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Tournee: Viele Favoriten, viele Fragezeichen

29-12-2017, 06:00

Ein Winter, der für die Springer reich an Höhepunkten ist, erlebt mit der 66. Vierschanzentournee das erste Highlight. Es gehört zur Tradition der geschichtsträchtigen Veranstaltung, dass vor dem Auftaktspringen in Oberstdorf (30. Dezember, 16.30 Uhr/live ORFeins) das Ranking der Topfavoriten erstellt wird. Der KURIER macht es diesmal anders und fragt: Was spricht eigentlich gegen jeden der gehandelten Sieganwärter?

Richard Freitag
Drei Saisonsiege, fünf Podestplätze, dazu das Trikot des Weltcupleaders – es wäre keine Sensation, würde der Tourneesieger am Ende Richard Freitag heißen. Allerdings wäre es auch keine Überraschung, würde der Deutsche nicht den großen Coup landen. Die lange Geschichte der Tournee lehrt: Die Favoritenrolle hat den Protagonisten nur in den seltensten Fällen Flügel verliehen, sondern viel häufiger gehemmt. Erinnert sich noch wer an Domen Prevc? Der junge Slowene war im vergangenen Jahr als vierfacher Saisonsieger nach Oberstdorf gekommen und hatte als unschlagbar gegolten. Bei der Tournee spielte Prevc als Neunter nur eine Nebenrolle.

Andreas Wellinger
Der Bayer wäre eigentlich längst überfällig für die erste große Einzel-Trophäe. Doch ob ausgerechnet die prestigeträchtige Tournee dafür die richtige Bühne ist, darf durchaus bezweifelt werden. Die deutschen Springer taten sich zuletzt traditionell schwer, in der Heimat die hohen Erwartungen zu erfüllen. Nach dem perfekten Saisonstart sehen sich die Lokalmatadore mit einem Skisprung-Hype und einem riesigen Medieninteresse konfrontiert. "In diesen Tagen will jeder etwas von uns. Wir werden durch ein Nadelöhr geschickt", sagt Deutschlands Cheftrainer Werner Schuster.

Daniel-André Tande
Der Norweger hätte gut und gerne als Titelverteidiger nach Oberstdorf anreisen können, ja sogar müssen. Vor einem Jahr war die Trophäe zum Abholen bereit gelegen, ehe den Sieger von Garmisch und Innsbruck beim Tourneefinale in Bischofshofen ein Bindungsbruch um den Gesamtsieg brachte. Es würde nicht weiter verwundern, wenn Tande bei dieser Tournee von diesen negativen Erinnerungen wieder eingeholt würde.

Kamil Stoch
Es gibt nur noch eine Trophäe, die dem hochveranlagten und hochdekorierten Polen zur Aufnahme in die Hall of Fame des Skispringens fehlt. Und das ist nicht der Sieg bei der Vierschanzentournee. Es gibt in der Geschichte nur einen Springer, der einerseits den Gesamtweltcup und die Tournee gewonnen hat und sich obendrein auch Weltmeister, Olympiasieger und Skiflugweltmeister nennen darf: Matti Nykänen. Tournee-Titelverteidiger Stoch kann und will dem Finnen in diesem Winter nacheifern, sogar in Oberstdorf, allerdings erst in drei Wochen bei der Skiflug-WM im Allgäu, wo es um den einzigen Titel geht, den der Routinier noch nicht hat.

Stefan Kraft
Für den Doppelweltmeister und Gesamtweltcupsieger gilt Ähnliches wie für Kamil Stoch: Bei allem Prestige und aller Begeisterung für die Tournee, auf der persönlichen To-do-Liste steht der Schanzenklassiker in diesem Winter nicht ganz oben. Dem Tourneesieger von 2014/ 2015 fehlt in seiner Sammlung noch eine Olympia-Medaille. Was für Kraft erschwerend hinzukommt: Diesmal lasten die gesamte Verantwortung und alle rot-weiß-roten Hoffnungen auf den schmalen Schultern des Pongauers. Denn die ÖSV-Teamkollegen konnten bislang nicht überzeugen.

Jernej Damjan, Junshirō Kobayashi, Anders Fannemel
Den Slowenen, den Japaner und den Norweger eint, dass alle drei in diesem Winter bereits ein Weltcupspringen gewinnen konnten. Das ist aber auch schon das Einzige, das für das Trio spricht. Die Gegenargumente erscheinen derweil viel schlagkräftiger: Alle drei Saisonsieger ließen die für den Tournee-Gesamtsieg so wichtige Konstanz auf allerhöchstem Niveau vermissen.

Peter Prevc, Gregor Schlierenzauer
Gegenfrage: Was spricht überhaupt für die beiden? Außer dass Prevc (2016) und Schlierenzauer (2012, 2013) die Tournee bereits gewonnen haben und dereinst die Dominatoren der Skisprung-Szene waren? Es gebietet der Respekt vor den früheren Verdiensten, dass der Slowene und der Stubaier heute noch in einem Atemzug mit den tatsächlichen Favoriten genannt werden, doch ehe Peter Prevc (88 Saisonpunkte) oder Gregor Schlierenzauer (neun Punkte) diesmal die Tournee gewinnen, findet das Neujahrsspringen wohl am 2. Jänner statt.

Simon Ammann
Wenn er über Nacht plötzlich den Telemark erlernt; wenn die Sprungrichter bei seinen Landemanövern alle Augen zudrücken; wenn er selbst in Hochform ist wie bei seinen vier Olympiasiegen und zudem die Hälfte der Konkurrenz mit irregulären Anzügen disqualifiziert wird – ja nicht einmal dann wird der Schweizer die Tournee gewinnen. Der Toggenburger, der vor 20 Jahren das erste Mal in Oberstdorf sprang, wird sich damit abfinden müssen, dass er das letzte große Ziel seiner erfolgreichen Karriere nicht mehr erreichen kann.

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