Karl Stoss sitzt gedankenversunken in der Lobby des feudalen Alpensia-Resorts im südkoreanischen Pyeongchang und versteht die Welt im fernen Tirol nicht mehr. "Das ist jammerschade", sinniert der ÖOC-Präsident in Südkorea einen Tag, nachdem sich die Tiroler Bevölkerung mehrheitlich gegen eine Olympia-Bewerbung für die Winterspiele 2026 ausgesprochen hatte. "Das ist vor allem jammerschade, wenn ich diese Hügelchen hier in Korea sehe und mir vorstelle, vor welcher Kulisse wir in Tirol Winterspiele veranstalten hätten können. Es tut mir im Herzen weh, wenn man da so eine Watsch’n bekommt. Und das war eine Niederlage", sagt der 60-jährige Vorarlberger.
Aus der Ferne versucht Karl Stoss eine Analyse, warum diese Olympia-Abstimmung gescheitert ist. Und da ist es dann vorbei mit der präsidialen Zurückhaltung. Karl Stoss über ...
... mögliche Gründe für das negative Votum "Ich möchte jetzt keine Schuldzuweisung machen, aber eines hat sich für mich bei der Abstimmung gezeigt: Die direkte Demokratie funktioniert nur dann richtig, wenn sich die Leute vorab informieren. Das hat in den vergangenen Wochen aber zu wenig stattgefunden, obwohl wir mindestens 50 Veranstaltungen angeboten haben. Zum Teil waren die Teilnahme und das Interesse erschreckend: Zehn, 15 Leute sind da manchmal nur gekommen. Meine Idee war ohnehin auf die Abstimmung zu verzichten. Los Angeles und Paris haben es ohne Abstimmung gemacht, und die haben heute 90 Prozent Zustimmung für ihre Sommerspiele."
... die größten Enttäuschungen "Ich bin zu 100 Prozent überzeugt, dass es uns gelungen wäre, maßvolle Spiele zu veranstalten. So eine Chance wird sich nie mehr bieten. Enttäuscht haben mich die Abstimmungsergebnisse in Innsbruck und in Kitzbühel. Man könnte jetzt vielleicht hinein interpretieren, dass sie in Kitzbühel beleidigt sind weil sie keinen Bewerb haben. Andererseits lebt Kitzbühel sehr gut vom Wintertourismus, Olympische Winterspiele wären für sie ein Selbstläufer gewesen. Aber wahrscheinlich geht’s ihnen dort zu gut."
Foto: APA/EXPA/STEFAN ADELSBERGER ... das schlechte Image des IOC als Ursache für das Nein "Das ist ein so typisches Phänomen für uns Österreicher, vielleicht trifft das auf die Tiroler noch mehr zu: Über alles schimpfen, aber nichts dazu beitragen, es zu ändern. Diese Chance war da, die Olympischen Spiele wieder zu dem zu machen, was sie einmal waren. Ohne Steuermittel so etwas zu bekommen, wäre ein Geschenk des Himmels gewesen."
... den olympischen Traum "Der Wunsch nach Kleinheit, nach Überschaubarkeit, nach Spielen in Winterregionen, wird auch in zehn Jahren topaktuell sein. Südkorea und Peking werden sicher perfekt organisierte Spiele sein, aber das ist nicht das, was wir Europäer uns unter dem Winter vorstellen. Wenn man in zehn Jahren zu uns kommt und sagt, diesmal wäre die Bevölkerung reif, warum sollten wir es nicht noch einmal machen. Das Konzept steht. "
"Olympische Sommerspiele kann ich mir ehrlich gesagt nur in Zusammenarbeit mit mehreren Städten wie zum Beispiel Bratislava oder Budapest vorstellen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es einen österreichischen Politiker gibt, der den Mut hat, unsere verrottete Infrastruktur wieder zum Leben zu erwecken. Das scheint ausgeschlossen."
... die Rolle des Sports in Österreichs Politik und Gesellschaft "Der Sport hat in Österreich gesellschaftspolitisch einen so geringen Stellenwert, dass es fast schon erschreckend ist. Bei uns betreiben nur 28 Prozent der Kinder drei Mal die Woche Sport, in den Niederlanden und in Schweden sind es 90 Prozent. Jeder in den Sport investierte Euro ist ein Investment in das Gesundheitssystem, aber die Österreicher geben viel lieber Geld für Tabletten und Arztbesuche aus. Wir werden jetzt wieder bei den Koalitionsverhandlungen sehen, welchen Stellenwert der Sport hat. Das ist das letzte Ressort, das dran kommt. Dann fällt ihnen ein: ,Das haben wir ja auch noch, wem teilen wir es jetzt zu?‘"