Am Tag danach ist die stolze Sportnation Russland am Boden zerstört. Während der russische Sport zwischen Wut und Enttäuschung schwankte, reagierter der Kreml zurückhaltend auf den Ausschluss Russlands von den Olympischen Spielen 2018 in Südkorea.
Das Nationale Olympische Komitee ausgeschlossen, keine russische Hymne, keine russische Flagge für die Sportler, die im Februar eventuell doch in Pyeongchang starten könnten. Vom sonst so redseligen Multifunktionär Witali Mutko, Ex-Sportminister, OK-Chef der Fußball-WM 2018, Vize-Premierminister und als Doping-Drahtzieher lebenslang für Olympia gesperrt, war kein Wort zu hören. Das Außenministerium klagte: "Russland soll aus der internationalen Sportwelt verdrängt werden".
Foto: REUTERS/MAXIM SHEMETOV Der Kreml blieb dagegen vage und zurückhaltend. Präsident Wladimir Putin wird sich nach Angaben seines Sprechers Zeit nehmen für eine Antwort auf die IOC-Entscheidung. "Die Situation ist ernst. Heute dürfen wir unseren Emotionen nicht nachgeben, sondern müssen mit Bedacht die Entscheidung des IOC analysieren", erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch. Priorität habe der Schutz der Interessen der russischen Sportler und dass Russland die Verbindung zum IOC weiter aufrechterhält, so Peskow.
Weniger wichtig sei die Frage, ob die russischen Sportfunktionäre wegen Versagens bestraft werden müssten. Der russische Außenpolitiker Konstantin Kossatschow vom Föderationsrat hatte Strafen gefordert, nicht etwa, weil sie ein Dopingsystem geschaffen haben. Sie hätten ihr Land nicht energisch verteidigt. "Sie haben den Start der Kampagne verschlafen, und sie waren mit dem Finish überfordert." Das geht erstmals gegen unantastbare Leute wie Mutko oder den Präsidenten des russischen NOK, Alexander Schukow.
Foto: REUTERS/MAXIM SHEMETOV Kossatschow sprach aber auch von einem Angriff auf sein Land. "Eine widerliche Entscheidung", schrieb der erfahrende Politiker. "Das gehört zur allgemeinen Linie des Westens, Russland zurückzudrängen." Der Triumph von Sotschi habe um jeden Preis geschmälert werden müssen. 25 Athleten wurden bei Nachkontrollen der Dopingproben von den Winterspielen 2014 überführt und lebenslang von Olympia ausgeschlossen, darunter elf Medaillengewinner. Vier Goldene wurden Russland mittlerweile aberkannt.
Der Zeitpunkt der IOC-Entscheidung passt dem Kreml politisch nicht in den Kram. Putin will demnächst seine Kandidatur für eine weitere Amtszeit bekanntgeben. Die Mutko-Sperre droht als großer Schatten über der Fußball-WM hängen zu bleiben, die doch eine Visitenkarte für sein Russland werden soll.
In russischen Leitartikeln kam vielfach der Frust zum Ausdruck. "Es ist sehr schwer, die Anschuldigungen und Strafen anzunehmen", schrieb die Tageszeitung "Sport Express". "Aber das Schicksal unserer Athleten sowie unsere Stellung in der olympischen Familie zu erhalten, ist wichtiger", hieß es dort weiter. Die Zeitung kritisierte die IOC-Entscheidung als "sehr harsch und in mancher Hinsicht sogar erniedrigend für Russland". Die regierungstreue Zeitung "Istwestija" titelte, dass es ohne Russland nicht gehe. Das Blatt betonte, die russischen Athleten "werden den Stolz des Mutterlandes unter jeder Fahne verteidigen".
Im Land wird diskutiert, ob russische Sportler überhaupt noch nach Pyeongchang fahren sollen. Da steht einstweilen Politik gegen Sport. Nationalistische Scharfmacher fordern einen Boykott. "Für mich ist es unannehmbar, dass eine russische Mannschaft ohne eigene Flagge und Hymne antritt", sagte etwa der Parlamentsvize Pjotr Tolstoi. Und sein Kollege Igor Lebedew rief enge Verbündete wie Weißrussland oder Kasachstan auf, die Spiele ebenfalls zu boykottieren.Von den Sportlern kommen andere Signale. "Wir verstehen ganz genau, dass die IOC-Entscheidung reine Politik ist, und wir verstehen, gegen wen sie gerichtet ist. Es war klar, dass es solch eine Entscheidung geben wird. Aber wenn die Sportler dort hinfahren, dann wird es das Land einen", forderte Eishockey-Star Ilja Kowaltschuk die Teilnahme der Athleten. Seine Kameraden und er haben Putin in einem Brief gebeten, dass sie spielen dürfen.
Auch Ex-Stabhochspringerin Jelena Isinbajewa, nun Funktionärin mit feiner Nase für die kommende sportpolitische Linie, hat das Kleingedruckte in dem IOC-Beschluss gelesen. "Wenn bei der Siegerehrung gesagt wird, dass ich aus Russland bin, dann würde ich teilnehmen", sagte die 35-jährige Weltrekordlerin.
Offiziell soll eine Versammlung der potenziellen russischen Olympia-Teilnehmer am 12. Dezember entscheiden. Auch NOK-Präsident Schukow hat das IOC-Papier gelesen: Bei der Abschlussfeier in Südkorea könnte die russische Fahne wieder wehen, tröstete er seine Landsleute.