Er hat in den letzten Jahren mehr Comebacks gemacht als Wettkämpfe gewonnen. Das erste bei der Vierschanzentournee 2015, nachdem er zuvor freiwillig eine mehrwöchige Auszeit eingelegt hatte. Das zweite im Jänner in Wisla (Polen) nach einem Kreuzbandriss. Und nun unternimmt der erfolgreichste Skispringer der Weltcup-Geschichte (53 Siege) nach einem Seitenbandanriss im Knie den nächsten Anlauf, um wieder zu alter Stärke zu finden. Am Wochenende hebt Gregor Schlierenzauer (27) beim Weltcup in Titisee-Neustadt (GER) ab.
Wie ist es um die Form bestellt? Welche Ziele verfolgt er? Und kann er jemals wieder ganz der Alte werden? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen zur Rückkehr des Tirolers.
Ist Gregor Schlierenzauer schon wieder konkurrenzfähig?
Cheftrainer Heinz Kuttin warnt davor, vom Rekordspringer gleich am ersten Weltcup-Wochenende Wunderdinge zu erwarten. "So einfach vorne hineindonnern, das wird’s nicht spielen", sagt der Kärntner. "Er muss erst wieder in den Wettkampfmodus kommen."
Gregor Schlierenzauer hat eine intensive Trainingswoche in Lillehammer hinter sich und fühlt sich gerüstet für das Kräftemessen mit der Konkurrenz. Trotz der Verletzungspause spricht der 27-Jährige von der "längsten und besten Vorbereitung, die ich je hatte." Daher sind die Erwartungen für die kommenden Wochen bis hin zur Tournee auch deutlich höher als beim Comeback vor einem Jahr. "Ich denke, dass ich voll dabei bin. Wenn alles passt, dann auch ganz vorne."
Kann Gregor Schlierenzauer wieder ein Seriensieger werden?
"Wieso nicht?", stellt Coach Kuttin die Gegenfrage. "Dem Gregor muss man alles zutrauen", ergänzt ÖSV-Direktor Ernst Vettori. Das Fluggefühl, das den Tiroler immer ausgezeichnet hatte, kann man nicht verlieren.
Dazu sind die Sprungkraft-Werte so gut wie zu seinen besten Zeiten. Das wichtigste Puzzleteil ist für Heinz Kuttin aber immer noch der Kopf. "Wenn du gewinnen willst, dann brauchst du Selbstvertrauen und die volle Überzeugung. Mit Sicherheitssprüngen gewinnst du heute nichts mehr. Das reicht nicht einmal für den Finaldurchgang."
Wie sehr hat sich das Skispringen in den letzten Jahren verändert?
Heute, Mittwoch, ist es auf den Tag genau drei Jahre her, dass Gregor Schlierenzauer den letzten seiner 53 Weltcupsiege gefeiert hat. In Lillehammer, wo der Tiroler 2006 als 16-Jähriger auch das erste Mal gewonnen hatte. In den Anfangsjahren waren dem Stubaier die Erfolge regelrecht zugeflogen. "Da habe ich manchmal auch mit schlechteren Sprüngen noch gewonnen",erinnert sich Schlierenzauer.
Mit jeder Materialänderung (Anzug, Ski, Bindung), die im letzten Jahrzehnt von der FIS vollzogen wurde, ist die Dominanz des Österreichers mehr und mehr verflogen. Das ging schließlich sogar so weit, dass Schlierenzauer in den letzten Jahren noch einmal das gesamte Skisprung-ABC durchmachte und das Skispringen für sich neu erlernte.
Wie hat sich Schlierenzauer über die Jahre verändert?
Der Tiroler war in seiner Karriere wohl noch nie so geerdet wie jetzt mit 27 Jahren. Die Zeit und die Rolle als Jungstar haben ihn überfordert, die Sinn- und Ergebniskrisen der vergangenen Jahre haben ihn geprägt – zum Positiven, wie seine Wegbegleiter unisono versichern. "Das Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hatte, war ein völlig falsches", sagt Trainer Kuttin, "der Gregor ist heute viel klarer und fokussierter, er weiß, was er will."
Und das Wichtigste: "Man sieht ihm den Spaß am Skispringer wieder an." Das war nicht immer so: Die vielen Erfolge in jungen Jahren hatten Schlierenzauer irgendwann mehr gehemmt als beflügelt. "Ich habe mich gefragt: ,Was will ich jetzt eigentlich noch?‘"
Welche Ziele hat Schlierenzauer noch?
Auch wenn der Tiroler etliche Bestmarken im Skispringen hält, an Zielen und Herausforderungen fehlt es nicht. Der nächste Weltcupsieg hätte für Schlierenzauer einen besonderen Stellenwert, dann würde er mit Hermann Maier gleichziehen. "Das wäre ein Meilenstein", weiß der 27-Jährige, der auch die Heim-WM 2019 in Seefeld ins Visier nimmt. Nicht zu vergessen: Wie Marcel Hirscher fehlt auch Schlierenzauer noch olympisches Einzelgold.