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Gänserndorf Süd: Die wunderbaren Verlierer

22-11-2017, 11:00

Plötzlich halten gut 100 Zuschauer auf dem Dorf-Fußballplatz von Gänserndorf Süd die Luft an. Es ist die 42. Minute, in der ein Spieler der Heimelf zum ersten Mal den gegnerischen Strafraum betritt. Und das sogar mit dem Ball am Fuß.

Das Publikum wirkt deutlich konsterniert: Der wird doch jetzt nicht? Doch, der schiebt den Ball am Tormann vorbei ins Netz! 1:0.

Ein beinahe sporthistorischer Moment. Denn der FC OMV Gänserndorf Süd geht zum ersten Mal seit Jahren in einem Spiel in Führung. Und das im Derby gegen den benachbarten SV Strasshof. Gegen einen Titelaspiranten der 2. Klasse Marchfeld.

Gegen das Gesetz der Serie. Denn die Gänserndorfer halten vor dem 13. und letzten Spieltag der Herbstsaison bei null Punkten und einem Missverhältnis von drei erzielten zu 125 erhaltenen Toren.

Das ist keine existenzielle Bedrohung, denn aus ihrer Klasse wird keine Mannschaft in eine Liga darunter absteigen. Weil es darunter keine Liga mehr gibt. Und doch werden die Serien-Verlierer seit Monaten von einer kleinen sentimentalen Fangemeinde begleitet. Die jeden Montag das Ergebnis nachliest – und dabei Gänserndorf Süd endlich einen sportlichen Erfolg gönnen würde.

Fassungslosigkeit

Warum? Weil es nicht selbstverständlich ist, dass ein Verein Wochenende für Wochenende zehn Tore und mehr kassiert und dennoch nicht aufgibt.

Im Moment, da der Ball im Tor liegen bleibt, wirkt auch der Trainer von Strasshof fassungslos. Normalerweise müssten seine Leute längst mit vier, fünf Toren führen. Doch die gelb-blauen Davids wehren sich mit Füßen und vor allem mit den Händen ihres bravourösen Tormanns, der nebenbei auch einen Elfmeter pariert.

Der Goalie, der seit August bereits 125-mal die Kugel passieren lassen musste, sprintet nun über das extrem holprige Spielfeld, zum Torschützen und der Traube der Gratulierenden.

Doch der Fußball hat im Zweifelsfall wenig Sympathie für die Schwächeren. Eine Minute Nachspielzeit in der ersten Halbzeit, deutet der Schiedsrichter an, und lässt mehr als doppelt so lange laufen.

Was die Favoriten zu nützen wissen: Gestocher im Strafraum, und mit der letzten Ballberührung vor der Pause steht es 1:1.

Dennoch ein Etappensieg für die Heimischen. Normalerweise liegen die Amateurfußballer in einer der wildesten Häuseragglomerationen Österreichs nach 45 Minuten aussichtslos zurück. Heute treten sie nach der Pause mit breiter Brust aus der Kabine, um möglicherweise das größte Highlight in ihrer Sportlerkarriere zu schaffen.

Fangesänge

Mit Krämpfen und Bauchstechen, Atemnot, einem konsequenten 5-4-1-System und dem Wegdreschen jeder Kugel aus der Gefahrenzone halten sich die Underdogs bis zur 84. Minute im Spiel.

Eine Sensation liegt in der Marchfelder Luft. Das Publikum, mehrheitlich aus Strasshof, spart nicht mit Schmährufen für die Gästeelf, die deutlich fitter ist, jedoch mit jeder Minute nervöser wird. Weil ein Punkteverlust gegen Gänserndorf Süd einem Gesichtsverlust gleich käme und Spott bis ins Frühjahr garantieren würde.

Das eigentliche Wunder von Gänserndorf Süd ereignet sich nach der 84. Minute. Die Nummer 13 in Gelb-Blau, bis dahin ein Bollwerk als Innenverteidiger, hat im eigenen Strafraum den Ball nicht unter Kontrolle gebracht, ein Schnitzer wie aus dem Lehrbuch, noch dazu der spielentscheidende. Doch kein Einziger seiner Mitspieler will ihm deshalb einen Vorwurf machen, auch nicht sein Trainer. Enttäuschung ja, aber kein böses Wort. Das ist Teamgeist, Fairplay pur.

Nur kurz senken sich die Köpfe der Kicker, die mit der Niederlage leben gelernt haben. Dann lassen sie sich noch zwei weitere Tore schießen. Dann gehen sie wieder einmal als Besiegte vom Feld.

Im neuen Jahr werden es die Wunderbaren von Gänserndorf Süd wieder probieren. Weil Sieger beim Fußball nur strahlen können, wenn es auch Besiegte gibt. Die Besiegten der Herzen überwintern nun mit null Punkten und einem Torverhältnis von 4:129.

Doch ihre Fans werden 2018 nicht aufhören, ihnen die Daumen zu drücken.

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