Vor einem Jahr wurde Fredy Bickel Sportdirektor bei Rapid. 2017 begann mitten in der Krise mühsam für den 52-jährigen Schweizer – und es endet nach dem Vandalenakt von Dejan Ljubicic in Bosnien auch so: Bickel überlegt für den 20-jährigen Shooting Star eine Strafe, die streng aber auch pädagogisch wertvoll sein sollte.
KURIER: Wie anstrengend und intensiv war Ihr erstes Jahr im Vergleich zum bisherigen Fußballer-Leben von eins bis zehn?
Fredy Bickel: Mindestens acht – das Jahr war heftig und deftig. Am ersten Tag wusste ich, dass der Kader zu groß ist. Dann hatten wir viele Verletzte, und ich habe sofort gespürt, dass es mit dem Trainer Schwierigkeiten geben könnte. Erstmals ein gutes Gefühl hatte ich erst in der Sommervorbereitung: Da wusste ich, dass es in die richtige Richtung läuft. Jetzt fungiere ich nicht mehr als Feuerlöscher, sondern als Brückenbauer zwischen den einzelnen Abteilungen im Verein.
Wie wird 2018?
Das kommt auf den Winter an: Wir können schon jetzt einiges einläuten, dass uns im Sommer helfen wird. Da geht’s um die Kaderplanung wie etwa der Stürmerfrage. Es darf nicht mehr sein, dass Trainer und Spieler erst Ende August wirklich wissen, wie die Mannschaft aussieht.
Wie groß ist das Potenzial von Rapid als Verein?
Unglaublich groß. Es wäre hier so viel möglich, du musst es nur noch richtig umsetzen. Die Kraft, die Geschichte, die Tradition – das ist so groß wie bei keinem anderen Verein in Österreich oder der Schweiz.
Hätten Sie sich bei Ihrem Start gedacht, dass Österreich in der UEFA-5-Jahreswertung die Schweiz überholt und auf Platz 11 abschließen könnte?
Ehrlich: Nein! Aber bevor wir jetzt von einem Fixplatz in der Champions League für Rapid 2019 reden, warne ich vor zu schönen Träumen.
Foto: KURIER/Gerhard Deutsch Apropos Träumen: Im Mai musste sich Rapid mit dem Abstiegskampf beschäftigen, ein halbes Jahr später gibt es Häme, weil Platz drei als zufriedenstellend bezeichnend wird. Kannten Sie diese Extreme?
Vielleicht ist das typisch wienerisch. Viele außerhalb des Vereins haben den möglichen Abstieg nicht ernst genommen. Wie bei FC Zürich – die hat es dann wirklich erwischt. Wir hatten so viele Probleme, dass wir nicht in einem halben Jahr von 0 auf 100 durchstarten und ganz oben stehen können.
Wird die Latte jetzt höher gelegt?
Zumindest Platz 3 und das Cupfinale waren sehr realistische Ziele. Wo ich die Latte höher lege, ist die Konstanz: Es darf kein Saisonviertel mehr geben wie unser erstes mit nur 13 Punkten.
Sie waren laut eigener Einschätzung am Anfang zu ungeduldig. Hat sich das Tempo von Rapid mit Ihrem synchronisiert?
Ich hatte anfangs wirklich Probleme und im Februar für mich gefragt: Bringe ich die nötige Geduld und die Hartnäckigkeit auf? Die Antwort war: Ja, ich will das durchziehen, weil Rapid so viele Möglichkeiten hat. Es dauert durch die Größe und Geschichte des Vereins vielleicht nur etwas länger als anderswo. Seither geht es mir viel besser.
Ist Rapid wie ein Tanker auf dem Ozean?
Ja, dieses Bild gefällt mir! Wenn es in die falsche Richtung geht, ist es sehr mühsam zu korrigieren. Aber wenn es einmal in die richtige Richtung geht, ist die entwickelte Verdrängung rundherum extrem groß.
Wie hat sich der Kontakt mit Ihrem Wohnungsnachbarn Josef Hickersberger entwickelt?
Wir haben immer wieder schöne Zusammenkünfte. Es ehrt mich, dass ich bei gemeinsamen Anlässen mittlerweile sein Chauffeur sein darf.
Sein Sohn Thomas kehrt als Co-Trainer aus Altach zurück. Wie wird er Rapid verbessern?
Als Thomas durchblicken ließ, dass wir über eine Rückkehr reden könnten, waren Trainer und Spieler begeistert – da hab’ ich sofort zugeschlagen. Wir haben sehr viel neu gemacht – in der Athletik, in der Medizin, in der Reha. Da gehen wir an Grenzen und brauchen dafür auch die Köpfe. Das Trainerteam arbeitet mehr als alle meine bisherigen Vereine individuell mit den Spielern. Besonders da wird Thomas helfen, auch noch die letzten Prozente rauszuholen.
Bei Rapid gibt es die kuriose Tradition, dass Cheftrainer nach einer Vertragsverlängerung im Winter bald darauf gehen müssen. Werden Sie die geplante Verlängerung mit Goran Djuricin trotzdem riskieren?
Geschichte soll man kennen, sie soll einen aber auch nicht in Furcht versetzen. Gogo und ich haben ein offenes Verhältnis: Beide Seiten wissen, woran sie sind. Deswegen haben wir mit der Verlängerung sicher keinen Stress. Wenn es der Geschichte gut tut, warte ich gerne ein, zwei Siege im Frühjahr ab, bevor wir verlängern (lacht).
Tamas Szanto hat im September 2016 zum KURIER gesagt, er fühlt sich als Ungar. Jetzt soll er Österreicher werden. Wie passt das zusammen?
Wir haben diesen Sommer über das Thema gesprochen. Da hat Tamas zugestimmt, dass wir uns um eine Einbürgerung bemühen. Er wurde auch nicht mehr in Ungarns U-21-Team einberufen – vielleicht hat uns das geholfen. Wir hoffen, dass dieses Thema bis zum Sommer erledigt ist, weil er nächste Saison als Legionär zählen würde.
Foto: KURIER/Gerhard Deutsch Warum ist Rapid der Ö-Topf weiterhin so wichtig?
Auch wenn es in Österreich kaum einer gerne hört: Wir haben eine Ausbildungsliga. Deswegen stehe ich zu dieser strategischen Ausrichtung. Wir wollen die besten Talente aus Österreich ausbilden, da können wir denen nicht einen halben Kader mit Legionären vorsetzen. Die müssen ihre echte Chance sehen. Es ist aber möglich, dass wir wieder einmal mit sieben Legionären planen.
Wie geht es mit Edelreservist Steffen Hofmann weiter?
Er weiß genau, was er will. Deswegen bohre ich beim Sportlichen überhaupt nicht nach. Er nimmt als Talentemanager einen unglaublich großen, positiven Einfluss, obwohl ich zu wenig Zeit für ihn hatte.
Was tut er konkret?
Er spricht mit den jungen Spielern im Kader, er trifft sich jede Woche mit dem Nachwuchs, er bekommt alle Videos von den Einsätzen der Leihspieler und hält mit diesen Kontakt. Außerdem spricht er mit den größten Talenten und ihren Eltern über die Zukunft. Steffen macht das wirklich großartig!
Musik ist ein enger Begleiter in Ihrem Leben. Wie lautet Ihre aktuelle Song-Auswahl?
Der erste für mich wichtige Titel hier war "Die, die wandern" von Rainhard Fendrich, anschließend das Zusammenfinden und Bob Dylans "No time to think". Der gemeinsame Weg ist gefunden, ich bin wieder bei mir mit STS und dem Selbstporträt "A altmodischer Hund".