Gegen Vergleiche mit dem für viele immer noch talentiertesten Formel-1-Fahrer der Geschichte wehrt sich Lewis Hamilton seit seinem Grand-Prix-Debüt hartnäckig. Aufgedrängt hat es sich dennoch oft, den Briten im selben Atemzug wie seinen großen Helden Ayrton Senna zu nennen. Und mit seinem vierten WM-Titel hat sich Hamilton auch in dieser Statistik am 1994 verstorbenen Brasilianer vorbeigeschoben.
"Ich schaue nicht auf ihn herab und denke jetzt, ich wäre besser, weil ich mehr Siege, Polepositions oder Weltmeistertitel habe", gibt sich Hamilton bescheiden. Der Blick auf die Statistik unterstreicht dennoch, dass Hamilton zumindest auf einem Niveau mit dem legendären, in Imola tödlich verunglückten Senna steht.
In der Saison 2017 überflügelte Hamilton den Brasilianer in einer Statistik, in der Senna sich nur Michael Schumacher hatte beugen müssen: die meisten Polepositions. Beim Großen Preis von Kanada war es soweit: Der Brite erreichte wie sein großer Held die 65. Pole. Dass ihn Ayrton Sennas Familie im Anschluss mit einem Helm der brasilianischen Legende überraschte, rührte den 32-Jährigen zu Tränen. Michael Schumachers Bestwert (68) überflügelte Hamilton beim Großen Preis von Italien in Monza, und mittlerweile hält er bei 72 Starts von Position eins.
Foto: AP/Tyler Remiorz Einer, der den Vergleich zwischen Hamilton und Senna gut verstehen kann, ist Williams-Technikchef Paddy Lowe. Bei McLaren arbeitete Lowe 1993 eine Zeit lang mit Senna zusammen, bei Mercedes stand er bis 2016 hinter den Triumphen von Hamilton und Rosberg bei den Silberpfeilen. "Diese großartigen Fahrer können eine außergewöhnliche Runde aus dem Hut zaubern", schätzt Lowe die beiden ein. "Manchmal knallen sie eine Runde hin, bei der man sich fragt: Wie um Himmels Willen ist das möglich? Lewis ist einer, der das drauf hat – und Ayrton hatte es definitiv auch drauf."
Spätestens seit dem Stallduell mit Nico Rosberg zwischen 2014 und 2016 hat Hamilton den Ruf eines harten Gegners auf der Strecke. Der Zweikampf in Silber weckte Erinnerungen an das Duell zwischen Senna und Alain Prost: Auch dort krachte es gelegentlich, sowohl auf als auch neben der Strecke.
"Ich halte Lewis für einen wahren Gentleman", meint Paddy Lowe, der hier einen der größten Unterschiede zu Senna sieht. "Die Leute kritisieren ihn, aber eigentlich ist er ein sehr fairer Rennfahrer. Hart, aber fair."
Diese Härte trug 2017 nicht unwesentlich zum Titelgewinn bei. In den entscheidenden Momenten war es oftmals Hamilton, der sich durchsetzte: auch, weil der Brite auf drahtseilstarke Nerven bauen konnte. In Barcelona rang er seinen Titel-Rivalen Sebastian Vettel im direkten Duell nieder, in Baku trieb er den Ferrari-Star in einen Ausraster, der Vettel wertvolle Punkte kostete.
Und die Spielchen zeigten Wirkung: In Singapur patzte Vettel beim Start, warf die Nerven und einen möglichen Sieg weg und präsentierte ihn Hamilton auf dem Silber(pfeil)tablett. Dass Vettels springendes Pferd in Malaysia von hinten starten musste und in Japan sogar gänzlich lahmte, unterstrich nur, dass Ferrari noch nicht Reif für den Titel war. Hamilton war das sehr wohl.
Das nächste Ziel hat der Brite schon im Visier: die sieben WM-Titel von Michael Schumacher anzugreifen. Zeit dafür hat er: Ein Rücktritt wie von Nico Rosberg kommt für ihn nicht in Frage.