlung in Bayern zwangen. Mit drei Siegen ist er ja der Rekordgewinner am Sljeme, dem Hausberg von Zagreb.